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Leider übernehmen auch die meisten gläubigen Verteidiger der Textkritik die einseitig gefärbte, ungerechte Sichtweise der Arbeit von Erasmus, die von den ungläubigen Textkritikern verbreitet wird. Diese Leute konstruieren aufgrund von völlig unzureichenden Beweisen ein verzerrtes Bild von dem schlampigen Herausgeber Erasmus, der offenkundig das ABC seines Handwerks nicht beherrscht und nicht beherzigt habe. Sie tun so, als wüßte niemand, daß Erasmus gerade in der Herausgabe von Schriften mit die erste Autorität seiner Zeit war und sicherlich weitaus mehr Erfahrung mitbrachte als seine späteren Kritiker. Sie unterstellen Erasmus ohne ausreichende Beweise schwerwiegende Versäumnisse:

* Erasmus habe einige Setzfehler im Textus Receptus bis zum Schluß übersehen

* Erasmus habe zahlreiche Stellen aus der lateinischen Vulgata ins Griechische übersetzt, ohne es anzugeben

* Erasmus habe an bestimmten Stellen einen Text, der in keiner griechischen Handschrift stehe.

Dabei stützen sie sich u. a. auf den wiederentdeckten „Codex Maihingen“ und Franz Delitzschs Kritik an der Arbeit von Erasmus. Franz Delitzsch war ein bekannter Theologe des 19. Jh., der lange Jahre konservativ arbeitete, aber später bibelkritische Auffassungen übernahm. Auch er ist kein vertrauenswürdiger Zeuge gegen den Textus Receptus, und man darf seine angeblichen „gesicherten Forschungsergebnisse“ keinesfalls ungeprüft übernehmen.

 

1. Hat Erasmus Fehler übersehen?

 

Alle diese Behauptungen sind nicht wirklich bewiesen oder beweisbar. Dazu fehlen viel zu viele Faktoren im Gesamtbild von Erasmus’ Herausgebertätigkeit. Wenn z. B. gesagt wird, der gedruckte Text sei in einigen Punkten von der Vorlage des Codex Maihingen abgewichen, so muß das keine Schlampigkeit sein, sondern kann auf eine spätere schriftliche oder mündliche Korrekturanweisung von Erasmus zurückzuführen sein, die nicht mehr erhalten ist.

Wenn ein Texthistoriker in 100 Jahren die Erarbeitung der Schlachter-Revision aufgrund einiger zufällig erhalten gebliebener schriftlicher Unterlagen rekonstruieren wollte, dann müßte er zwangsläufig auf die kühnsten und abwegigsten Behauptungen kommen, weil er die Einzelheiten des Arbeitsprozesses gar nicht mehr zuverlässig nachvollziehen kann!

Wenn Erasmus seinen Text der Offenbarung in der 4. Auflage mit der Complutensischen Polyglotte vergleicht und an mindestens 90 Stellen abändert, dann wäre es nur normal und gerecht, anzunehmen, daß er die übrigen Wörter bewußt beibehalten hat, weil er dafür Handschriftenzeugnisse hatte, die uns nicht mehr erhalten sind. Es ist willkürlich und parteiisch, hier eine Nachlässigkeit oder absichtliche Schludrigkeit zu unterstellen. Niemand kann schlüssig beweisen, daß hier „Schreibfehler“ ohne Handschriftengrundlage stehen geblieben sind, denn dazu fehlt uns einfach heute das Faktenmaterial.

Daß z. B. der erfahrene Philologe Erasmus mit seiner großen Griechischkenntnis offenkundig falsche Wortformen stehen ließ, die andere mit Leichtigkeit als solche erkennen können, scheint mir eine gewagte Behauptung, die erst einmal klar bewiesen werden muß. Bestimmte griechische Wortformen, die in den wenigen heute erhaltenen Handschriften der Offenbarung nicht vorkommen, können durchaus in Handschriften, die Erasmus vorlagen, gestanden haben. Bestimmte Formen, die es angeblich im Griechischen nicht gibt, können von den neutestamentlichen Autoren eigens geprägt worden sein (dafür gibt es auch andere Beispiele).

Daß Beza und Stephanus, ihrerseits fähige Gelehrte und zudem wahre Gläubige, solche „Fehler“ stillschweigend oder aus Schlamperei übernommen hätten, ist noch unglaubwürdiger. Stephanus z. B. hat den Text des Erasmus an verschiedenen Stellen verbessert und durchgängig mit anderen Handschriften verglichen. Solche Behauptungen dienen dazu, die Herausgeber des Textus Receptus in ein schlechtes Licht zu stellen.

 

2. Hat Erasmus mehrere Passagen des NT stillschweigend aus der Vulgata rückübersetzt?

 

Ebenso ist es eine unbewiesene Unterstellung, wenn die Kritiker einfach behaupten, Erasmus habe bestimmte Passagen aus der Vulgata übersetzt, wenn Erasmus dies nicht ausdrücklich angibt. Was gibt ihnen dazu die Berechtigung? Erasmus hat es dort offen zugegeben, wo er es tat. Weshalb ihm dann Täuschung unterstellen? Allein die Tatsache, daß seine normale Druckvorlage einen anderen Text hat, kann jedenfalls kein beweis dafür sein, daß eine Stelle aus der Vulgata übernommen wurde. Das widersprach ja völlig dem Grundanliegen des Erasmus, der die Vulgata ja aufgrund der griechischen Textüberlieferung in Frage stellte.

Wir müssen davon ausgehen, daß Erasmus für seine Textentscheidungen noch andere Unterlagen als die Baseler Handschriften hatte, z. B. seine umfangreichen Vorarbeiten für die lateinische Übersetzung mit Lesarten anderer Handschriften; aber auch evt. schriftliche Unterlagen von Freunden, die für ihn Lesarten oder Handschriftenauszüge abschrieben, oder sogar geliehene Handschriften, die heute nicht mehr erhalten sind. Jedenfalls ist eine solche Behauptung nicht beweisbar und willkürlich.

