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Die Gefahr eines Vertrauens auf die „objektive Wissenschaft“

 
 
Wir haben schon im ersten Abschnitt erwähnt, daß das 19. Jahrhundert ein folgenschwerer geistlicher Wendepunkt in der Geschichte der Gemeinde war. Es war eine Zeit des immer offeneren Glaubensabfalls, der sich im 20. Jh. noch verstärkte. Es war das Jahrhundert des Durchbruchs der „Bibelkritik“ in Theologie und protestantischen Kirchen. In diesem Jahrhundert reifte die Saat der antichristlichen „Aufklärung“ mit ihrer weltlich-vernunftorientierten Philosophie aus.

Der Mensch mit seinem armseligen, verfinsterten Verstand wurde zum Maßstab aller Dinge erklärt; er stellte sich über das göttliche Offenbarungswort. Die „Bibelkritik“, die den göttlichen Offenbarungscharakter der Heiligen Schrift leugnete und sich anmaßte, die Bibel mit menschlicher Vernunft und Philosophie zu richten und zu zerlegen, durchdrang die Theologie der protestantischen Kirchen immer tiefer. Parallel dazu wurde auch die „Textkritik“ in der Christenheit immer mehr anerkannt.

Die „Textkritik“ ist mit der Bibelkritik darin eins, daß sie die Bibel nur als ein menschliches Buch wie jede andere antike Literatur sieht und die Tatsache der göttlichen Offenbarung wie auch der göttlichen Bewahrung bewußt außer Acht läßt. Wo die „Bibelkritik“ sich dazu verstieg, große Teile der heiligen Schriften nach angeblichen literarisch-stilistischen Maßstäben als gefälschte spätere Zusätze und menschliche Mythen hinzustellen, da unternahm es die „Textkritik“ in demselben kritisch-philosophischen Geist, Teile der Heiligen Schriften mithilfe einer „wissenschaftlichen“ Bewertung von Textunterschieden als unecht, als spätere Hinzufügungen auszuscheiden.

Das Ergebnis ist beidesmal dasselbe: Inspirierte Gottesworte, die jahrhundertelang von den Gläubigen geglaubt und angenommen worden waren, werden aufgrund angeblicher „wissenschaftlicher Forschung“ als unecht, als Fälschungen hingestellt. Zweifel an der Autorität und Vollkommenheit des Gotteswortes wird geweckt; das Wort der Schlange klingt zwischen den Zeilen der gelehrten „Bibelkritiker“ und „Textkritiker“ hindurch: „Sollte Gott wirklich gesagt haben?“

Als Gläubige müssen wir der menschlich-weltlichen Wissenschaft gegenüber einen klaren geistlichen Stand einnehmen, sonst werden wir verführt und beraubt. Leider ist dieser klare Stand in den letzten zweihundert Jahren immer mehr aufgegeben worden. Viele Gläubige sind heutzutage „wissenschaftsgläubig“, statt einfältig bibelgläubig zu sein. Sie lassen sich von der Anmaßung der Menschenweisheit blenden, die beansprucht, mithilfe des armseligen, verfinsterten Menschenverstandes „die Wahrheit“ über alles und jedes herausfinden zu können. Sie meinen tatsächlich, „die Wissenschaften“, auch die Geisteswissenschaften wie Geschichte, Theologie oder „Textkritik“, seien „objektiv“, „neutral“ und nur der Wahrheit verpflichtet.

Wir müssen uns bewußt machen, daß die Methoden der heutigen Wissenschaft im wesentlichen der heidnischen Denkweise der griechischen Philosophie entspringen. Zu ihren Grundvoraussetzungen gehören viele Dinge, die für den wahren Gläubigen als ungöttlich und mit dem Glauben unvereinbar abzulehnen sind. So etwa die skeptische Infragestellung aller Dinge; die Annahme, daß alles durch Vernunft- und Verstandesschlüsse erforscht werden könne, die Begrenzung der Wahrheit auf das mit den Sinnen Wahrnehmbare und der bewußte Ausschluß des lebendigen Gottes und Seiner Macht aus allen Überlegungen.

Die rationalistische (auf die Vernunft gegründete) Wissenschaft kann nur relative Erkenntnisse und Wahrheiten hervorbringen und lehnt jede absolute, von Gott geoffenbarte Wahrheit ab. Sie baut dagegen auf menschliche Spekulation, auf Hilfsannahmen („Hypothesen“), mit deren Hilfe man die Fakten zu erklären sucht, die aber immer vorläufig sind, auf Vernunftschlüsse gegründete Annäherungsversuche an die Wahrheit.

