Das Jahr 2010 ist zum „Jahr der Stille“ erklärt worden. Über 50 Verbände, Werke und Gemeinden haben sich zusammengeschlossen, um in der christlichen Öffentlichkeit dafür zu werben, in diesem Jahr besonders die Stille zu suchen. In einer Erklärung der Evangelischen Allianz dazu heißt es: „Das Jahr der Stille will helfen, Balance zu finden. Ein gesundes Gleichgewicht zwischen Arbeit und Ruhe. Gottes faszinierenden Lebensrhythmus entdecken, den er selbst in uns angelegt hat. Neue Impulse bekommen über das fruchtbare Wechselspiel von Aktion und Stille. Stille einbauen lernen in den ganz normalen Alltag von Beruf, Familie und Gemeinde“.
Zum Trägerkreis dieser Initiative gehören einflußreiche evangelikale Werke und Verbände wie die Evangelische Allianz in Deutschland, Gnadauer Gemeinschaftsverband, Bund Freier Evangelischer Gemeinden, Jugendverband EC, Jugend für Christus Deutschland, Heilsarmee Deutschland, Willow Creek Deutschland, „Kirche mit Vision“ Deutschland, Campus für Christus, die Navigatoren, der Bibellesebund u.a.m. Dabei sind auch charismatische Gruppen wie die „Geistliche Gemeinde-Erneuerung“ in der EKD, Adoramus-Gemeinschaft, Aglow sowie auch ökumenisch-liberale Gruppen wie die Deutsche Bibelgesellschaft und die Selbstständige Evangelisch-Lutherische Kirche (SELK).
Was ist von dieser Initiative zu halten? Zunächst einmal knüpfen die Befürworter des „Jahres der Stille“ an ganz zutreffende Beobachtungen an. Zu recht weisen sie darauf hin, daß die meisten Menschen heute gehetzt und getrieben werden von viel zu vielen Beschäftigungen, daß sie durch den Druck der Arbeit und der Alltagsaktivitäten kaum noch zur Ruhe und Besinnung kommen und überflutet werden mit zu vielen Informationen und Impulsen. Es ist wahr, daß Gott selbst uns durch den Ruhetag (Sabbat) zeigen möchte, daß der Mensch auch ein Zur-Ruhe-Kommen und Stillwerden braucht. Ganz gewiß besteht auch aus geistlicher, bibeltreuer Sicht bei vielen Gläubigen ein Mangel an Stille und innerer Ruhe vor Gott; wer von uns wünschte sich nicht mehr Zeit für Bibellesen und Gebet?
Und doch können bibeltreue Christen diese Initiative nicht begrüßen. Wenn man sich die offiziellen Materialien für das „Jahr der Stille“ ansieht, wird rasch deutlich, daß hier nicht die biblische Begegnung mit Gott in der Stille gefördert wird, das geistgeleitete Nachsinnen über Gottes Wort und das Gebet im biblischen Sinn. Manche Formulierungen werden zwar gebraucht, die diesen Anschein erwecken sollen. Doch bei genauem Hinsehen wird offenbar, daß stattdessen für etwas ganz anderes Werbung gemacht wird. Wir zitieren im folgenden aus dem offiziellen Ideenheft dieser Initiative.
Die beteiligten Christen sollen durch Meditation und Stille, Entleerung von sich selbst zu einer „Gottesbegegnung“ geführt werden. Dr. M. Gerland, Pfarrer für Meditation, schreibt:„Menschen gehen in die „Wüste“, um leer zu werden, stille zu werden, zu schweigen, zu hören, was das Leben bzw. Gott [!!] ihnen zu sagen hat. (…) Aus diesem Schweigen erwächst ein neues Hören auf das, was mir von einer anderen Welt, von Gott her, gesagt wird“ (S. 14/15). Das Ziel der gelenkten meditativen Stille ist wesentlich ein mystisch verstandenes „Hören auf Gott“. Es wird in den Beiträgen immer wieder betont, daß man das „Reden Gottes“ auf neue Weise suchen und finden solle. Damit ist das Hören auf innere Eindrücke und Stimmen gemeint, wie es auch mit der charismatischen Verführungspraxis des „Hörenden Gebets“ empfohlen wird. Hier wird der meditierende Mensch dazu verleitet, auf die trügerische Stimme falscher Geister zu hören, für die sie durch die Meditationsrituale offen gemacht werden.
Immer wieder wird betont, daß es wichtig für das Stillewerden sei, „gute Rituale“ und „Stilleübungen“ zu praktizieren. Der Meditationspfarrer Gerland empfiehlt in dem Ideenheft eine solche Übung:
„Ich lade Sie zu einer Übung ein, die Ihnen helfen will, zur Stille zu kommen und sich dem Geheimnis der Gegenwart Gottes zu öffnen (…) Suchen Sie sich einen stillen Ort in Ihrer Wohnung oder in einer Kirche. Zünden Sie eine Kerze an. Bevor Sie sich auf Ihrem Platz niederlassen, beginnen Sie in den Knien zu wippen, zunächst langsam und dann immer heftiger, bis der ganze Körper in eine Schüttelbewegung kommt. Streifen Sie mit den Händen den Körper ab und hauchen Sie alle verbrauchte Luft aus. Führen Sie die Handflächen zusammen und verneigen Sie sich vor dem Geheimnis der Gegenwart Gottes. (…) Nehmen Sie Ihren Atem wahr, wie er kommt und geht, ohne ihn zu verändern … Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf das Ausatmen, legen Sie in das Ausatmen alle innere Unruhe und lassen Sie sie mit dem Atem abfließen (…) Lassen Sie nun die Stille mit jedem Atemzug in sich einströmen (…) Wiederholen Sie die Worte mehrfach leise im Inneren … Hin zu Gott ist stille meine Seele – lauschen Sie in diese Stille … Gott ist da und Sie sind da … verweilen Sie, ruhen Sie in seiner Gegenwart, solange es ihnen möglich ist. Öffnen Sie langsam wieder die Augen, lösen Sie sich aus der Meditationshaltung. Führen Sie Ihre Hände vor der Brust zusammen und verneigen Sie sich vor der Gegenwart Gottes.“ (S. 15).