 

3. Enthält der Textus Receptus Lesarten, die sich in keiner einzigen griechischen Handschrift finden?

 

Dasselbe gilt für die Behauptung, Erasmus habe viele Lesarten in den Text gebracht, die so in keiner einzigen griechischen Handschrift des NT stehen würden. Das klingt für den Laien beeindruckend und einschüchternd, aber es ist ein Argument, das nicht sticht!

1. müssen wir davon ausgehen, daß sowohl Erasmus als auch Stunica, Stephanus und Beza Zugang zu einer ganzen Anzahl griechischer Handschriften hatten, die uns heute nicht mehr zugänglich sind. In den vergangenen 3 –BC²C Jahren sind ja unvermeidlich eine ganze Anzahl von Handschriften durch Kriegseinwirkung, Vernachlässigung usw. untergegangen oder vielleicht auch nur verschollen, die damals verfügbar waren.

Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, daß alle damals verwendeten Handschriften heute auch noch vorhanden und bekannt sind. Also kann man heute gar nicht mit Bestimmtheit sagen: „Diese Lesart findet sich nicht in der griechischen Textüberlieferung“ oder „Erasmus muß diese Lesart aus der Vulgata übernommen haben“. Die unbekannte Größe der heute nicht mehr zugänglichen Handschriften macht jede solche Behauptung zu einer bloßen Vermutung.

2. müssen wir aber auch daran erinnern, daß die etwa 5 000 heute noch existierenden Handschriften des Mehrheitstextes zum allergrößten Teil noch gar nicht wissenschaftlich erschlossen sind. Von den meisten Handschriften des Mehrheitstextes weiß man also gar nicht mit Bestimmtheit, welche Lesart sie z. B. in Apg 8,37 haben, weil sich kein Textforscher die Mühe gemacht hat, diese nach offiziellem Gelehrtenurteil für die Textkritik unwichtigen Handschriften genau durchzuarbeiten. Sie wurden nur nach einigen Stichproben als „byzantinisch“ eingestuft und dann beiseitegelegt. Aus diesem Grund kann heute gar niemand mit Bestimmtheit behaupten, daß eine Textus-Receptus-Lesart „sich in keiner einzigen griechischen Handschrift findet“, wie dies oft getan wird.

Wenn die Textus-Receptus-Gegner wahrheitsgetreu argumentierten, dann müßten sie sagen: „Diese Lesart findet sich in keiner einzigen von der Textkritik ausgewerteten Handschrift, die uns durch den Apparat einer kritischen Textausgabe zugänglich ist. Allerdings sind die meisten Handschriftenzeugen an dieser Stelle noch nicht erforscht worden, und wir können nur hoffen, daß die von uns angeführten Zitate in den kritischen Apparaten stimmen, denn natürlich konnten wir uns nicht selbst davon überzeugen, daß die Handschriftenexperten in jedem Fall die Handschrift richtig entziffert haben.“

Es ist nicht auszuschließen, daß, wenn die Masse der Handschriften des Mehrheitstextes einmal wirklich erfaßt wird, manche heute von den Kritikern verdammten Textus-Receptus-Stellen „ohne griechische Handschriftenbezeugung“ von vielen, vielleicht sogar von der Mehrheit aller erhalten gebliebenen Handschriften bezeugt wird. Auf jeden Fall sollte jeder Textkritiker fairerweise zugeben, daß er bei unvollständiger Erforschung des Beweismaterials eine solche selbstsichere Unterstellung gegen den Textus Receptus nicht aussprechen darf.

 

4. War Erasmus bei der Herausgabe des Textus Receptus nachlässig?

 

Wir müssen bei der Frage, wie korrekt Erasmus gearbeitet hat, ganz „sachlich-wissenschaftlich“ argumentiert, auch bedenken, daß die Ausgabe des NT für Erasmus eine seiner wichtigsten Werke war. Erasmus war sich der Bedeutung dieses Werkes wohl bewußt, und er hatte schon aus seinem Gelehrtenehrgeiz heraus gewiß alles getan, um in dieser Ausgabe sorgfältig zu arbeiten. Er wußte auch, daß sie von hunderten seiner Freunde und Gegner sorgsamst durchgelesen werden würde, wobei die Gegner alles tun würden, um ihn damit in Mißkredit zu bringen.

Wir müssen also schon menschlich davon ausgehen, daß Erasmus einen starken Anreiz hatte, an dieser Ausgabe gewissenhaft weiterzuarbeiten, alles nach 1516 erreichbare Handschriftenmaterial zu verwerten und seinen Text hieb- und stichfest abzusichern. Tatsächlich hat er jede seiner 5 Auflagen des Textus Receptus durchgesehen und an bestimmten Stellen verbessert.

Den kühn konstruierten Anklagen gegen Erasmus ist nur deshalb kaum widersprochen worden, weil kaum ein akademischer Gelehrter ein Interesse daran hat, die tatsächlichen Umstände der erasmischen NT-Ausgabe aufzuklären. Wenn es irgendwelche Gelehrte z. B. unternommen hätten, zu behaupten, daß Luthers 95 Thesen in Wirklichkeit von Staupitz stammten und von Luther aus Ehrsucht im eigenen Namen veröffentlicht worden wären, oder daß Calvin seine Institutiones heimlich von einem katholischen Theologieprofessor abgeschrieben habe, dann gäbe es einen Sturm in der Fachliteratur; es würden klare Beweise verlangt, viele Forscher würden Luther und Calvin verteidigen und die Argumente der Kritiker bis ins kleinste untersuchen und widerlegen. Aber wer ist daran interessiert, die Beweislage im „Fall Erasmus“ genau zu sichten und die vorgebrachte Kritik auf ihre Richtigkeit zu prüfen?