Das mag für die Naturforschung in begrenztem Maß auch zu richtigen Ergebnissen führen; in den „Geisteswissenschaften“ aber (zu denen die Textkritik zählt) sind die Forschungsergebnisse sehr subjektiv gefärbt, stark abhängig von der Weltanschauung und den Denkvoraussetzungen der Forschenden.

Wir Gläubigen müssen uns vor jeder falschen Verehrung „der Wissenschaft“ hüten; sie wird buchstäblich zum Götzendienst, wenn wir sie über Gott und Sein Wort stellen. Gottes Wort warnt uns im Gegenteil vor der Weisheit dieser Welt in klaren, ernsten Worten:

„Denn es steht geschrieben: ‚Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen’. Wo ist der Weise, wo der Schriftgelehrte, wo der Wortgewaltige dieser Weltzeit? Hat nicht Gott die Weisheit dieser Welt zur Torheit gemacht? Denn weil die Welt in ihrer Weisheit Gott in seiner Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott, durch die Torheit der Verkündigung diejenigen zu retten, die glauben“ (1Kor 2,19-21)

Für die gläubige Gemeinde ist es von entscheidender Bedeutung, jegliche als „Wissenschaft“ getarnte Weltweisheit entschlossen zurückzuweisen und ihr keinen Raum zu geben. Wohl können wir einzelne Ergebnisse auch der Geschichtsforschung oder verwandten Zweigen nach gründlicher Prüfung übernehmen, aber wir müssen uns immer bewußt machen, daß sie einem letztlich falschen, ungeistlichen Denkansatz entspringen, der die Realität des lebendigen Gottes und Seines Offenbarungswortes verleugnet. Nicht umsonst steht für uns die Warnung geschrieben: „Habt acht, daß euch niemand beraubt (od. einfängt) durch die Philosophie und leeren Betrug, gemäß der Überlieferung der Menschen, gemäß den Grundsätzen der Welt und nicht Christus gemäß“ (Kol 2,8).

 

Die falschen Voraussetzungen und Ergebnisse der „Textkritik“

 
 
Nach dem geistlichen Urteil der Schrift können ungläubige Forscher in geistlichen Dingen (und dazu gehört die Bibel und ihre Überlieferung) gar nicht die Wahrheit erkennen: „Der natürliche Mensch aber nimmt nicht an, was vom Geist Gottes ist; denn es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen, weil es geistlich beurteilt werden muß“ (1Kor 2,14).

Auch die klügsten und gelehrtesten ungläubigen Textkritiker leben nach dem unbestechlichen Wort Gottes „in der Nichtigkeit ihres Sinnes; deren Verstand verfinstert ist und die entfremdet sind dem Leben Gottes, wegen der Unwissenheit, die in ihnen ist, wegen der Verhärtung ihres Herzens“ (Eph 4,17-18). Wie können sie uns sagen, was der richtige Wortlaut der Heiligen Schriften ist? Wie kann ein Gläubiger ihrem verfinsterten Urteil vertrauen? Und wie kann selbst ein gläubiger Textkritiker glaubwürdig sein, wenn er die Denkvoraussetzungen und Schlußfolgerungen seiner verfinsterten ungläubigen Kollegen übernimmt und nachahmt?

Die „Wissenschaft“ der Textkritik beansprucht, durch Vernunftschlüsse unterscheiden zu können, welche Textformen und Überlieferungen „echt“ und welche „unecht“ seien. Dazu beurteilt sie die verschiedenen Textformen nach Maßstäben, die sehr willkürlich und oft widersinnig sind. So ist es ein Prinzip der „Textkritik“, daß die dunklere, unverständlichere, widersprüchliche Textfassung als die ursprüngliche gilt.

Das trifft schon bei weltlichen Texten so nicht zu; wie aber kann man das von Gottes inspiriertem Wort sagen? Genauso willkürlich ist die Regel, daß im Zweifelfall die kürzere Textform die ursprüngliche sei; als ob nicht die Gefahr einer versehentlichen Auslassung beim Abschreiben viel höher wäre als ein bewußter Eingriff zur Erweiterung des Textes, und das besonders bei der Bibel, die doch für die gläubigen Abschreiber als Gottes Wort unantastbar war!

In allen solchen Werturteilen ist die „Textkritik“ äußerst subjektiv und von den Vorurteilen und Neigungen der Forscher geprägt. Es gibt keine ausreichenden „objektiven“ Anhaltspunkte, um auf wissenschaftliche Weise mit Sicherheit den ursprünglichen Text herauszufinden. Das wissen die Textkritiker im Grunde auch und sagen selbst, daß ihr Text nur vorläufig und für Veränderungen offen ist.

