Die Gemeindewachstumsbewegung ist, wie wir schon gesehen haben, heute nicht mehr so klar umrissen und auch nicht mehr so unmittelbar von den Lehren McGavrans geprägt; sie hat sich weiterentwickelt und ist vielfach verwoben mit verschiedenen Strömungen des Evangelikalismus. Wir wollen her einen knappen Überblick über die wichtigsten Unterströmungen heute geben. Dabei ist zu berücksichtigen, daß sich diese Unterströmungen vielfach überschneiden und gegenseitig befruchten und ergänzen. Praktisch alle sind heute geprägt von den liberal-ökumenischen Irrlehren der „missionalen Gemeinde“ und des „Reiches Gottes hier und jetzt“, die wir oben schon erwähnten und im nächsten Abschnitt gründlicher beleuchten.

Grundsätzlich hat die Gemeindewachstumsbewegung schon immer zwei unterschiedliche Schwerpunkte gehabt. Zum einen zielte sie auf die Erneuerung bestehender Kirchen, Gemeinden und Missionsarbeiten im Sinne einer Kontextualisierung und eines effektiven Gemeindewachstums. Zum anderen betonte sie die Notwendigkeit von Gemeindeneugründungen für bestimmte Zielgruppen und empfahl schon seit McGavran die Förderung von massenhaften Gemeindegründungsbewegungen in dafür empfänglichen Volksgruppen. Diese beiden Stoßrichtungen sind auch heute klar erkennbar.

 

1. Die Gemeindewachstumsbewegung in den liberalen und evangelikalen Kirchenorganisationen

 

Heute haben die allermeisten liberal-ökumenischen Großkirchen des Westens (Presbyterianer, Episkopalkirche, Lutheraner, Methodisten, Baptistenkirchen usw.) wesentliche Impulse der Gemeindewachstumsbewegung aufgegriffen und genutzt, um ihren Niedergang aufzuhalten, der sich in schwindenden Mitgliederzahlen und dahinsiechenden Gemeinden zeigt. Es gibt Verantwortliche für Gemeindewachstum in den Kirchenleitungen; es gibt Seminare und Fortbildungen, Kampagnen und Pilotprojekte, wie man die Attraktivität dieser liberaltheologischen, ökumenischen und vom biblischen Glauben längst abgefallenen Kirchengebilde wieder steigern kann. Dies läßt sich in den USA ebenso wie in England (Anglikanische Kirche) und in verringertem Umfang auch in Europa feststellen. Wieweit das auch für ökumenische Kirchen in der Dritten Welt gilt, entzieht sich meiner Kenntnis.

Führende Vertreter der Gemeindewachstumsbewegung haben bei dieser Renovierung sinkender liberaler Kirchenschiffe bewußt Hilfestellung gegeben; zahlreiche Absolventen der Gemeindewachstumskurse bei Fuller-Seminar arbeiten in solchen Institutionen oder verdienen gutes Geld als Berater solcher Kirchen. Daß „evangelikale“ Theologen in solcher Weise den abtrünnigen Kirchengebilden helfen, zeigt schon, wie weit sie von geistlicher Lauterkeit und Treue entfernt sind. Und daß die pragmatisch-menschengemachten „Wachstumskonzepte“ in abgefallenen Großkirchen sehr gut funktionieren können, zeigt auch schon, daß sie nicht wirklich geistlich oder biblisch sein können.

Auch evangelikal geprägte große Kirchenverbände nutzen die Rezepte der Gemeindewachstumsbewegung intensiv; sie haben entsprechende Fachleute in ihren Vorständen, schulen und beraten örtliche Gemeinden bzw. haben teilweise ehrgeizige Programme für die Neugründung von Gemeinden. Hier tut sich vor allem die Southern Baptist Convention hervor, die größte protestantische Kirche in den USA, die ein relativ starkes Gemeindewachstum zu verzeichnen hat. Die von Rick Warren angeführte Megagemeinde Saddleback Church gehört ebenso zu den Südlichen Baptisten wie die Emerging Church-Gemeinde Mosaic Church von Erwin McManus. Aber auch die Pfingstkirchen (Assemblies of God, Foursquare) sind in bezug auf „Gemeindeerneuerung durch Gemeindewachstum“ sehr aktiv.