Aus dem Gesichtspunkt des Glaubens an die Bewahrung Gottes über dem überlieferten Bibeltext her gesehen dürfen wir sagen: Wir glauben, daß Erasmus bei allen menschlichen Schwächen und Unvollkommenheiten so gelenkt wurde, daß er eventuelle anfängliche Fehler in den späteren Ausgaben des Textus Receptus korrigierte. Wir weisen die unbewiesenen und unbeweisbaren Unterstellungen der Textkritiker zurück, die behaupten, im Textus Receptus seien Fehler enthalten, die nie korrigiert worden seien.

 

5. Stellen im Textus Receptus, die nur von wenigen Handschriften bezeugt sind

 

Von manchen Kritikern des Textus Receptus wird ihm auch vorgeworfen, daß er an einigen Stellen Lesarten bezeugt, die nur von sehr wenigen heute erhalten gebliebenen griechischen Handschriften unterstützt werden. Dieser Einwand kommt eher von solchen Gläubigen, die den sogenannten „Mehrheitstext“ für den besten Text des NT halten; die klassischen Befürworter der Textkritik, die ja viele ihrer Nestle-Aland-Lesarten auf sehr wenige alte Textzeugen stützen, können eigentlich die geringe Zahl von Textzeugen schlecht als Argument gegen den Textus Receptus anführen. Sie greifen dann eher den Umstand an, daß es sich überwiegend um spätere Textzeugen handelt, denen sie unterstellen, sie seien unzuverlässig und unbrauchbar.

Hier wird also der Umstand angegriffen, daß der Textus Receptus, der zu ca. 98% mit der Mehrheitstextüberlieferung übereinstimmt, an bestimmten Punkten auch von ihr abweicht. Ist das nicht ein stichhaltiges Argument? Müßte nicht der bewahrte Text überall von der Mehrheit der Handschriften bezeugt sein? Hier müssen wir aber, wenn wir uns schon auf dem Boden „wissenschaftlicher“ Argumente bewegen, einmal einige „empirische“ Überlegungen einfließen lassen.

Wir haben oben schon erwähnt, daß die heute erhalten gebliebenen über 5.000 Handschriften des NT nur einen kleinen Ausschnitt aus der Gesamtzahl aller jemals existierenden Handschriften darstellen. Die weitaus größte Zahl der jemals erstellten NT-Handschriften ist durch Abnutzung, Verfolgungen, Klimaeinwirkungen u. a. untergegangen. Wir liegen sicher nicht zu hoch, wenn wir von einer Gesamtzahl von 50.000 bis zu 100.000 NT-Handschriften ausgehen.

Damit ist uns also heute nur ein Rest von höchstens etwa 10 % des gesamten Handschriftenbestandes zugänglich. 90 Prozent sind untergegangen und stehen nicht mehr für die Erforschung des Textes zur Verfügung. Wenn also eine Lesart des Textus Receptus sich nur in 2 heute erhalten gebliebenen byzantinischen Handschriften findet, dann ist sie zwar im Hinblick auf den heute erhaltenen Handschriftenrest eine „Minderheitenlesart“, aber es wäre durchaus denkbar, daß sie in der Mehrheit aller je existierenden byzantinischen Handschriften stand. Zumindest könnte sie im 1. bis 4. Jh. in den zahlreichen bewahrten, vom Urtext abgeleiteten Mehrheitstext-Handschriften gestanden haben.

Vielfach wird auch für diese „Minderheitenlesarten“ des Textus Receptus der Einwand angeführt, daß sie sich z. T. mit der „Vulgata“, der katholischen Bibelübersetzung aus dem 4. Jh., decken. Ganz nüchtern muß man dazu als überzeugter Gegner der katholischen Kirche festhalten: Die Vulgata ist ein ernstzunehmender indirekter Textzeuge für einen wichtigen Teil der Handschriftenüberlieferung zu diesem Zeitpunkt. Es gibt keinen Grund, die Aussage von Hieronymus anzuzweifeln, daß er für diese Übersetzung viele alte griechische Handschriften herangezogen hat. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß Hieronymus willkürlich Worte und Sätze in seine Übersetzung brachte, die er nicht in damaligen griechischen Handschriften vorfand.

Nach dem Zeugnis sowohl von Hills als auch von Aland liegen der Vulgata im wesentlichen Handschriften des byzantinischen Mehrheitstextes zugrunde. Nur an bestimmten Stellen wurden alexandrinische und andere falsche Lesarten hineingebracht. Deshalb kann man nicht sagen, daß eine Lesart schon deshalb falsch sei, weil sie in der Vulgata vorkommt. Man muß also in der Vulgata zwischen den Stellen unterscheiden, wo sie den überlieferten Text bezeugt, und denen, wo häretische und andere Verderbnisse hineingekommen sind.

Wenn also Erasmus an einigen wenigen Stellen eine Lesart aufweist, die nach dem heutigen Stand wenig oder keine erhalten gebliebene (!) griechische Handschriftenbezeugung aufweist, aber von der Vulgata unterstützt wird, so kann man daraus nicht ableiten, daß diese Lesart nicht ursprünglich gewesen sein kann. Sie kann zur Zeit des Erasmus sehr wohl einige griechische Handschriftenunterstützung gehabt haben. Erasmus kann z. B. diese Lesart in einer Handschrift auf einer seiner vielen Reisen gefunden und aufgeschrieben haben und sich 1516 aufgrund seiner früheren Aufzeichnungen für sie entschieden haben.

Diese Lesart kann durchaus in der getreuen byzantinischen Textüberlieferung des 1.-4. Jh. verankert gewesen sein und später aus dem einen oder anderen Grund herausgefallen sein. Solche ausnahmsweisen Ausfälle können wir nicht völlig ausschließen; Gott hat dafür gesorgt, daß solche Stellen im TR wiederhergestellt wurden. Bei fast allen angegebenen Minderheiten-Lesarten mit wenig erhalten gebliebener Handschriftenbezeugung finden wir eine zusätzliche Bezeugung in alten Übersetzungen und/oder „Kirchenväter“-Zitaten, die zumindest zeigen, daß die Lesarten früh verbreitet waren und nicht reine Erfindungen oder späte Einfügungen sind.