Das Grunddogma aller etablierten „Textkritik“ ist nun die Behauptung, daß der byzantinische Text, der in ca. 95% aller Textzeugen zu finden ist, eine wertlose späte Überarbeitung des ursprünglichen Textes darstelle. Den ursprünglichen Text suchen praktisch alle Textkritiker in den alexandrinischen Handschriften, deren hohes Alter der Garant dafür sei, daß sie dem Original am nächsten stünden. Diese Vorentscheidung ist selbst von einem „wissenschaftlichen“ Gesichtspunkt her gesehen alles andere als „objektiv“. Von einer „Wissenschaft“, die über 95% des ihr vorliegenden Faktenmaterials einfach ignoriert und ihre Thesen allein auf 5% aufbaut, kann man gar keine wahrhaftigen Ergebnisse erwarten.

Für uns stellt sich nun die geistliche Frage: Woher kommt denn die Vorliebe der „Textkritik“ für den alexandrinischen Text? Wenn wir uns die geistlichen Wurzeln dieser „Wissenschaft“ im Unglauben der Aufklärung, in Vernunftverherrlichung und griechischer Philosophie verdeutlichen, müssen wir klar sagen: Die Bevorzugung des gnostisch beeinflußten alexandrinischen Texts läßt sich nur aus der Geistesverwandtschaft beider Strömungen erklären! In der ausreifenden Endzeit mit ihrem Abfall vom überlieferten Glauben paßten diese verstümmelten Texte mit ihrer Abschwächung des biblischen Zeugnisses von Christus, Seiner Göttlichkeit und Seines Erlösungswerkes genau in den Zeitgeist und die Zeitströmung. Wie die Bibelkritik trug die Textkritik dazu bei, das offensive, freudige Zeugnis der gläubigen Gemeinde von Gottes inspiriertem Wort zu dämpfen, Zweifel zu säen, den einfältigen Glauben an Gottes Wahrheit zu beschädigen.

 
 
 

Die Auswirkungen der Textkritik in den modernen Bibeln

 
 
Das Ergebnis des vorherrschenden Einflusses der Textkritik ist die ernste Tatsache, daß die allermeisten heute erhältlichen Bibelübersetzungen nicht mehr, wie in den 350 Jahren nach der Reformation, dem bewährten Textus Receptus folgen, sondern ihren Lesern die Verkürzungen und Verfälschungen der ägyptischen Handschriften als den echten, zuverlässigen Bibeltext vorsetzen.

Wie weit die Abweichung vom überlieferten Text des NT im einzelnen geht, kann jeder interessierte Bibelleser in der Schrift Dreihundert wichtige Veränderungen im Text des NT. Ein Vergleich zwischen Textus-Receptus-Bibeln und textkritischen Bibeln nachlesen. Von den 300 wichtigsten Bibelstellen, an denen sich Textus Receptus und Nestle-Aland unterscheiden, übersetzt die Schlachterbibel 2000ÒBB% nach dem TR; in der Luther 1912 sind es 98% nach TR und 2% textkritische Abweichungen. Die Lutherbibel von 1984 übersetzt nur noch 10% nach dem TR und 90% aller Stellen mit textkritischem Einfluß, die Zürcher Bibel von 1931 gibt nur 6% der Stellen nach dem TR wieder und 94% textkritisch.

Während in der Alten Elberfelder Bibel immerhin noch 24% der Stellen nach dem TR übersetzt werden und 76% Abweichungen davon darstellen (entweder NA-Text oder TR mit textkritischen Fußnoten oder Klammern), weicht die Revidierte Elberfelder Bibel in 97% aller Stellen vom TR ab bzw. stellt ihn durch Klammern oder Fußnoten in Frage. Darin wird sie nur noch von der Ökumenischen Einheitsübersetzung übertroffen, die dies in 98% aller Stellen tut (Vgl. Tabelle auf S. 47 in dieser Schrift).

Damit sind mindestens 15 ganze Verse und viele hundert inspirierte Worte der Schrift aus den modernen Bibeln verschwunden; etwa 30 Verse werden in den meisten modernen Bibeln zwar abgedruckt, aber als wahrscheinlich nicht ursprünglich in Zweifel gezogen (je 12 Verse in Mk 16,9-20 und Joh 7,53-8,11). Der geistliche Schaden, der dadurch entsteht, läßt sich schon an den in dieser Broschüre angeführten Beispielen etwas ermessen; wer alle 300 wichtigeren Stellen studiert, kann kaum mehr zustimmen, wenn die Befürworter der Textkritik behaupten, die Weglassungen und Änderungen würden geistlich keine Rolle spielen.