Das Hauptziel dieser Strömung ist die Umorientierung bestehender kirchlicher Gemeinden hin auf größeres Gemeindewachstum. Das umfaßt ganz verschiedene Ansätze und Methoden wie zielgruppenorientierte Gottesdienstangebote, die Gründung von Filialgemeinden, Aufteilung in Zellgruppen, selbständige Jugendkirchen, Gründung zielgruppenorientierter Basisgemeinden usw. Diese auf die Erneuerung und bessere Verankerung der Großkirchen ausgerichtete Strömung hat sich in Deutschland vor allem durch die Aktivität von Willow Creek Deutschland und Kirche mit Vision Deutschland etabliert.

 

2. Amerikanische Megagemeinden: Willow Creek, Saddleback & Co.

 

Die Initiative zur Neugründung „kulturrelevanter“ Großgemeinden ging wesentlich von der Gemeindewachstumsbewegung aus, wobei hier der Praktiker Robert Schuller als ein erfolgreicher Pionier mit seiner Garden Grove Community Church (später „Chrystal Cathedral“) zusammen mit dem Hochschullehrer C. Peter Wagner eine Schlüsselrolle spielte. Ihr Grundkonzept ist es, durch attraktive, auf eine definierte Zielgruppe ausgerichtete Gottesdienst- und Gruppenangebote „kirchendistanzierte“ Namenschristen anzuziehen. Nebenbei wird dadurch natürlich auch eine große Anzahl von Gemeindewechslern angezogen, die aus anderen Gemeinden abwandern, weil der begabte Prediger und die gekonnte Gottesdienstgestaltung ihrem Geschmack mehr entsprechen.

Der Grundansatz ist also, Menschen in die Gemeinde einzuladen, die durch „kulturrelevante“ Köder angelockt werden sollen (das wird auch als „Komm-Struktur“ bezeichnet). Das steht im Gegensatz zum missionalen Konzept, bei dem die Gemeinde durch zielgruppenorientierte Basiszellen dorthin kommen soll, wo die Menschen sind. Der Megagemeinden-Ansatz hatte recht großen Erfolg unter der Generation der wohlhabenden „Baby-Boomer“ (die geburtenstarken Jahrgänge der 60er Jahre) in den amerikanischen Vorstadtgebieten, aber inzwischen hat die Gemeindewachstumsbewegung auch deutlich die Begrenztheit dieses Konzepts erkannt, weshalb es zunehmend durch neuere, „missionale“ Gemeindegründungsansätze ersetzt oder aber ergänzt wird.

Die „Megagemeinden“ hatten frühe Vorläufer; so waren schon Anfang des 20. Jh. fundamentalistische Großgemeinden entstanden, die sich um besonders beliebte Prediger scharten. Bekannt war etwa die First Baptist Church in Fort Worth, Texas, die unter dem zum Sensationellen neigenden Prediger J. Frank Norris 1919 12.000 Besucher an einem Tag meldete. Bis in die frühen 80er Jahre zählten solche Gemeinden zu den zahlenmäßig größten in den USA.

Eine bedeutsame Rolle spielten auch Pioniere aus der extrem pfingstlerischen Richtung der „Heilungsevangelisten“ – besonders die sehr erfolgreiche Aimee Semple McPherson, deren Gemeinde „Angelus Temple“ in Los Angeles schon 1926 an die 25.000 Besucher pro Woche zählte. Die Entstehung solcher Großgemeinden war auch in der abnehmenden Gemeindebindung und zunehmenden Mobilität vieler Amerikaner begründet; vielfach auch in dem Verlangen vieler Namenschristen, eine gute Show und blendende Prediger zu genießen, die ihnen das erzählen, wonach ihnen die Ohren jucken (2Tim 4,3-4).

Im Rahmen der Gemeindewachstumsbewegung wurden nun erstmals die „Erfolgsgeheimnisse“ solcher Megagemeinden mit sozialwissenschaftlichen Methoden erforscht und Konzepte entwickelt, wie man eine solche auf eine bestimmte Zielgruppe optimal ausgerichtete Großgemeinde von Null auf aus dem Boden stampfen kann. Hierbei wurde der bestimmenden Persönlichkeit des „Gründungspastors“ eine entscheidende Rolle zugeteilt. Er sollte die „Vision“ vorgeben und mithilfe von geschickten Marketing- und Managementmethoden der Gemeinde das Gepräge geben, mit dem sie ihre Zielgruppe optimal „bedienen“ kann.