Es ist absolut nicht beweisbar, daß im Textus Receptus Lesarten stehen, die im 16. Jh. keine den Herausgebern zugängliche griechische Handschriftenbezeugung hatten. Das mag an einigen Stellen für die ersten Auflagen von Erasmus gegolten haben, aber dort, wo diese Stellen später beibehalten wurden, dürfen wir davon ausgehen, daß dies auf griechische Handschriftenbezeugung hin geschah.

Es war ja der Grundsatz der Ausgabe des Textus Receptus, daß die griechische und nicht die lateinische Überlieferung den zuverlässigen Text des NT enthalten hat. Erasmus hat ja das Comma Johanneum auch nur auf das Zeugnis mindestens einer griechischen Handschrift in den Textus Receptus gebracht; wieso sollte er an anderen Stellen von diesem Grundsatz abgewichen sein?

Wir dürfen davon ausgehen, daß der ganze Textus Receptus auf dem Zeugnis zuverlässiger griechischer Handschriften beruht, auch wenn dies heute nicht mehr ohne weiteres nachweisbar ist. Das Gegenteil ist ebensowenig beweisbar! Wenn die Textkritiker an solchen Stellen Erasmus und seinen Nachfolgern Willkür und Manipulation des griechischen Texts vorwerfen, so haben sie dafür keinerlei wirkliche Beweise, sondern stützen sich nur auf gefärbte Vermutungen und Rückschlüsse von einer völlig unzureichenden Faktenbasis.

Vom Standpunkt des Glaubens an Gottes Bewahrung in der Textüberlieferung her können wir zu Erasmus sagen: Gott hat zwar erkennbar den bewahrten Text des NT durch die byzantinische Mehrheitstexthandschriften über die Jahrhunderte zwischen dem 1. und dem 16. Jh. überliefert. Das gilt für die grundsätzliche Textgestalt und für die Freiheit von alexandrinischen Verderbnissen. Damit ist aber nicht gesagt, daß Gott sich verpflichtet habe, alle richtigen Urtextlesarten nur durch die jeweilige Mehrheit der byzantinischen Handschriften zu überliefern oder dafür zu sorgen, daß diese richtigen Lesarten im 20. Jh. in der Mehrheit der erhalten gebliebenen Handschriften noch sichtbar sein müssen.

Das Vorhandensein von mehreren widersprechenden Lesarten innerhalb des Mehrheitstextes beweist, daß eine völlig mechanische hundertprozentige Textbewahrung durch alle byzantinischen Handschriften nicht im Plan Gottes war. Gott kann in Seiner Souveränität auch bestimmte Lesarten so überliefern, daß sie nur noch in wenigen im 16. Jh. vorhandenen Handschriften enthalten waren und wir sie heute vielleicht tatsächlich nur noch in der Vulgata bezeugt finden.

Gott paßt sich nicht dem zweifelnden Menschenverstand an, sondern handelt so, daß die Menschenweisheit dabei zunichte wird und nur die Glaubenden, die geistlich beurteilen, erkennen können, was ihnen von Gott gegeben ist. Wir glauben, daß Gott Erasmus und die anderen Herausgeber des Textus Receptus so geleitet hat, daß sie die richtigen, dem Urtext entsprechenden Lesarten einfügten, auch dort, wo sie vielleicht in den meisten damals und heute bekannten Mehrheitstext-Handschriften fehlten.

 

6. Gibt es „Fehler“ im Textus Receptus, die korrigiert werden müßten?

 

Immer wieder wird der Vorwurf laut, bestimmte Passagen in Textus-Receptus-Bibeln seien eindeutig spätere Zusätze, aus der Vulgata übernommen oder als Glossen (Randbemerkungen) versehentlich von unaufmerksamen Abschreibern in den Text gebracht worden; sie seien also „Fehler“, die „korrigiert“ werden müßten. Wir haben weiter oben schon auf die grundsätzlichen Gesichtspunkte hingewiesen, die uns leiten, die Unterstellung solcher „Fehler“ zurückzuweisen. Hier sollen noch einige öfters ins Spiel gebrachte Stellen beispielhaft beleuchtet werden.

a) Das Comma Johanneum

Das Comma Johanneum (1Joh 5,7-8) ist wohl die am meisten umkämpfte Stelle in der ganzen Textus-Receptus-Überlieferung, umso mehr, als sie erst zu einem späteren Zeitpunkt, in Erasmus’ 3. Auflage 1522, in den Text aufgenommen wurde. Sie wurde ab da von allen Receptus-Ausgaben bezeugt und erscheint auch in allen größeren Receptus-Bibelübersetzungen bis auf die frühen deutschsprachigen, die von einer früheren Auflage des Erasmus-Textes gemacht worden waren. (In späteren Ausgaben der Luther- und Zürcher-Bibel ist es eingefügt worden.)

Hat Gott es also zugelassen, daß die ganze evangelische Christenheit der drei Jahrhunderte nach der Reformation einen Satz in ihren Bibeln hatte, der gefälscht ist? Ich meine: Nein! Für das Comma Johanneum gilt genauso, was wir oben grundsätzlich gesagt haben: Die heutigen übriggebliebenen etwa 10 Prozent aller Handschriften sind allein keine solide Beweisgrundlage, um die Echtheit dieser Stelle zu bestreiten.

Die Erwähnungen der Kirchenschriftsteller ab dem 4. Jh. weisen darauf hin, daß das Comma Johanneum bereits im 4. Jh. in Bibelhandschriften existiert haben muß, und wenn es damals als echt anerkannt wurde, mußte diese Stelle eigentlich auch schon länger in der Handschriftenüberlieferung existiert haben.