Eine weitere ernstzunehmende Auswirkung der Textkritik in den modernen Bibeln sind die Zweifel erweckenden Fußnoten, die zahlreiche noch im Text stehende Bibelworte in Frage stellen. Am Schluß des Markusevangeliums etwa vermerkt die Lutherbibel 1984: „Nach den ältesten Textzeugen endet das Markusevangelium mit Vers 8. Die Verse 9-20 sind im 2. Jahrhundert hinzugefügt worden, vermutlich um dem Markusevangelium einen den anderen Evangelien entsprechenden Abschluß zu geben.“ Damit wird dem Bibelleser nahegelegt, dieser wichtige und unzweifelhaft echte Bestandteil des Markusevangeliums sei eine menschliche Hinzufügung!

Immer wieder finden sich z.B. in der revidierten Elberfelder Bibel Bemerkungen wie bei Mt 20,16, wo zu dem Ausspruch des Herrn: „Denn viele sind Berufene, wenige aber Auserwählte“ in der Fußnote steht: „in den wichtigsten alten Handschr. nicht enthalten“ (Die „wichtigsten alten Handschriften“ sind hier Sinaiticus, Vaticanus und 6 weitere Unzialhandschriften). Kann der Leser diese Worte nun als echte Worte des Herrn annehmen? Wenn sie in den angeblich wichtigsten Handschriften fehlen, weshalb haben die Übersetzer sie dann in den Text aufgenommen? Wenn sie aber in den Bibeltext gehören (und das ist unzweifelhaft der Fall), weshalb dann die Fußnote?

In Lk 23,34 kommentiert die revidierte Elberfelder Bibel die berühmten Worte des Herrn Jesus „Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“ folgendermaßen: „in alten und wichtigen Handschr. nicht enthalten.“ Sie fehlen in einigen (NA nennt 8) alexandrinischen Handschriften, wobei sie im Codex Sinaiticus ursprünglich enthalten waren (!), von einem Korrektor gestrichen wurden und von einem weiteren wieder eingesetzt wurden. Sie sind nicht nur in den mehreren tausend byzantinischen Handschriften enthalten, sondern auch in den Unzialhandschriften A und C aus dem 5. Jh.! Dennoch markiert die Nestle-Aland-Ausgabe diese wunderbaren Worte unseres Herrn als eine „mit Sicherheit spätere Hinzufügung“, behauptet also, sie seien unecht!

Das Ausmaß solcher glaubenszersetzender Einwände gegen die Zuverlässigkeit des neutestamentlichen Textes sollte nicht unterschätzt werden: Die revidierte Elberfelder Bibel 2000 hat im NT 176 solche textkritische Fußnoten (im AT sind es übrigens 1.768!); die Ökumenische Einheitsübersetzung 131, die Lutherbibel 1984 immerhin auch 41.

Es bleibt anzumerken, daß der Wahrheitsgehalt dieser textkritischen Fußnoten oft recht fragwürdig ist. So gut wie nie wird das tatsächliche Zahlenverhältnis der Textzeugen erwähnt; das Zeugnis des Mehrheitstextes wird oft regelrecht verschleiert. Wenn z.B. in Mt 5,44 die revidierte Elberfelder anmerkt: „Einige spätere Handschr. fügen hinzu: segnet, die euch fluchen, tut wohl denen, die euch hassen …“, so stehen hinter diesem Text nicht nur die 3-4.000 Textzeugen des byzantinischen Mehrheitstextes (dafür ist „einige“ wohl nicht der Wahrheit entsprechend), sondern auch die zwei alten Unzialhandschriften D und W aus dem 5. Jh. (!).

Was für Folgen hat es, wenn wir solche Bibeln, die das in ihnen geschriebene Wort in der Fußnote wieder in Frage stellen, an junge Gläubige oder suchende Menschen weitergeben? Können solche Bibeln das Wohlgefallen des Herrn finden, die hinter viele Seiner kostbaren Worte ein Fragezeichen machen? Kann Gott den vollen Segen Seines Wortes durch Bibeln schenken, die an einigen Stellen verstümmelt und verändert worden sind?

Wir wollen nicht bestreiten, daß viele aufrichtige Gläubige auch durch das Lesen textkritischer Übersetzungen einen gewissen Segen empfangen. Diese Bibeln enthalten ja zu 90% Gottes gutes Wort. Aber auf der anderen Seite sollte es jedem geistlich prüfenden Christen deutlich geworden sein, daß die Veränderungen durch die Textkritik nicht einfach als harmlos und unwichtig weggeschoben werden können.

 
 
 
 
 
Dieser Beitrag ist ein gekürzter Auszug aus der ausführlicheren Schrift von Rudolf Ebertshäuser Der zuverlässige Text des Neuen Testaments. Der Textus Receptus und die Veränderungen in den modernen Bibeln.
 
 
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