Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch von Rudolf Ebertshäuser, Biblischer Gemeindebau in der Endzeit, das im Juni 2022 erschienen ist. Nähere Informationen zu diesem Buch finden Sie hier.

 

 

Biblischer Gemeindebau ist keine pragmatische Aufgabe für Organisationstalente oder Managementexperten. Wer an diesem geistlichen, heiligen Dienst teilnimmt, sollte ein tiefes und klares Verständnis davon haben, was die Gemeinde des Herrn Jesus Christus nach Gottes Gedanken ist und welche Aufträge, welche Aufbauprinzipien und Lebensgrundsätze sie von Gott, ihrem Schöpfer, bekommen hat.

Biblischer Gemeindebau – das bedeutet ja vor allem, daß dieser Dienst der Aufbauarbeit sich gewissenhaft und treu an Gottes heiligem, inspirierten, geoffenbarten Wort ausrichtet, das heißt für uns vor allem an den Schriften des Neuen Testaments und insbesondere an den neutestamentlichen Briefen, welche die Lehre der Apostel für die Gemeinde enthalten.[1]

Wir wollen uns auf keinen Fall nach dem weltlichen Zeitgeist oder nach fragwürdigen „Gemeindewachstums“lehren richten, sondern möglichst einfältig und klar die von Gott gegebenen Anweisungen umsetzen, in der festen Überzeugung, daß wir nur so den Segen Gottes, an dem alles gelegen ist, für unsere Arbeit empfangen können.

Dabei kommt es vor allem auf ein klares Verständnis der Grundsätze und geistlichen Richtlinien an, weil wir anerkennen, daß Gott uns in Seinem Wort kein systematisches „Arbeitshandbuch“ oder Regelwerk überliefert hat, in dem jede Aufgabe detailliert vorgeschrieben wäre, sondern viele allgemeine Leitlinien und Prinzipien, einige praktische Vorbilder sowie natürlich auch viele konkrete Gebote, aus denen wir eine Richtschnur für unseren Dienst im Gemeindebau ableiten können.

Wir sehen diese treue Ausrichtung an Gottes Wort im alttestamentlichen Vorbild des Baues der Stiftshütte, wo wir mehrfach lesen:

So wurde das ganze Werk der Wohnung, der Stiftshütte, vollendet. Und die Kinder Israels machten alles genau so, wie der HERR es Mose geboten hatte; genau so machten sie es. (2Mo 39,32)

… ganz so, wie der HERR es Mose geboten hatte, so hatten die Kinder Israels das ganze Werk vollbracht. Und Mose sah sich das ganze Werk an, und siehe, sie hatten es ausgeführt, wie der HERR es geboten hatte; so hatten sie es ausgeführt. Und Mose segnete sie. (2Mo 39,42-43)

Es ist sehr wichtig, daß wir uns des geistlichen Auftrages der Gemeinde und ihrer verborgenen Herrlichkeit in Gottes Augen bewußt sind, wenn wir dem Herrn in Seiner Gemeinde dienen. Allzuleicht kann der oftmals schwache, fleischliche Zustand der Gemeinden uns darüber hinwegtäuschen, daß die Gemeinde in Gottes Gedanken einen wichtigen Platz einnimmt und heilig und herrlich ist um ihres Hauptes und Retters willen. Sie ist etwas Kostbares und Einzigartiges in Gottes Augen, und wir sollten lernen, sie so zu sehen, wie Gott sie sieht!

 

 

A. Die Gemeinde in den Ratschlüssen Gottes

 

 

Wir möchten unsere Darstellung der biblischen Lehre über die Gemeinde damit beginnen, daß wir versuchen, das Wesen dieser Heilskörperschaft und ihre heilgeschichtlichen Platz in den Ratschlüssen des ewigen, allmächtigen Gottes zu kennzeichnen. Die Gemeinde ist die Gemeinde Gottes, weil sie aus Gottes ewigen Gedanken entspringt und Seinen gnädigen Willen verwirklicht, in der gegenwärtigen Heilszeit der Gnade Sünder zu erretten und als Seine Kinder um Christus zu versammeln.