Wenn Hieronymus etwa 390 n. Chr. in seiner Vorrede zu den kanonischen Briefen diese Stelle als Bestandteil des 1. Johannesbriefs bestätigt hat und darüber geschrieben hat, daß einige Übersetzer diese Stelle verfälschen, dann muß sie schon länger vorher in griechischen Handschriften existiert haben, es sei denn, man würde Hieronymus eine bewußte Fälschung unterstellen – aber wer würde die anerkennen, wenn die Bibelleser diese Stelle das erste Mal in der Vulgata gelesen hätten? Sie existiert auch in Handschriften der Altlateinischen Übersetzung, die in ihren Ursprüngen bis ins 2. Jh. zurückgeht. Es gibt auch Hinweise, daß Handschriften der ebenfalls sehr alten Syrischen Peschitta den Vers haben.

Das erhalten gebliebene griechische Handschriftenzeugnis für das Comma besteht nach den Angaben der Textkritik aus 4 Handschriften, wo die Stelle im Text steht, und 5 Handschriften, wo es als Korrektur in der Randspalte zu finden ist. Daß das Comma in allen diesen Handschriften „sekundär aus dem Lateinischen importiert“ wurde, ist eine von den unbewiesenen Behauptungen der Textkritik, die leider von manchen Gläubigen voll übernommen wird – ohne daß sie selbst ihren Wahrheitsgehalt eingehend nachgeprüft hätten.

Angesichts der parteiischen Haltung der Textkritik müßte die Beweislage gerade bei dieser Passage dringend neu geprüft werden, bevor man voreilige Rückschlüsse zieht. Erstens müßte der ganze Mehrheitstext-Bestand von unabhängigen Forschern noch einmal gründlich gesichtet werden, ob es nicht noch andere griechische Handschriften mit dem Comma gibt. Zweitens müßte die Altersdatierung der Handschriften überprüft werden (sie kann durchaus um 100 Jahre oder mehr schwanken, und das wäre in diesem Fall nicht unwichtig!).

Ebenso kann man auch die Behauptung der Textkritik, die Complutensische Polyglotte habe das Comma aus der Vulgata rückübersetzt, nicht einfach für bare Münze nehmen. Wo sind stichhaltige Beweise dafür? Der Text der Complutensis spiegelt ansonsten mehrere uns heute unbekannte byzantinische Handschriften wieder. Weshalb nicht auch an dieser Stelle?

Die Befürworter des Textus Receptus wie Hills führen auch ein Argument aus der griechischen Grammatik an, nach dem der Satz nicht mehr grammatikalisch korrekt zusammenpaßt, wenn die himmlischen Zeugen ausgelassen werden. Das möchte ich als Nicht-Griechischexperte nur erwähnen.

Was die Auslegung der Stelle angeht, sind viele bibeltreue Kommentatoren früherer Jahrhunderte, z. B. Matthew Henry und Matthew Poole, der Überzeugung, daß die Passage nicht nur eine sinnvolle, wichtige Aussage enthält, sondern der ganze Abschnitt ohne sie keinen so guten Sinn gibt.

Auch wenn das hohe Alter dieser Lesart bezeugt ist, muß gesagt werden, daß das in unserer Zeit verfügbare Textzeugnis für dies Passage nicht sehr stark ist, auch aufgrund der z. T. unterschiedlichen Reihenfolge der Sätze (manche Handschriften stellen die Zeugen im Himmel nach denen auf Erden) und anderer Variationen. Auf jeden Fall scheint hier eine schwerwiegende Störung in der Textüberlieferung vorgekommen zu sein. Aber all das ist kein entscheidender Beweis gegen die Echtheit der Passage.

Für den Standpunkt des Glaubens ist entscheidend, daß das Comma Johanneum durch Gottes Vorsehung in den Textus Receptus aufgenommen wurde in einer Phase, wo anfängliche Unsicherheiten des Textes berichtigt wurden, und daß es im ausgereiften Stadium des Textus Receptus ab Stephanus 1550 einen festen, unbestrittenen Platz darin hatte, ebenso in allen wichtigen reformatorischen Bibeln (wenn auch bei Luther und Zürcher mit etwas Verspätung). Wir dürfen deshalb im Glauben annehmen, daß es echt ist, auch wenn es nur wenig heute erhalten gebliebene Beweise dafür gibt.

b) Der Text der Offenbarung

Besonderes Gewicht legen die Kritiker des Textus Receptus auf den Text der Offenbarung. Hier sei die Textgrundlage des Erasmus besonders schlecht gewesen; die Offenbarung sei voller Fehler und später Zusätze bzw. Veränderungen des ursprünglichen Textes.

Noch einmal grundsätzlich: Diese Behauptungen können die Kritiker nicht stichhaltig beweisen. Es sind Vermutungen, deren Beweisgrundlage trotz der oft sehr sicher wirkenden Ausdrucksweise ausgesprochen brüchig und wackelig ist. Denn weder sind m. W. alle vorhandenen Handschriften der Offenbarung bis ins einzelne kollationiert worden (H. Hoskiers Arbeit, wenn sie damals vollständig war, stammt immerhin auch schon aus dem Jahr 1929), noch erlaubt der relativ geringe erhaltene Handschriftenbestand bei diesem Buch so schnelle und bestimmte Schlußfolgerungen – weit weniger noch als bei anderen Büchern, wo die Basis des Mehrheitstexts etwa das Zehnfache an Handschriften beträgt.

Daß der Text der Offenbarung, den der Textus Receptus bietet, ein „schlechter Text“ sei, ist ein parteiisches Werturteil ohne sichere Grundlage. Haben wir etwa den Urtext der Offenbarung vorliegen? Wie kann man dann zu dem Urteil kommen, der Textus Receptus biete hier einen „sehr schlechten Text“? Doch nur, indem man sein subjektives Bild vom „richtigen, guten“ Text der Offenbarung als Maßstab nimmt. Und worauf beruht dieses Bild? Auf den parteiischen Regeln und Forschungen der Textkritik! Selbst wenn es auf jahrzehntelangem intensivem Studium beruhen würde, wäre das immer noch keine sichere Grundlage, um den Textus Receptus so pauschal abzuwerten.