Der Pastor hat in diesem Modell eine von seinen visionären und charismatischen Gaben abgeleitete sehr weitgehende Macht, die im Endeffekt der eines Apostels gleichkommt; in seinem sorgfältig ausgewählten Mitarbeiterteam darf er niemanden dulden, der widerspricht oder eine andere Sicht hat. Wagner, der dieses Modell als Mentor von Rick Warren mit entwickelte, bezeichnet interessanterweise sowohl Willow Creek als auch Saddleback als „apostolische Gemeinden“; er sieht Rick Warren und Bill Hybels als „Apostel“ im Sinne seiner Irrlehren von einer „Neuen Apostolischen Reformation“.

Ein Schlüssel für den Erfolg dieser Megagemeinden lag nicht zuletzt in der geschickten Anwendung des McGavran’schen Prinzips der homogenen Einheit, kombiniert mit seinem Rezept, möglichst jede kulturelle und soziale Barriere wegzuräumen, die es der Zielgruppe schwer machen könnte, sich der Gemeinde anzuschließen. Rick Warren etwa begann seine Gründungsarbeit mit einer sorgfältigen Analyse seiner Zielgruppe, der beruflich erfolgreichen, mobilen, anspruchsvollen „Baby Boomer“-Generation aus den Vororten amerikanischer Großstädte. Warren bezeichnet als sein wichtigstes Erfolgsrezept die Entscheidung, in Saddleback nur moderne Rock- und Popmusik einzusetzen und damit sein Gottesdienstangebot konsequent auf den Geschmack seiner Zielgruppe auszurichten. Ergänzt wurde dies durch das Angebot nützlicher und lebenspraktischer Schulungen und Selbsthilfegruppen, die Hilfestellung und positive Impulse etwa im Berufsleben, in Ehe und Familie versprechen.

Zu dieser „Kontextualisierung“ (Anpassung an die Umgebung) der Strukturen und Arbeitsweisen der Megagemeinde muß notwendigerweise noch die „Kontextualisierung“ der Botschaft kommen; die Verkündigung muß der Denkweise und den Bedürfnissen der Zielgruppe angepaßt werden, wenn eine Gemeinde groß werden soll. Hier verwirklichen die Megagemeinden einen Grundsatz, der hauptsächlich den Lehren Schullers entspringt: In der Gemeinde sollte keine „negative“ Predigt vorkommen, sondern eine positive, optimistische, den Menschen in seinem „Selbstwert“ bestätigende Botschaft.

Der erfolgreiche Prediger einer Megagemeinde darf nicht Sünden bloßstellen und zur Buße rufen. Er soll hauptsächlich positive, aufbauende Botschaften bringen, bestätigende Lebenshilfe; er soll zeigen, was für Vorteile es bringt, wenn man Christ wird. Das wird verbunden mit der Integration charismatischer Lehren und Praktiken, besonders des „Lobpreises“, der seine anziehende und verführerische Wirkung in den vielen charismatischen Großgemeinden erwiesen hatte. Auch mystisch-meditative Elemente der „neuen Spiritualität“ wurden bewußt mit eingebracht.

Die Megagemeinden sind einerseits eindeutig Kinder der Gemeindewachstumsbewegung und wenden auch Gedanken McGavrans an, andererseits ist bei ihnen der Einfluß Wagners stärker, dessen Ideen von der Bedeutung neuer Apostel und „apostolischer Gemeinden“ als Zentren einer charismatisch verstandenen neuen Erweckung und Umformung der Gesellschaft besonders Rick Warren erkennbar beeinflußt haben. Megagemeinden sind in diesem Konzept nicht zuletzt die Machtbasis apostolischer Führer, die dadurch Einfluß auf die ganze Gesellschaft, auf weite christliche Kreise, selbst im Weltmaßstab, bekommen. Das zeigte sich am Beispiel Aimee Semple McPhersons wie auch Robert Schullers oder Yonggi Chos.

In Übereinstimmung mit den unbiblischen Lehren Wagners haben sowohl Rick Warren als auch Bill Hybels weltweite Netzwerke aufgebaut, die unter ihrem Einfluß stehen und Millionen Christen, Tausende von Gemeinden umfassen. Warrens umstrittener PEACE-Plan trägt alle Kennzeichen des „apostolischen“ Handelns nach Wagners Lehren. Warren arbeitet hier übrigens auch mit Konzepten der missionalen Gemeindegründungsbewegungen; der Leiter des PEACE-Plans der Saddleback-Gemeinde ist Curtis Sergeant, der vorher im Rahmen des International Mission Board der Southern Baptists u.a. eine Gemeindegründungsbewegung in China anleitete.