 

 

1. Der lebendige Gott ist der Ursprung und das Ziel der Gemeinde Gottes

 

Wir wollen es uns ehrfürchtig vor Augen führen: die Gemeinde, die wir als wiedergeborene Gläubige auf Erden bilden dürfen, ist ihrem geistlichen Wesen nach ein Wunderwerk Gottes, etwas Heiliges, Herrliches. Das ist vor den Augen der Welt verborgen, und auch wir erkennen das oft nicht angesichts der menschlichen Unzulänglichkeiten und Schwachheiten in ihrer äußeren Erscheinung. Aber es ist wichtig, daß wir uns immer vor Augen halten: die Gemeinde gehört Gott, nicht uns Menschen; sie ist heiliger Boden, weil der lebendige Gott sie gebildet hat. Gott, der Vater, ist an diesem Wunderwerk beteiligt, ebenso Jesus Christus, der Sohn Gottes, und auch der Geist Gottes.

* Gott, der Allmächtige, der Allerhöchste, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, beschloß vor Grundlegung der Welt in Seinem Ratschluß die Bildung der Gemeinde (vgl. Eph 3,1-11). Sie ist für Gott da, zur Verherrlichung Seiner wunderbaren Gnade bestimmt (vgl. Eph 1,3-14; 3,21). Der ewige Gott erwählte, berief und begründete sie. „Wir sind sein Werk“ (Eph 2,10). Sie heißt deshalb nicht umsonst Gemeinde Gottes.[2] Ein Gott und Vater aller, über allen und durch alle und in euch allen“ (Eph 4,6); „…damit Gott alles in allen sei“ (1Kor 15,28); „Denn von ihm und durch ihn und für ihn sind alle Dinge. Ihm sei die Ehre in Ewigkeit!“ (Röm 11,36).[3]

Die Gemeinde ist das „Haus Gottes“ auch in dem Sinn, daß sie Gottes aus Gnade adoptierte und von neuem gezeugte Söhne wie in eine Familie versammelt (vgl. Joh 14,2; Gal 6,10; Eph 2,19; 1Tim 3,15; 2Tim 2,20). Sie ist das Haus Gottes aber vor allem in dem Sinn, daß sie in der gegenwärtigen Heilszeit der Tempel und die Wohnstätte des ewigen Gottes auf Erden ist (vgl. 1Kor 3,16-17; 2Kor 6,16; Eph 2,19-22; Hebr 10,21; 1Pt 2,5; 4,17).

 

* Der Sohn Gottes, unser Herr Jesus Christus, hat die Gemeinde durch Sein vollkommenes Sühnopfer erlöst und ihre Glieder, ehemals sündige, dem Tod verfallene Menschen, mit Gott versöhnt und geheiligt. Er ist das ewige Fundament der Gemeinde (1Kor 3,11) und zugleich ihr Eckstein (Eph 2,20). Er als der erhöhte und verherrlichte Herr ist ihr Haupt, das Haupt des Leibes (Eph 1,22; Eph 4,15; Eph 5,23). Nur in Christus und durch Christus hat die Gemeinde ihr Leben und ihre herrliche Stellung vor Gott. Er ist auch der gute Hirte für die Gemeinde, die Seine bluterkaufte Herde ist (vgl. Joh 10,11-16; Hebr 13,20; 1Pt 5,4). Er ist der Bräutigam, dem die Gemeinde als Braut und Gehilfin nach Gottes Ratschluß gegeben wurde (Eph 5,32; 2Kor 11,2). Sie ist deshalb Seine Gemeinde (vgl. Mt 16,18; Röm 16,16).

Die Gemeinde ist gerufen, in allem für Christus zu leben, Ihn zu verherrlichen und vor den Menschen in Tat und Wort zu bezeugen. Der Wille des Herrn Jesus Christus sollte für die Gemeinde als Ganzes wie für den Einzelnen höchstes Gebot und Richtschnur sein; die Gemeinde ist als Leib des Christus Sein ausführendes Organ auf Erden.[4]

 