Nur als Gegenakzent ein Zitat des wirklichen Textforschers Herman Hoskier, der in jahrelanger Arbeit mehr als 200 Handschriften der Offenbarung untersucht hat: „Ich darf feststellen: Wenn Erasmus danach gestrebt hätte, einen Text auf die größte Anzahl von in der Welt existierenden Handschriften eines Typs zu gründen, dann hätte er das gar nicht besser machen können, denn die von ihm gewählte Handschriftenfamilie nimmt den ersten Platz ein, was die tatsächliche Anzahl betrifft, da diese Familie über 20 HSS umfaßt, neben den mit ihnen verbündeten [Textzeugen].“ Und an anderer Stelle sagt Hoskier: „Das dürfte der richtige Platz sein, hervorzuheben, warum der Textus Receptus der Apokalypse an sich gut ist [is intrinsically good].“

Auch hier gilt: Die Herausgeber des Textus Receptus wie auch der Complutensis können über weitere, uns heute nicht mehr erhalten gebliebene griechische Textzeugen verfügt haben, die die von Kritikern heute angegriffenen Lesarten bezeugt haben. Es wäre völlig unerklärlich, weshalb Erasmus, der doch seinen Text der Offenbarung gründlich mit dem der Complutensis abgeglichen und an 90 Stellen geändert hat, die beanstandeten Stellen nicht auch geändert hätte, wenn es dafür nicht gute, in griechischem Handschriftenzeugnis bestehende Gründe gegeben hätte. Davon gehen wir bis zum schlüssigen, abgesicherten Beweis des Gegenteils aus. Daß dieser Beweis von der Textkritik nicht erbracht werden kann, möchte ich an einigen ausgewählten Beispielen aus der Offenbarung zeigen.

c) Die rückübersetzten letzten Verse der Offenbarung

Fast alle Textus-Receptus-Gegner betonen besonders die rückübersetzten Verse im letzten Teil der Offenbarung. Erasmus hat diese Rückübersetzung aus einer Notsituation heraus angefertigt und darüber offen Rechenschaft abgelegt. Sobald es möglich war, hat er diese Rückübersetzung geprüft und korrigiert, zumindesten an der Complutensischen Polyglotte, vielleicht und vermutlich auch an weiterem Handschriftenmaterial.

Hier ist für uns vor allem der Vorwurf wichtig, Erasmus habe einen Teil seiner „Fehler“ nie korrigiert, ebensowenig alle nach ihm kommenden Herausgeber, so daß heute noch im Textus Receptus „offensichtlich gefälschte Lesarten“ stünden, die von den Textus-Receptus-Befürwortern stillschweigend geduldet und heruntergespielt werden.

Hier wäre sicherlich eine genauere Untersuchung von unvoreingenommener Seite sehr wünschenswert. Alle „Beweise“ der Kritiker stützen sich auf Untersuchungen voreingenommener Gegner des TR, die die Fakten zu ihren Gunsten deuten und vermutlich manches in einem einseitigen Licht darstellen.

Wenn Erasmus nachweislich den Schluß der Offenbarung überprüft und an einigen Stellen Fehler korrigiert hat, dann kann man nicht einfach behaupten, er habe die anderen Stellen aus Versehen oder Bequemlichkeit stehen gelassen. Man muß bis zum Beweis des Gegenteils davon ausgehen, daß Erasmus (und Stephanus und Beza nach ihm) dafür gute Gründe hatte, diese Worte nicht zu korrigieren, nämlich Handschriftenbezeugung, die uns heute nicht mehr zugänglich ist. Wenn manche Worte des TR scheinbar in den heute erfaßten Handschriften so nicht vorkommen, heißt das noch nicht, daß sie automatisch Fehler sind!

Wie erklären sich die Kritiker, daß auch Stephanus und Beza, die doch beide den Textus Receptus noch mehrmals gründlich durchgearbeitet und an einigen Stellen auch korrigiert haben, diese angeblich „offensichtlichen Fehler“ nicht berichtigt haben? Waren sie alle Schlamper? Oder hatten sie ihre Gründe, diese Worte im Text zu belassen?

Wir gehen bis zum Beweis des Gegenteils davon aus, daß diese Worte in alten Handschriften gefunden wurden und deshalb unverändert geblieben sind. Laut Hills nimmt der Textforscher Hoskier an, daß Erasmus in den letzten Versen der Offenbarung dem Codex 141 gefolgt ist – demnach müßte es doch griechische Handschriftenbezeugung geben. (Zu Offb 22,19-20 siehe unten.)

d) Angeblich „lehrmäßig falsche“ Stellen in der Offenbarung

Eine der schwerwiegendsten Vorwürfe, die vor allem aus den Reihen der „Brüderbewegung“ gegen den Textus Receptus laut geworden sind, ist der der geistlich-lehrmäßigen Unzuverlässigkeit und Verfälschung. Das wird damit in Zusammenhang gebracht, daß manche Textus-Receptus-Lesarten von der Ablehnung der Reformatoren wie der katholischen Kirche gegenüber dem „Millenialismus“ (der Lehre vom Tausendjährigen Reich) geprägt seien.

Gerade in der „Brüderbewegung“ sind immer wieder textkritisch „bereinigte“, „verbesserte“ Texte zur Grundlage der Lehre gemacht worden, besonders auch in der Offenbarung. Wenn man aber – auch vom Standpunkt der „Brüderlehre“ aus – die beanstandeten Textstellen sich nüchtern ansieht, dann ist es schwierig, festzustellen, worin denn nun die „Verdunkelung“ des prophetischen Wortes bestehen soll.