Die Irrlehren der „Neuen Apostolischen Reformation“ gehen davon aus, daß vor allem die Apostel die Macht hätten, das „Reich Gottes“ in allen Bereichen der Gesellschaft (Wirtschaft, Politik und Sozialsektor – der „dreibeinige Stuhl“ Peter Druckers) auszuweiten und die Gesellschaft im christlichen Sinn zu „transformieren“. Dementsprechend ist der Einfluß Hybels und besonders Warrens in der weltlichen amerikanischen Gesellschaft und Politik beachtlich; die Megapastoren werden als Berater der Regierung gerufen, als Referenten in Managementkongressen geschätzt und in weltlichen Zeitschriften mit großer Aufmerksamkeit bedacht. Besonders Warren wird als „America’s Pastor“ bezeichnet und zum Nachfolger von Billy Graham aufgebaut.

Ansonsten bleibt noch anzumerken, daß die allermeisten Megagemeinden weltweit wie auch in den USA eindeutig ein pfingstlerisch-charismatisches Gepräge haben und von der praktisch absoluten Machtposition einzelner „apostolischer“ Leiter wie auch von teilweise massiven heidnisch-magischen Irrlehren gekennzeichnet werden. Fast überall werden die Mitglieder durch ein straff gelenktes Kleingruppensystem erfaßt und kontrolliert. Diese Gemeinden wachsen teilweise krebsartig und in schwindelerregende Größenordnungen (Yonggi Chos Gemeinde soll über 800.000 Mitglieder haben), aber dieses Wachstum ist eindeutig krankhaft und auf die Manipulation und Verführung der Menschen aufgebaut.

Es ist aber auch wichtig, zu wissen, daß in den letzten Jahren auch in den Kreisen der Gemeindewachstumsbewegung eine deutliche Ernüchterung in bezug auf die Megagemeinden eingetreten ist. Inzwischen wird zunehmend offen gesagt, daß ihr Wachstum hauptsächlich dadurch zustandekam, daß sie unzufriedene Christen aus anderen Gemeinden abzogen. Es wird auch kritisch angemerkt, daß der riesige finanzielle Aufwand mit großen Gebäuden und teilweise über hundert vollzeitlichen Mitarbeitern diese Gemeinden gefährdet, wenn das Spendenaufkommen zurückgeht. es wird auch offen angesprochen, daß diese Gemeinden von Ausnahmepastoren abhängen, für die nur schwer Nachfolger von ähnlichem Format gefunden werden können. Doch die Schlußfolgerung aus diesen kritischen und z.T. auch selbstkritischen Einsichten ist nicht etwa Buße und Umkehr zu biblischen Prinzipien, sondern eine Öffnung und Neuausrichtung auf die missionalen Verführungslehren und die Emerging Church-Bewegung, über die wir später noch mehr hören werden.

 

3. Die Emerging Church als Gemeindewachstums-Strategie für die Postmodernen

 

Auch die heute immer einflußreicher werdende Strömung der Emerging Church hat ihre Wurzeln zumindest teilweise in der Gemeindewachstumsbewegung. Sie wurde entwickelt und gefördert als kulturrelevante Bewegung für die jüngere „Generation X“, die nach den Baby Boomers kam und durch die Rezepte der Megagemeinden nicht wirksam angezogen werden konnte. Entsprechend dem McGavran’schen Prinzip der homogenen Einheit kamen die Gemeindewachstums-Experten dahin, jede Generation innerhalb der westlichen Kultur und darunter wieder zahlreiche Untergruppen als „homogene Einheit“ anzusehen, die jeweils mit einem eigens für sie zugeschnittenen Typ von Gemeinde erreicht werden müßte.

Die „Generation X“ wurde nun so dargestellt, daß sie mit dem Ansatz der heutigen „modern“ programmierten Megagemeinden nicht gut angesprochen werden könnte, weil sie vom Denken und Lebensgefühl der „Postmoderne“ geprägt sei. Das beinhaltet das Empfinden, daß es gar keine absolute Wahrheit geben kann, daß alle Wahrheit nur relativ sei und es viel mehr auf das Gefühl, die mystische Eingebung ankomme als auf den Verstand und die Logik.