* Der Geist Gottes, der Heilige Geist ist es, durch den Gott die Gemeinde erbaut und in ihr wirkt. Der Geist Gottes überführt verfinsterte, geistlich tote Sünder von ihrer Verlorenheit im Gericht Gottes (vgl. Joh 16,8) und bringt sie zur Buße und zum Glauben; Er zeugt sie von neuem durch das Wort Gottes (vgl. Joh 3,5-8; ) und nimmt Wohnung in ihnen (vgl. Joh 14,17; Röm 8,9), versiegelt sie (vgl. 2Kor 1,21-22; Eph 1,13-14) und tauft sie in den Leib des Christus hinein (vgl. 1Kor 12,13). Er befähigt die Gläubigen, Gott zu erkennen und anzubeten (vgl. Eph 1,17; 3,4-19; Joh 4,23-24), Sein Wort zu erkennen und auszuleben, die Sünde zu überwinden und in der Gemeinschaft mit Christus zu wandeln. Nur durch das Wirken des Geistes Gottes kann Wachstum und Erbauung in der Gemeinde geschehen; das Fleisch richtet nur Schaden an. Die Gemeinde ist ein geistliches Haus (vgl. 1Pt 2,5), d.h. sie wird durch den Geist erbaut und aufrechterhalten.

Aller Dienst in ihr ist geistlicher Dienst, d.h. muß in der Kraft des Geistes Gottes und unter Seiner Leitung geschehen (2Kor 3,6-8). Gott gibt durch den Geist Gnadengaben für die einzelnen Gläubigen, mit denen sie den ganzen Leib erbauen helfen (vgl. 1Kor 12,4-7). Die Anbetung, die Wortverkündigung, das evangelistische Zeugnis – alle Aktivitäten der Gemeinde sollen nach Gottes Willen in der Kraft und unter der Leitung des Heiligen Geistes geschehen, damit sie vor Gott angenehm sind und Ihm Frucht bringen.[5]

 

 

2. Was „Gemeinde“ bedeutet

  

Wenn wir von der „Gemeinde“ reden, dann sollten wir uns zunächst über den biblischen Gehalt dieses wichtigen Begriffes im Klaren sein. Das griechische Wort, das im Neuen Testament (NT) mit „Gemeinde“ oder manchmal auch mit „Versammlung“ übersetzt wird, ist ek-klèsia,[6] was wörtlich heißt: „die Herausgerufene“.

Dieses Wort bezeichnete im Griechischen normalerweise die zusammengerufene Versammlung aller Vollbürger einer Stadt (ein Beispiel dafür ist die Versammlung der Volksmenge in Ephesus, Apg 19,31-41). Das ist übrigens auch eine Bedeutung des deutschen Wortes „Gemeinde“ (als Versammlung der Bürger eines Ortes), das wir in diesem Buch in aller Regel verwenden wollen.[7]

Ekklesia, „Gemeinde“ ist im NT die aus der Welt herausgerufene Versammlung der Gläubigen, Erlösten und Heiligen in Christus. Die wahre Gemeinde Gottes ist ein Wunderwerk göttlicher Neuschöpfung. Sie ist die geistgewirkte Gemeinschaft aller Kinder Gottes, die Gott berufen und geheiligt hat und die Christus angehören. Sie wird durch den Heiligen Geist gebildet und geformt; der Empfang des Heiligen Geistes und die damit verbundenen Neugeburt aus dem Geist ist die unabdingbare Voraussetzung dafür, daß ein Mensch der Gemeinde Gottes angehören kann.

Die wahre Gemeinde Gottes besteht also nur aus Menschen, die sich aufgrund einer echten Buße und Herzensumkehr zu Jesus Christus als ihrem Herrn und Erlöser bekehrt und Ihn im Glauben angenommen haben. Solche empfangen das Gnadengeschenk der Neugeburt oder Neu-Zeugung (oft auch Wiedergeburt genannt); sie empfangen den Heiligen Geist, der sie in der biblischen Taufe des Geistes in den einen Leib des Christus hineinfügt (1Kor 12,13).

Die Glieder der Gemeinde, seien es bekehrte Juden oder Heiden, waren alle einst Kinder Adams, und als solche gehörten sie dieser gottfeindlichen Welt an (vgl. Röm 5,12-21; Eph 2,1-3.11-12). Nun aber sind sie in Christus (vgl. u.a. Röm 6,3; 1Kor 1,2.30; Gal 1,22), durch Christus gerechtfertigt, geheiligt und herausgerettet aus dieser bösen Welt und aus dem Machtbereich des Satans (1Kor 6,11; Gal 1,4; Kol 1,13).