Viele beanstandete Varianten des Textus Receptus sind inhaltlich und lehrmäßig nicht von größerer Bedeutung; sie ändern den Sinn, schon gar den lehrmäßigen Sinn des Textes nicht. Wenn in Offb 1,11 „die in Asien sind“ eingefügt wird – was verdunkelt das? Ob die Macht der Rosse in ihrem Maul oder auch in ihren Schwänzen liegt (Offb 9,19) – ist das lehrmäßig so bedeutsam?

Auf einige wirklich inhaltlich bedeutsame Stellen will ich aber eingehen und zeigen, daß hier gar nichts „verdunkelt“ wird, sondern diese Stellen im Licht der biblischen Lehre völlig klar und gesund sind:

Offb 2,20 (Ich habe ein weniges gegen dich): Das Sendschreiben richtet sich unmittelbar an den Engel oder Boten der Gemeinde, und dieser war dem Herrn im wesentlichen treu, wie V. 19 zeigt: „Ich kenne deine Werke und deine Liebe und deinen Dienst und deinen Glauben und dein Ausharren und deine Werke, und [ich weiß], daß die letzten mehr sind als die ersten.“

Dieses Lob ist ganz parallel zu dem für den Engel der Gemeinde in Pergamus. Bei beiden heißt es dann: „Aber ich habe ein weniges gegen dich“ – und der Tadel ist auch im Grunde ganz ähnlich ausgerichtet. Beide waren persönlich für das böse Treiben der Irrlehrer nicht verantwortlich, aber sie duldeten es und schritten nicht energisch dagegen ein. Wenn das „ein weniges“ hier verharmlosend sein sollte, dann müßte das sinngemäß auch für Pergamus gelten; dort aber ist das „ein weniges“ unbestritten.

Offb 5,10 (und hast uns zu Königen und Priestern gemacht für unseren Gott, und wir werden herrschen auf Erden): „Zu einem Königreich“ oder „Königtum“ (basileian) (NA und MT) paßt hier vom Sinn und Inhalt deutlich weniger als „zu Königen“. In der Lesart des Textus Receptus ist diese Stelle eine wörtliche Wiederholung der Aussage von Offb 1,6 und stimmt harmonisch mit ihr überein. Wenn das „uns“ gestrichen wird, wird die Aussage unpersönlich und unklar.

Durch die falsche Nicht-TR-Lesart wird verdunkelt, wer die 24 Ältesten eigentlich sind, und es sind einige Auslegungsprobleme deshalb entstanden. Außerdem haben der Mehrheitstext und auch Sinaiticus das hèmas (uns) in V. 9, wo es NA nur auf das Zeugnis von Cod. A hin ausläßt; wenn es in V. 10 ausfiele, wäre der Sinnzusammenhang gebrochen. Diese Stelle weist m. E. Zeichen eines willkürlichen Eingriffs auf, durch den das „uns“ in V. 10 gelöscht wurde. Der Textus Receptus zeigt, daß die 24 Ältesten die Vertreter der durch Christus Erlösten sind, und daß sie den anbeten, der sie persönlich und nicht irgendwen mit Seinem Blut erkauft hat! Die Abänderung des „uns“ ist ein schwerwiegender lehrmäßiger und geistlicher Verlust in allen Nicht-Textus-Receptus-Bibeln.

Offb 22,19 (seinen Teil vom Buch des Lebens): Moorman gibt hier immerhin 3 Kursiv-HS an, die die Stelle so bezeugen (eine davon hat die Lesart in der Randspalte) sowie die arabische Übersetzungen, außerdem alte „Kirchenväter“-Bezeugung ab dem 4. Jh.

Auch hier gibt es von der Lehre der Schrift her keinen Grund, den Textus Receptus anzugreifen. Rein lehrmäßig passen beide Lesarten in den Kontext. „Baum des Lebens“ bezieht sich auf V. 14 (den ich prophetisch eher auf den jüdischen Überrest beziehen würde; die Gemeinde scheint mir hier gar nicht im Blick zu sein). „Buch des Lebens“ aber hat einen klaren Bezug zu dem im AT für Israel bezeugten Gericht des Ausgelöschtwerdens aus dem Buch des Lebens (vgl. Ps 69,28: „Tilge sie aus dem Buch des Lebens! Sie sollen nicht eingeschrieben sein mit den Gerechten!“; vgl. 2Mo 32,32-33; Dan 12,1).

Das Buch des Lebens wird ja in der Offenbarung mehrfach erwähnt: Offb 3,5; 13,8; 17,8; 21,27. In Offb 3,5 finden wir einen direkten Bezug zu unserer Stelle, wenn der Herr Jesus sagt: „Wer überwindet, der wird mit weißen Kleidern bekleidet werden; und ich will seinen Namen nicht auslöschen aus dem Buch des Lebens (…)“.

Es wird uns nicht geoffenbart, wie dies genau zu verstehen ist, vor allem nicht, wer in dieses Buch unter welchen Bedingungen eingeschrieben wird. Aber letzten Endes läuft die Aussage in Offb 22,19 bei beiden Lesarten auf Verdammnis hinaus und betrifft aus meiner Sicht nicht wiedergeborene Irrlehrer, die bewußt etwas wegtun bzw. hinzufügen zu den Worten dieses Buches.

„Buch des Lebens“ paßt insofern besser in den unmittelbaren Textzusammenhang, als damit ein anspielender Kontrast entsteht, den wir in der Bibel öfters finden: „wenn jemand etwas wegnimmt von den Worten des Buches dieser Weissagung, so wird Gott wegnehmen seinen Teil vom Buch des Lebens“.

Ich denke, diese kurzen Ausführungen zeigen, daß der Textus Receptus keineswegs die prophetischen Aussagen der Schrift im Buch der Offenbarung entstellt; im Gegenteil, er gibt mehr Licht und Klarheit im Text als die anderen Textfassungen.