Im postmodernen Denken findet eine Skepsis gegenüber Technik, Systematik und Machbarkeit ihren Ausdruck, der Rückzug ins Subjektive und Mystische, in die überschaubare Kleingruppe, verbunden mit einer subjektiven Auswahl von Bruchstücken von Sinngebung und Philosophie, Religiosität und Weltanschauung, Kunst und Lebensstil aus dem heute weltweit verfügbaren Kulturenmosaik.

Dementsprechend wurde eine „neue Generation von Leitern“ durch Schulungen, Gesprächsrunden und „Coaching“ herangezüchtet, die die zukunftsorientierte Gemeindeform des 21. Jahrhunderts entwickeln sollten. Für diese neue Gemeindegeneration entwickelte man den Namen „Emerging Church“ („die neu aufkommende, sich neu herausbildende Gemeinde“); andere Bezeichnungen sind „emergent conversation“, „Kirche der Postmoderne“ oder „missionale Gemeinde“.

Diese Strömung ist fast vollständig von den neueren „missionalen“ Irrlehren geprägt (vgl. weiter unten in diesem Buch). Anstelle der klassischen „Komm-Struktur“ (Fernstehende werden eingeladen, in die Gemeinde zu kommen) wird eine der „Missio Dei“ entsprechende „Geh-Struktur“ befürwortet: Gemeinschaften sollen in den Lebensbereichen der Zielgruppe entstehen und an die Kultur dieser Zielgruppe soweit wie möglich angepaßt sein.

Die neue Gemeindestruktur besteht überwiegend aus untereinander vernetzten Kleingruppen, die für die Subkulturen der jüngeren Generation „relevant“ sein sollten. Sie sollten nicht von einem quasi-apostolischen „Führungspastor“ dominiert werden, sondern von demütig-unautoritativ auftretenden „servant leaders“ (dienenden Leitern), die mit psychologischer Beeinflussung andere formen und fördern sollten (facilitators, coaches, mentors); das entspricht den Erkenntnisse des New Age und einiger davon beeinflußter führender Managementschulen; dazu wurde vielfach der uralte katholische Begriff des „Spirituellen Führers“ und der spiritual formation ins Spiel gebracht.

Das theologische Fundament dieser neuen Art von Gemeinden wurde ebenfalls noch einmal deutlich verändert gegenüber dem, was die Megagemeinden zumindest nach außen hin verkündeten. Dort blieb man im großen und ganzen im theologischen Rahmen des Evangelikalismus; das beinhaltete allerdings auch schon („gemäßigte“) Bibelkritik, charismatische Lehren und ökumenische Offenheit, neben anderen Irrlehren wie „positivem Denken“ à la Schuller.

In dieser neuen Bewegung wurde jedoch unter dem Vorwand, die postmodernen Skeptiker ansprechen zu wollen, eine radikale Form von Bibelkritik, ökumenisch-liberaler Theologie und Missiologie zugrundegelegt, die in dieser Form das bisher Übliche hinter sich ließ und eigentlich den offenen Bruch mit den Grundlehren der Bibel bedeutet.

In der Emerging Church herrscht die Irrlehre der „narrativen Theologie“ vor, die in der Bibel einfach nur eine große Geschichte sieht, eine bedeutungsvolle Geschichte, die dem Menschen helfe, Sinn und Orientierung zu finden, die aber subjektiv so oder so gedeutet werden könne und keine absolute Wahrheit, keine Lehre und keine Anweisungen enthalte. Die Inspiration und Irrtumslosigkeit der Bibel wird zumeist offen verworfen oder aber so beliebig umgedeutet, daß die Begriffe sinnentleert sind. Gott wird in völlig unbiblischer Weise als nur bedingungslos liebend bezeichnet; er übt kein Gericht und kennt keinen Zorn, nur liebende Annahme.

Die Aussagen über den Herrn Jesus Christus sind in liberalen Nebel gehüllt; Seine Gottheit wird vielfach in Frage gestellt der umgedeutet. Vor allem wird Sein vollkommenes Sühnopfer verdeckt oder offen verleugnet und damit der Kern des biblischen Evangeliums. Gott habe den Menschen einfach so vergeben; er habe kein Sühnopfer im Sinne einer stellvertretend von Christus getragenen Strafe benötigt.