Das ist wichtig, denn wir müssen von der Bibel her unterscheiden zwischen der wahren Gemeinde der Wiedergeborenen, welche ein geistlicher, gottgewirkter Organismus ist, und der äußerlichen Namenschristenheit, welche eine menschliche Einrichtung weltlicher Religion und Politik ist und nur ein Lippenbekenntnis zu Christus aufweist, aber kein Leben aus Christus.

Die bloß äußerliche „Namenschristenheit“ (so genannt, weil sie christlich nur dem Namen nach ist, nicht ihrem Wesen nach) ist das Ergebnis des von der Bibel vorhergesagten Abfalls vom biblischen Glauben. Dieser Abfall (od. Abtrünnigkeit, Abkehr) setzte nach der Apostelzeit mit der Herausbildung der katholischen Kirche ein (vgl. 1Tim 4,1-3) und wird beim Auftritt des Antichristen in einem bewußten Verrat an Jesus Christus gipfeln (vgl. 2Thess 2,1-4).

Der Geist aber sagt ausdrücklich, daß in späteren Zeiten etliche vom Glauben abfallen und sich irreführenden Geistern und Lehren der Dämonen zuwenden werden durch die Heuchelei von Lügenrednern, die in ihrem eigenen Gewissen gebrandmarkt sind. Sie verbieten zu heiraten und Speisen zu genießen, die doch Gott geschaffen hat … (1Tim 4,1-3)

Das aber sollst du wissen, daß in den letzten Tagen schlimme Zeiten eintreten werden. Denn die Menschen werden sich selbst lieben, geldgierig sein, prahlerisch, überheblich, Lästerer, den Eltern ungehorsam, undankbar, unheilig, lieblos, unversöhnlich, verleumderisch, unbeherrscht, gewalttätig, dem Guten feind, Verräter, leichtsinnig, aufgeblasen; sie lieben das Vergnügen mehr als Gott; dabei haben sie den äußeren Schein von Gottesfurcht, deren Kraft aber verleugnen sie. Von solchen wende dich ab! (2Tim 3,1-5)

Diese letztlich vom Satan durch falsche Lehrer, Propheten und Apostel gebildete falsche Kirche macht heute die große Masse der Christenheit aus; zu ihr gehören die römisch-katholische Kirche, die orthodoxen Kirchen, die liberaltheologischen protestantischen Großkirchen in ihrer großen Mehrheit, sowie viele Angehörige evangelikaler und pfingstlerischer Freikirchen.

Sie alle bilden mit ihren ökumenischen Vereinigungsbestrebungen die Vorform der „Hure Babylon“, der antichristlichen Welteinheitskirche (vgl. Offenbarung 17 und 18).[8] Von dieser übergroß wachsenden falschen „Christenheit“ reden die bekannten Himmelreichsgleichnisse des Herrn Jesus in Matthäus 13:

So hört nun ihr das Gleichnis vom Sämann: Sooft jemand das Wort vom Reich hört und nicht versteht, kommt der Böse und raubt das, was in sein Herz gesät ist. Das ist der, bei dem es an den Weg gestreut war. Auf den felsigen Boden gestreut aber ist es bei dem, der das Wort hört und sogleich mit Freuden aufnimmt; er hat aber keine Wurzel in sich, sondern ist wetterwendisch. Wenn nun Bedrängnis oder Verfolgung entsteht um des Wortes willen, so nimmt er sogleich Anstoß.

Unter die Dornen gesät aber ist es bei dem, der das Wort hört, aber die Sorge dieser Weltzeit und der Betrug des Reichtums ersticken das Wort, und es wird unfruchtbar. Auf das gute Erdreich gesät aber ist es bei dem, der das Wort hört und versteht; der bringt dann auch Frucht, und der eine trägt hundertfältig, ein anderer sechzigfältig, ein dritter dreißigfältig.