Auch an anderen Stellen im NT läßt sich zeigen, daß der Textus Receptus durchgängig der klarste, lehrmäßig völlig gesunde Text ist. Er mag nicht immer mit liebgewordenen Theorien oder Auslegungstraditionen derer übereinstimmen, die ihn frühzeitig verworfen haben und ihre Deutungen auf textkritischen Lesarten aufgebaut haben. Aber mit der Lehre der Schrift selbst ist er in völliger Harmonie, ganz im Gegensatz zu seinen alexandrinischen Gegenspielern.

 

7. Schlußbemerkungen

 

Diese Stellungnahme ist nicht in der Absicht geschrieben worden, eine Polemik über den Textus Receptus vom Zaun zu brechen. Die besonnenen Befürworter des Textus Receptus im deutschsprachigen Raum können nicht mit den sektiererischen und völlig überzogen argumentierenden „King-James-Only“-Leuten wie Ruckman oder Riplinger in einen Topf geworfen werden. Sie wissen sich vielmehr verbunden mit zahlreichen nüchternen, geistlich gesinnten Verteidigern des TR und der KJV, die es besonders unter den Unabhängigen Baptisten in den USA gibt.

Die Auseinandersetzung über die Frage des richtigen Grundtextes unter bibeltreuen Gläubigen sollte besonnen, geistlich und unter Respektierung anderer Überzeugungen geführt werden. Das gilt für beide Seiten. Gewiß gibt es manche Gläubige, die den Textus Receptus mit ungeistlichen Mitteln vertreten, die alle textkritischen Bibeln als „okkult“ bezeichnen oder andersdenkende Geschwister unsachlich angreifen. Auf der anderen Seite kommt es auch zu massiven Angriffen von Befürwortern des Nestle-Aland-Textes gegenüber Verteidigern des Textus Receptus, die mit Polemik, unbewiesenen Unterstellungen und unbiblischen Ausgrenzungen (z. T. unter Berufung auf Römer 16,17-18) arbeiten.

Die Vertreter beider Standpunkte haben hier eine Verantwortung vor Gott, damit es nicht zu einem zerstörerischen Glaubenskrieg über Grundtextfragen kommt. Es sollte möglich sein, daß Gläubige verschiedener Überzeugung geistlich in einer Gemeinde oder sonst im Reich Gottes zusammenarbeiten können, ohne daß es zu Diffamierungen und Trennungen kommt. Dabei sind auch die örtlichen Hirten herausgefordert, weise und geistlich mit auftretenden Spannungen umzugehen und gegebenenfalls unreifen, unausgewogenen Anhängern der einen oder anderen Seite zu helfen, richtig mit diesen Fragen umzugehen.

Die Überzeugung, daß der Textus Receptus der bewahrte, zuverlässige Text des NT ist, wird seit Jahrhunderten von vielen bibeltreuen Gläubigen geteilt. Sie stellt einen achtbaren (und keineswegs „sektiererischen“) konservativen Standpunkt in der Bibelfrage dar, und wenn sich nach einer Zeit des Vordringens textkritischer Überzeugungen nun vielleicht wieder vermehrt diese Auffassung verbreitet, so sollte das von anders gesinnten Gläubigen respektiert werden.

Letztlich muß jeder Gläubige sich hier vor Gott Gewißheit über seinen Standpunkt schenken lassen. Die Schriften des Verfassers dieser Zeilen haben das Ziel, dazu geistliche Argumente zu liefern und den überlieferten Text gegen die Angriffe der modernen Textkritik zu verteidigen. Wir stehen für diesen Text nicht aus Fanatismus oder Unwissenheit ein, wie manche uns unterstellen wollen, sondern aus mehreren wohlüberlegten geistlichen Gründen:

** Wir glauben, daß Gott über der Überlieferung seines Wortes gewacht hat und dafür gesorgt hat, daß die Gläubigen am Wendepunkt der Reformation, als Gott Sein kostbares Wort ganz neu unter die Völker sandte, einen zuverlässigen Text bekommen haben. Die göttliche Bewahrung des Wortes ist für uns die notwendige und logische Fortsetzung der göttlichen Inspiration.

** Dieser Text ist unter geistlichen Gesichtspunkten betrachtet, der zuverlässige, von Gott bewahrte, weil er Christus verherrlicht und Seine Gottheit und Sein Erlösungswerk so darstellt, wie es dem Gesamtzeugnis der Schrift entspricht. Er ist im Gegensatz zu den alexandrinischen Texten harmonisch und lehrmäßig gesund, und das ist für uns ein Kennzeichen der Inspiration.

** Dieser Text hat von der Überlieferung her das solide Fundament des byzantinischen Mehrheitstextes, der nicht nur 90 Prozent aller Textzeugen vereinigt, sondern aus dem Kerngebiet der apostolischen Christenheit stammt. Er war in seinem Kernbestand lückenlos seit der Apostelzeit bezeugt. Auch an den wenigen Stellen, die heute nur wenig Handschriftenbezeugung haben, zeigen andere Dokumente (z.B. Kirchenschriftsteller), daß diese Textformen schon früh bezeugt sind.

** Dieser Text wurde bestätigt durch das Zeugnis Gottes und die einmütige Annahme aller treuer Gläubiger weltweit während mehr als dreihundert Jahren Evangelisation und Erweckung. Er wurde in Frage gestellt im Zeitalter der Bibelkritik und des Glaubensabfalls, nach dem Motto der Schlange „Sollte Gott gesagt haben?“. Wir haben angesichts der wachsenden endzeitlichen Verführungen gerade auch in der Bibelfrage allen Grund, an ihm bewußt festzuhalten.

 

Dieser Beitrag ist ein gekürzter Auszug aus der ausführlicheren Schrift von Rudolf Ebertshäuser Gottes bewahrtes Wort.

 

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