So müssen wir festhalten: dieser Initiative geht es nicht darum, das biblisch verstandene Gebet und die so wichtige Stille und Andacht der Gläubigen vor Gott zu fördern. Vielmehr wird unter evangelikalen Christen für heidnische Meditation und katholische Mystik geworben. Man redet von „Hilfen, um in die Stille zu finden“; was aber angeboten wird, stammt aus dem Repertoire buddhistisch-heidnischer Meditationstechniken. Das gilt besonders für die Empfehlung, auf den eigenen Atem zu achten und mithilfe des Atems symbolisch Negatives „auszuatmen“ und Positives „einzuatmen“. Das ist letztlich eine magische Handlung, wie sie auch buddhistische und hinduistische Meditationsmeister empfehlen. Auch die Aufforderung zum innerlichen „Leerwerden“ und zur „Achtsamkeit“ entstammt der buddhistisch-esoterischen Meditationstechnik.
Dasselbe gilt für Rituale wie das Entzünden einer Kerze oder das Einnehmen besonderer Körperhaltungen, das Nachspüren der „Erdung“ der Füße oder das Betrachten eines Kreuzes. Das alles dient dazu, den Meditierenden in einen tranceähnlichen veränderten Bewußtseinszustand zu bringen, wo er dann Erlebnisse mit Geistern machen kann, die als „Gegenwart Gottes“ oder „Reden Gottes“ angepriesen werden. Auch die eingebauten Elemente katholisch-orthodoxer Mystik sind keineswegs „christlich“ oder für Gläubige unbedenklich. Sie sind ebenfalls okkulte Wege zur Kontaktaufnahme mit trügerischen Geistern, die sich als „Gott“ ausgeben. Das ostkirchliche „Immerwährende Herzensgebet“ etwa ist nichts anderes als ein heidnisches Mantra, das durch ständige Wiederholung (vgl. die Warnung des Herrn, wir sollten nicht „plappern wie die Heiden“, Mt 6,7) andere Bewußtseinszustände herbeiführen soll.
Die ganze Vorstellung von „Stille“, die dieser Kampagne zugrundeliegt, ist heidnisch-mystisch geprägt und nicht biblisch begründet, auch wenn immer wieder entsprechende Bibelverse angeführt werden. Das biblische Gegenstück der Stille und Andacht vor Gott beruht nicht auf unpersönlichen Techniken zur Bewußtseinsveränderung. Der Gläubige hat den Heiligen Geist innewohnend in sich und hat allezeit durch den Geist Gottes und Jesus Christus Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott. Der echte Gläubige braucht herausgenommene Zeiten der Stile, um mit Gott enge Gemeinschaft zu pflegen und sich Ihm im Gebet zu nahen. Gerade aber die klassische „Stille Zeit“ wird in den Beträgen zum „Jahr der Stille“ unterschwellig als ungenügend dargestellt. Man brauche „besondere Orte der Stille“, wie etwa katholische Kirchen oder katholisch-ökumenische Stille- und Retraitehäuser oder zumindest einen Hausaltar („Herrgottswinkel“) mit Bildern und Kerzen.
Wir brauchen als Gläubige gewiß auch mehr Zeit, um vor Gott stille zu werden und über dem Wort Gottes nachzusinnen und auch, um Gott im Gebet zu suchen. Aber dazu wollen wir nicht unser Bewußtsein entleeren, nicht „uns selber spüren“; wir wollen nicht Kerzen entzünden und auf unseren Atem achten. Wir haben im Geist unmittelbaren Zugang zu Gott im himmlischen Heiligtum. Wir dürfen unsere Gebete und Bitten kindlich im Glauben vor Gott aussprechen, anstatt beständig Mantraformeln vor uns hinzumurmeln. Es ist gut, wenn wir uns mehr Zeit nehmen, in Gottes Wort zu lesen und Ihn zu bitten, durch Sein Wort zu uns zu reden. Wir wollen uns aber hüten, auf irgendwelche „innere Stimmen“ und angebliches „Reden Gottes“ durch mystische Erlebnisse zu warten.
Die neue Aktion, an der führende Evangelikale beteiligt sind, die es eigentlich besser wissen müßten, bringt nur Verführung und eine weitere Irreleitung der Evangelikalen hin zur katholischen Kirche und ihrer falsche Religion. Hier wird an dem Ausbau der babylonischen Endzeitkirche mitgewirkt, anstatt echtes Glaubensleben zu fördern. Alle wahren Gläubigen tun gut dran, diese Aktionen zu meiden – und auch die Kirchen und Werke, die solche ökumenischen Verführungskampagnen fördern und in ihren Reihen durchführen.
[Rudolf Ebertshäuser – Dezember 2009 veröffentlicht auf www.das-wort-der-wahrheit.de]
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Ausführlicher wird das Thema in der Schrift desselben Verfassers behandelt:
Meditation und Mystik für Christen. Die „neue Spiritualität“ verführt die Evangelikalen
Weiterführende Literatur:
Rudolf Ebertshäuser: Aufbruch in ein neues Christsein? Emerging Church – Der Irrweg der postmodernen Evangelikalen. Steffisburg (Edition Nehemia) 2008, Taschenbuch, 256 S.
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