Ein anderes Gleichnis legte er ihnen vor und sprach: Das Reich der Himmel gleicht einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säte. Während aber die Leute schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut mitten unter den Weizen und ging davon. Als nun die Saat wuchs und Frucht ansetzte, da zeigte sich auch das Unkraut. Und die Knechte des Hausherrn traten herzu und sprachen zu ihm: Herr, hast du nicht guten Samen in deinen Acker gesät? Woher hat er denn das Unkraut? Er aber sprach zu ihnen: Das hat der Feind getan! (…)

Ein anderes Gleichnis legte er ihnen vor und sprach: Das Reich der Himmel gleicht einem Senfkorn, das ein Mensch nahm und auf seinen Acker säte. Dieses ist zwar von allen Samenkörnern das kleinste; wenn es aber wächst, so wird es größer als die Gartengewächse und wird ein Baum, sodaß die Vögel des Himmels kommen und in seinen Zweigen nisten. Ein anderes Gleichnis sagte er ihnen: Das Reich der Himmel gleicht einem Sauerteig, den eine Frau nahm und heimlich in drei Scheffel Mehl hineinmischte, bis das Ganze durchsäuert war. (Mt 13,18-33)

Geistlich gesehen ist die Namenschristenheit eine Spielart der weltlich-heidnischen Religion. Sie beruht auf einem anderen Geist, einem anderen Evangelium und einem anderen Jesus (2Kor 11,4). Sie beruht auf der Verdrehung der neutestamentlichen Lehre, auf einer heidnischen Sakramentereligion, auf Bibelkritik und andren Irrlehren.

In diesem Buch unterscheiden wir also genau zwischen der wahren Gemeinde Gottes, dem Organismus der wiedergeborenen Kinder Gottes, und dem äußerlichen Gebilde der Christenheit. Unser Auftrag ist es, echte, biblische Gemeinde zu bauen; wenn Kinder Gottes an Kirchen und Gemeinden der Namenschristenheit mitwirken, dann bauen sie, so fürchte ich, hauptsächlich Holz, Heu und Stroh für das Feuer (vgl. 1Kor 3,9-17).

 

 

3. Die Gemeinde im Zusammenhang von Gottes heilsgeschichtlichem Handeln

 

Die Gemeinde unterscheidet sich grundlegend vom alten Bundesvolk Israel, das unter dem Gesetz war (vgl. Röm 10,4; 2Kor 3,6-11; Eph 3,1-11); in ihr bilden zu Christus bekehrte Juden und Heiden eine neue Heilskörperschaft, den Leib des Christus (vgl. Röm 12,5; Eph 1,22-23; 1Kor 12,12-27). Es ist überaus wichtig, daß wir das Neue und Andersartige gut verstehen, das Gott mit der Begründung Seiner Gemeinde begonnen hat. Der große heilsgeschichtliche Wendepunkt war die Kreuzigung und Auferstehung des Sohnes Gottes, des Messias Jesus Christus.

Vor diesem umwälzenden Ereignis in der „Fülle der Zeit“ (Gal 4,4 wörtlich) hatte Gott zuerst mit allen Nachkommen Noahs (Sem, Ham und Japhet) gehandelt, die später auch „Heidenvölker“ genannt werden (hebr. gojim, gr. ethnè). Später hatte der HERR, der Ewige, Abraham aus den im Götzendienst versunkenen Heidenvölkern herausgerufen und einen Bund mit ihm und seinen Nachkommen geschlossen. Er hatte Abraham verheißen, seine Nachkommen durch Isaak zu segnen und aus ihnen den Messias zu erwecken.

Gott erfüllte diese Verheißungen an Jakob und seinen zwölf Söhnen, die zum Volk Israel wurden. Durch Mose ließ der HERR das Volk Israel aus Ägypten erlösen und dann in einen Bund mit sich eintreten, den Bund des mosaischen Gesetzes, der auf der Grundlage der berühmten 10 Gebote am Berg Sinai geschlossen wurde (2. Mose 19). So wurde Israel für viele Jahrhunderte das auserwählte Eigentumsvolk Gottes.

Das Volk Israel durfte das Land Kanaan einnehmen und errichtete dort ein Königreich und ein Tempelheiligtum in Jerusalem, das allein vom HERRN als Stätte des Opferns anerkannt wurde. Später verloren die Israeliten durch ihre Untreue und die ihrer Könige zunächst die Reichseinheit und später die Königsherrschaft, den Tempel und schließlich das ihnen verheißene Land, in das jedoch ein Überrest wieder zurückkehren durfte, der auch einen zweiten Tempel baute.