Es wird mehr oder weniger offen eine Allversöhnung bzw. ein Inklusivismus verkündet, nachdem die Menschen alle schon erlöst und ins „Reich Gottes“ einbezogen sind, auch wenn sie nicht an Christus glauben. Buße, Bekehrung und Neugeburt aus dem Geist werden als unnötig beiseitegesetzt oder aber nach dem Vorbild der liberalen Ökumeniker so umgedeutet, daß der biblische Gehalt völlig verschwunden ist.

Andere Religionen haben nach den Irrlehren der Emerging Church auch einen Anteil an göttlicher Wahrheit; nachdem ja alle Wahrheit relativ ist und die Bibel angeblich auch nur etwas Wahrheit enthält, geht es nicht mehr um Bekehrung der Hindus, Buddhisten oder Moslems vom Götzendienst, sondern um gleichberechtigten Dialog in gemeinsamer Suche nach der Wahrheit. Die Emerging Church ist also nicht nur radikal ökumenisch mit einer starken Hinwendung zur römischen Kirche, sondern auch konsequent bereit zur Religionsvermischung. Das hängt auch damit zusammen, daß in ihr die Mystik einen hohen Stellenwert hat, und zwar sowohl in ihrer heidnischen Spielart (Yoga, Zen), als auch in ihrer römisch-katholischen Spielart (Ignatius von Loyola; Bruder Lorenz, Madame Guyon; Thomas Merton; Henri Nouwen).

Wesentlich für die Emerging Church ist die „Reich-Gottes“-Irrlehre, auf die wir unten noch zu sprechen kommen: die Gemeinde sei berufen, das „Reich Gottes“ hier und jetzt zu verwirklichen durch spirituelle, soziale und politische Aktivitäten. Das Reich Gottes sei umfassender als die Gemeinde; Gott wirke bereits überall in der Welt, in allen Religionen und Kulturen, und die Gemeinde müsse nur in dieses Wirken und die „Mission Gottes“ (missio dei) einsteigen („missional aktiv werden“) und sich völlig mit der umgebenden Kultur eins machen („inkarnatorisch“ wirken). Es gehe nicht um Buße und Bekehrung des Einzelnen im Sinne des biblischen Evangeliums, sondern ganze Gemeinschaften müßten „transformiert“ und in das „Reich Gottes“ hineingebracht werden; es geht um „Gesellschaftstransformation“ durch „spirituell-soziale Aktion“.

In der Emerging Church wurden bewußt bibelkritische, liberaltheologische Irrlehren aufgegriffen und ausgestaltet. Die Theologen, auf die sie sich berufen, sind praktisch alle dem liberalen Lager zuzuordnen: Karl Barth, Jürgen Moltmann, Ernst Brueggemann, Miroslav Volf, Lesslie Newbigin, David Bosch, Norman T. Wright. Sie sind überwiegend Liberale mit „konservativen“ Akzenten, grenzen sich gegen extrem-liberale Lehren ab, verkünden aber selbst ebenso falsche Lehren, die lediglich einen etwas orthodoxeren Anstrich haben.

Interessanterweise hat Newbigin die Gemeindewachstumsbewegung verschiedentlich kritisch erwähnt, weil sie zu „gemeindezentriert“ und zuwenig „reichsorientiert“ sei, und diese Kritik wird von vielen aus der Emerging Church geteilt; sie grenzen sich von der Zahlenorientierung und dem Pragmatismus etwa der Megagemeinden ab, aber selbst vertreten sie noch unbiblischere Lehren und gehören objektiv zum weiteren Kreis der Gemeindewachstumsbewegung dazu.

Die Emerging Church-Bewegung ist bewußt vielgestaltig, offen für alle möglichen Verbindungen, als undogmatischer Dialog ohne Grenzen und Denktabus ausgelegt worden. Sie vereinigt Elemente der Mystik, des New Age und der weltlichen (postmodernen) Philosophie mit einer zeitgerecht aufgemachten Mischung von Irrlehren der liberalen Theologie, der ökumenischen Bewegung und des älteren Neoevangelikalismus. Sie ist ausgesprochen intellektualistisch angehaucht und wird der jüngeren Generation (30-40jährige) pseudochristlicher Bibelschüler, Theologiestudenten und Gemeindemitarbeiter aus dem Spektrum des Evangelikalismus getragen.