Während all dieser Zeit war das Volk Israel das alleinige Volk Gottes, die einzige Heilskörperschaft in dieser Welt; die Heidenvölker waren vom Heil und von den Bündnissen und Verheißungen Gottes grundsätzlich ausgeschlossen, auch wenn immer wieder einzelne Heiden durch den Glauben an den Gott Israels gerettet wurden (so etwa Rahab, Ruth, Uria oder Ittai).

Doch mit dem Kommen des Messias wurde das Volk Israel auf eine große Probe gestellt – und es versagte als Ganzes schrecklich. Die Führer und das Volk verwarfen und kreuzigten ihren Messias, den verheißenen Erretter. Nur eine Minderheit, ein gläubiger Überrest von Juden bekehrte sich nach Pfingsten zu Christus. Doch das Volk als Ganzes wurde wegen ihres Unglaubens für eine Zeit verworfen und beiseitegesetzt, und die Gemeinde aus christusgläubigen Juden und Heiden wurde das neue Volk des Eigentums, die neue Priesterschaft (vgl. 1Pt 2,4-10; Tit 2,13-14).

Der Beginn der Gemeinde Gottes, ihre Geburtsstunde, wird von den allermeisten bibeltreuen Lehrern mit dem Kommen des Heiligen Geistes am Pfingstfest in Jerusalem gleichgesetzt, und das mit Recht.[9] Die Gemeinde unterscheidet sich wesensmäßig u.a. dadurch von Israel, daß alle ihre Glieder durch den ausgegossenen Geist der Sohnschaft von neuem zu Kindern Gottes gezeugt wurden und durch die Taufe des Geistes in den geistlichen Leib des Christus, die geistgewirkte Körperschaft der Gemeinde hineingetauft wurden:

Denn gleichwie der Leib einer ist und doch viele Glieder hat, alle Glieder des einen Leibes aber, obwohl es viele sind, als Leib eins sind, so auch der Christus. Denn wir sind ja alle durch einen Geist in einen Leib hinein getauft worden, ob wir Juden sind oder Griechen, Knechte oder Freie, und wir sind alle getränkt worden zu einem Geist. (1Kor 12,12-13)

Die Gemeinde ist nun die neue Heilskörperschaft, der Gott in der gegenwärtigen Heilszeit der Gnade Sein Wort und den Priesterdienst anvertraut hat. Sie hat den Auftrag, das Evangelium der Gnade überallhin auszubreiten und die Menschen zu sammeln und zu unterweisen, die Gott aus der Welt, aus den Juden und den Heiden, herausruft und zur Buße führt, sodaß sie durch den Glauben an Christus gerettet und in diesem Glauben auferbaut werden.

Wenn die Heilszeit der Gnade vollendet und die Vollzahl der Heiden zum Heil eingegangen ist (Röm 11,25), dann wird die Gemeinde zu Gott in den Himmel entrückt, und der Herr wendet sich wieder Israel zu. Dann wird ein Teil der Juden auf dem Höhepunkt der großen Drangsal für Jakob sich zu dem Herrn bekehren, der dann in Macht und Herrlichkeit als Richter und König auf die Erde zurückkommt, um Sein Reich aufzurichten. Dann wird der Geist Gottes auf Israel ausgegossen, und das wiedergeborene, erneuerte Israel wird wieder zum Volk Gottes auf Erden, zu der heiligen Nation von Priestern, die Gott während des messianischen Reiches in besonderer Weise dienen.[10]

Der Auftrag der Gemeinde ist es also, in der Heilszeit der Gnade zwischen der Zeit des Gesetzes und dem kommenden Tausendjährigen Reich alle Menschen durch das Evangelium zu rufen und diejenigen zu sammeln, die durch Gottes Gnade zum Glauben an den Messias finden.

Dabei ist es sehr wichtig, zu verstehen, daß die Gemeinde aufgrund ihrer engen Verbindung zu dem verherrlichten Christus eine himmlische Heilskörperschaft ist, ein geistlicher Organismus mit einer himmlischen Herkunft (Apg 2,2), einer himmlischen Heimat (Phil 3,20), himmlischen Segnungen (Eph 1,3) und einer himmlischen Zukunft (1Kor 15,47-49).