Auffällig ist, wie viele führende Leute früher in charismatischen Gemeinden, besonders der Vineyard-Bewegung, waren. Ihr Gedankengut verbreitet sich durch Bücher, mehr aber noch durch das Internet mithilfe zahlreicher „Blogs“ (Internet-Tagebücher, in denen Texte, Videos und Audiovorträge, eigene und fremde Gedankensplitter und Kommentare veröffentlicht und von deren kommentiert werden).

Die Emerging Church ist vielfältig mit der Bewegung der Megagemeinden und auch mit den anderen Unterströmungen vernetzt; sowohl Rick Warren als auch Bill Hybels haben prominente Sprecher der neuen Bewegung eingeladen und empfohlen (So sprach Anfang 2011 der Emerging Church-Irrlehrer Rob Bell in Deutschland auf einem Willow-Creek-Jugendkongreß). Sie haben auch zahlreiche lehrmäßige und personelle Querverbindungen mit den neuen „organischen“ Gemeindegründungsbewegungen (Alan Hirsch etwa bewegt sich in beiden Kreisen).

Unter den liberalen Evangelikalen werden sie überwiegend freundlich aufgenommen und vielfach als „Gemeinde der Zukunft“ aktiv gefördert, auch in Deutschland. In gewisser Weise sind sie eine „kulturrelevante“ und religionsvermischende Gemeindegründungsbewegung für die Länder der „christlich-abendländischen Kultur“. Man hört auf sie und unterstützt sie, weil sie ganz dem Denkansatz der missionalen Gemeindewachstumsbewegung entsprechen, verschiedene Zielgruppen mit angepaßten (kontextualisierten) Gemeindemodellen zu erreichen.

 

4. „Missional-organische“ Gemeindegründungsbewegungen

 

Ein weiterer bedeutungsvoller und rasch wachsender Zweig, der aus dem Stamm der Gemeindewachstumsbewegung entsprang, sind die neuen Gemeindegründungsbewegungen (engl.: church planting movements). Die Mehrzahl ist bewußt gewählt, denn hier handelt es sich nicht um eine einheitliche Bewegung, sondern um ein Netzwerk zahlreicher miteinander verflochtener Gemeindegründungsbewegungen.

Diese Bewegungen grenzen sich mehr oder minder deutlich von der Strategie der Megagemeinden ab und setzen dagegen auf die bewußte Züchtung kleiner, sich rasch vermehrender Zellgemeinden, die von apostolisch arbeitenden „Visionären“ und „Strategen“ in bestimmten Zielgruppen (homogenen Einheiten) gepflanzt werden. Diese Gemeindegründungsbewegungen greifen entsprechende Vorstellungen McGavrans neu auf und folgen dem Vorbild früherer Massenbewegungen („people movements“).

Diese Bewegungen wurden stark gefördert von Führern und Lehrern wie Ralph Winter und seinem U.S. Center for World Mission, Jim Montgomery und seiner DAWN-Bewegung („Discipling A Whole Nation“) sowie Ralph Neighbour und Robert Logan. Heutige Lehrer mit großem Einfluß in diesen Bewegungen sind u.a. Neil Cole, Ed Stetzer, Wolfgang Simson, David Garrison und Alan Hirsch.

Ihr Ziel entspringt der unbiblischen Reich-Gottes-Irrlehre, nach der es Gottes Plan sei, hier und heute Sein Reich auszuweiten auf alle Völker, indem ganze Völker zu Jüngern gemacht würden, was nur möglich ist durch Massenbewegungen, die diese Völker, Stämme und Volksgruppen „christianisieren“, statt auf individuelle Bekehrung und Wiedergeburt hinzuarbeiten. Diese Bewegungen sind zumeist stark vom charismatischen Irrgeist und seinen unbiblischen Lehren durchdrungen. Aber auch die ökumenische „missionale“ Irrlehre hat ihren Eindruck hinterlassen.

Ein Zweig der Gemeindegründungsbewegungen arbeitet vorwiegend unter unerreichten Volksgruppen, d.h. schwer zugänglichen, bisher noch kaum oder gar nicht evangelisierten Volksgruppen in Asien, Afrika und Lateinamerika; der Schwerpunkt liegt hier in Asien. Hier liegt ein Bereich, der besonders durch Ralph Winter, sein Institut für Weltmission und eine Reihe damit verbundener Einrichtungen gefördert wird.

Eine andere wichtige Einrichtung, die diese Bewegungen gefördert hat, ist das Board of Mission der Southern Baptists. Sie haben seit den 90er Jahren eine ganze Reihe von apostolisch arbeitenden Missionaren („Strategiekoordinatoren“) eingesetzt, die bewußt und gezielt lokale Gemeindegründungsbewegungen in einzelnen Volksgruppen in Gang zu setzen versuchten.

Hier sind führende Leute David Garrison und David Watson, der sich inzwischen von den Southern Baptists unabhängig gemacht hat. Eine andere, verwandte Gruppierung ist die 1983 von Greg Livingstone gegründete charismatisch orientierte Mission Frontiers, die in islamischen Ländern und Volksgruppen arbeitet und dabei verführerische „Kontextualisierungs“methoden einsetzt.

Ein verwandter Zweig besteht in verschiedenen offen charismatisch-apostolisch arbeitenden Netzwerken der Hauskirchen-Bewegung (house church movement), die besonders in England und den USA wirksam ist. Diese Bewegung ist gekennzeichnet durch extremcharismatische Lehren und teilweise straffe Leitung durch apostolisch auftretende Führer. Diese Strömung lehnt großenteils jede kirchlichen Leitungsstrukturen, aber auch die biblische Ältestenschaft ab und orientiert sich an einem charismatisch-apostolischen Leiterschaftsmodell.

Ein etwas pragmatischer orientierter Zweig dieser Gemeindegründungsbewegungen ist mit evangelikalen Kirchenverbänden (Denominationen) in den USA verbunden und strebt neue Gemeindegründungen im Rahmen bestehender Kirchenverbände an, um besondere Zielgruppen zu erreichen (Subkulturen und Volksgruppen in bestimmten Regionen oder Großstädten). Dazu gehört auch Tim Keller mit seiner Redeemer Presbyterian Church in New York.

Eine sehr aktive, wenn nicht führende Rolle in dieser Strömung scheinen die Southern Baptists zu spielen, und einer ihrer Sprecher ist Ed Stetzer, ein ehemaliger Professor und aktiver Gemeindegründer, der eine führende Position im Rahmen des North American Mission Board der Southern Baptist Convention innehat. Diese Strömung unterhält freundschaftliche Verbindungen auch zu Rick Warren. Auch bei dieser Strömung ist die „missionale“ Irrlehre der liberalen Ökumeniker voll einbezogen.

 

Dieser Beitrag ist ein gekürzter Auszug aus dem Buch von Rudolf Ebertshäuser: Zerstörerisches Wachstum. Wie falsche Missionslehren und verweltlichte Gemeindebewegungen die Evangelikalen unterwandern.

Hier können Sie den ausführlicheren Beitrag herunterladen, aus dem dieser Auszug stammt:

Die Entstehung und die geistlichen Wurzeln der „Gemeindewachstumsbewegung“

 

 

Auf dieser Webseite können Sie einen ausführlichen Auszug aus diesem Buch herunterladen:

Gemeindegründungsbewegungen – Gemeindewachstumskonzepte – neue Missionslehren unter den Evangelikalen. Eine Stellungnahme aus bibeltreuer Sicht

 

 

Weiterführende Literatur:

 

Rudolf Ebertshäuser: Zerstörerisches Wachstum. Wie falsche Missionslehren und verweltlichte Gemeindebewegungen die Evangelikalen unterwandern. Steffisburg (Edition Nehemia) 3. Aufl. 2015; gebunden, 544 S.

Rudolf Ebertshäuser: Aufbruch in ein neues Christsein? Emerging Church – Der Irrweg der postmodernen Evangelikalen. Steffisburg (Edition Nehemia) 2008, Taschenbuch, 256 S.

Rudolf Ebertshäuser: Soll die Gemeinde die Welt verändern? Das „Soziale Evangelium“ erobert die Evangelikalen. Steffisburg (Edition Nehemia) 2014, Taschenbuch, 276 S.

Rudolf Ebertshäuser: Kulturrelevante / Missionale Gemeinden. überblick + durchblick 3. Steffisburg (Edition Nehemia) 2014

Rudolf Ebertshäuser: Emerging Church / Emergente Bewegung. überblick + durchblick 1. Steffisburg (Edition Nehemia) 2013

 

Diese Bücher können Sie bei Ihrem christlichen Buchhändler bestellen. Sie erhalten es u.a. für die Schweiz bei der Edition Nehemia, für Deutschland und Österreich bei der Versandbuchhandlung Samenkorn.

 

 

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