Israel dagegen war ein irdisches Volk mit einer irdischen Verheißung (Land und Königtum im Land Kanaan), irdischen Segnungen (Gesundheit, Wohlstand, Sieg über Feinde) und einer zunächst auch irdischen Hoffnung (Teilhabe am irdischen Friedensreich des Messias). Dabei ist klar, daß die weitergehende Hoffnung auch der alttestamentlichen Gläubigen eine himmlische war (Hebr 11,16).

 

Anmerkungen

 

[1] Zum weiteren Studium dieses Themas gibt es zahlreiche Werke. Kurz und prägnant ist Karl Thewes: Die Gemeinde nach dem Neuen Testament. Etwas ausführlicher sind die Bücher von William MacDonald: Christus und die Gemeinde. Leben und Lehre nach biblischem Vorbild sowie Höchstpreis gezahlt. Gemeinde aus der Sicht Gottes. Viele wertvolle Gedanken vermittelt der Bibellehrer R. K. Campbell, der allerdings an den entsprechenden Punkten die Sonderlehren der exklusiven Brüderversammlungen vertritt, in seinem Grundlagenbuch: The Church of The Living God. Aus der Sicht der bibeltreuen englischen „Offenen Brüder“ ist erwähnenswert: Heading/Hocking (Hrsg.): Church Doctrine and Practice. Wertvolle Gesichtspunkte aus mennonitischer Sicht bietet Gerhard Wölk: Die Heilige Schrift über die Gemeinde. Einen hilfreichen Überblick über das Gemeindeverständnis verschiedener theologischer Richtungen und die biblische Lehre von der Gemeinde gibt Lothar Gassmann in seinem Buch: Was ist Kirche? Papstkirche, Staatskirche oder Gemeinschaft der Glaubenden? Grundlinien biblischer Ekklesiologie.

[2] Vgl. Apg 20,28; 1Kor 1,2; 10,32; 11,16.22; 15,9; 2Kor 1,1; Gal 1,13; 1Thess 2,14; 2Thess 1,4; 1Tim 3,5.15.

[3] Vgl. auch Eph 3,1-12; Röm 16,25-27; 2 Tim 1,9-10; Eph 4,4-6; 1Kor 8,6.

[4] Vgl. auch Eph 1,3-12; Kol 1,15-20; 1Kor 3,11; Eph 2,11-22; 1Kor 6,14-15.

[5] Vgl. auch Röm 8,9-17; Eph 2,22; 1Kor 6,19; 1Kor 12,4-7+11-13; Gal 5,25; Phil 3,3.

[6] Bei der Umschrift griechischer Wörter aus dem NT verwende ich è für den Buchstaben Eta und ò für Omega; Vorsilben sind manchmal durch einen Trennstrich kenntlich gemacht.

[7] Den Begriff „Versammlung“, der in der alten Elberfelder Bibel und im Schrifttum der exklusiven Brüderbewegung verwendet wird, haben wir in diesem Buch in der Regel nicht verwendet, weil „Gemeinde“ für die meisten Leser der vertrautere Begriff ist.

[8] Vgl. die ausführliche Behandlung dieses Themas in meinem Buch Der Weg der Gemeinde in der Endzeit, S. 83-109 sowie S. 169-200.

[9] Es gibt einige Lehrer des „Hyperdispensationalismus“, die dies abstreiten und den Anfang der Gemeinde erst mit dem Dienst des Apostels Paulus ansetzen. Sie betreiben eine überzogenen Schriftteilung, welche große Teile des Neuen Testaments nur Israel zuordnet und für die Gemeinde z.T. nur wenige Paulusbriefe gelten läßt. Vgl. zu diesen falschen Lehren meine Schrift: Die Bibel, Israel und die Gemeinde. Gefahren einer überzogenen Schriftteilung („Hyperdispensationalismus“) (Quelle: https://das-wort-der-wahrheit.de/download/die-bibel-israel-und-die-gemeinde-gefahren-einer-ueberzogenen-schriftteilung-hyperdispensationalismus/).

[10] Vgl. zum tieferen Verständnis dieser heilsgeschichtlichen und prophetischen Zusammenhänge John F. Walvoord, Brennpunkte biblischer Prophetie.

 

 

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