Die unaufhörliche technische Weiterentwicklung des Internets, vereint mit der des PC, hat die fast unbegrenzte Möglichkeit eröffnet, Bilder, Filme, Videos und künstlich erzeugte bewegte Bildwelten im Netz veröffentlichen oder für sich herunterladen und ansehen zu können. Solche bewegten Bilder haben, wie Forscher herausgefunden haben, einen starken Einfluß auf das Gehirn, auf das Denken und besonders die Emotionen der Menschen – man könnte auch sagen: eine starke Macht über die Seele des Menschen. Das liegt auch daran, daß Bilder einen hohen Reizwert für das Gehirn haben und sich oft stark einprägen.

Mit den heute sehr weit verbreiteten animierten Computerspielen ist eine weitere Stufe der digitalen Scheinrealität erreicht: Der Zuschauer ist nicht mehr nur der passiv Aufnehmende, sondern er wird in eine erfundene, vorgetäuschte Anderswelt hineingenommen und kann sie aktiv mitgestalten. Eine Spielart der „sozialen Netzwerke“ sind in diesem Zusammenhang die künstliche Geselligkeit von selbst erfundenen Rollen, wie sie etwa in Second Life ausgelebt werden kann, wo man sich mit anderen Spielern treffen kann, wobei alle selbst gestaltete Schein-Personen spielen, die mit der realen Person oft wenig zu tun haben.[1]

Abhängig vom technischen Fortschritt wurden die Spiele im Laufe des Computerzeitalters immer komplexer und vielfältiger; sie reichen heute von wirklichkeitsnahen Rollenspielen und Simulationen (Landwirtschaftssimulator, Flugsimulator) über digitale Fußballspiele und historische oder zeitgenössische Strategiespiele bis hin zu umgesetzten Kriegs- und Gewaltphantasien und dämonisch ausstaffierten Fantasy-Welten voller Gewalt, Horror und Magie.

 

 

Entführt in die Hölle: Die Abgründe der „Ego-Shooter“-Spiele

 

Eine unrühmliche Bekanntheit erreichten vor allem die vielen „Ego-Shooter“-Spiele mit ihren Schießorgien aus der direkten persönlichen Perspektive. Der Computerexperte Christian Stöcker, der selbst ein Spielefan ist, schildert ein früher sehr populäres Spiel so:

In „Doom“ steigt der Spieler nach und nach in immer grausigere Gefilde hinab, bereist die Marsmonde Phobos und Deimos und schließlich die Hölle selbst. Mit einem Waffenarsenal, das von der Pistole über Schrotflinte und automatische Waffen bis hin zu einer Kettensäge und einer Plasmawaffe namens BFG 9000 (…) reicht, muß er nicht enden wollende Horden von abscheulichen Kreaturen niedermetzeln, in ständiger Angst, daß sich eines der häßlichen Wesen von hinten anschleichen könnte. Manche von ihnen können sich sogar unsichtbar machen. Zu sehen ist auch die Spielfigur selbst nie: „Doom“ etablierte den Blick über den Lauf der eigenen Waffe hinweg als Standardperspektive für Computerspiele und hievte Spieler auf bis dahin unbekannte Stresslevel.

Aus dem Blick durch die Frontscheibe eines Raumschiffs war der Blick durch die Augen einer unsichtbaren Spielfigur geworden. Folgerichtig zeichnen sich Ego-Shooter-Helden in der Regel durch vollständige Abwesenheit einer erkennbaren Persönlichkeit aus. Sie sind leere Hüllen, vom Spieler selbst mit Emotion und Motivation zu füllen. (…) Das Gefühl des Geworfenseins in eine feindliche, unübersichtliche Welt transportieren diese Spiele deshalb besser als alle anderen. Dazu paßt, daß sie besonders häufig im Krieg spielen: Die trotz schwerster Bewaffnung faktische Ohnmacht eines einfachen Soldaten, der nur Befehle befolgt und ständig um sein Leben fürchten muß, fängt dieses Genre perfekt ein.

Beleuchtet wurde „Dooms“ trostlose Spielwelt von flackernden Neonröhren und rot glühenden Lavaströmen. Wenn man sich nach fünf, sechs Stunden Spielen ins Bett legte, träumte man von endlosen, schlecht beleuchteten Gängen und dem albern-gräßlichen Grunzen der Dämonen. „Doom“ war schrecklicher, blutiger und faszinierender als alles, was die Spielebranche bis dahin hervorgebracht hatte. Zu schrecklich für den deutschen Jugendschutz: Ende Mai 1994 wurde das Spiel hierzulande auf den Index der jugendgefährdenden Medien gesetzt, durfte fortan weder beworben noch öffentlich zum Verkauf angeboten oder gar an Jugendliche unter 18 abgegeben werden. Dem Erfolg von „Doom“ auch in Deutschland tat das jedoch keinen Abbruch.[2]

Es ist unfaßbar, daß es viele Politiker und sogenannte „Experten“ gibt, die, wie Stöcker selbst, den verrohenden und abstumpfenden, krankmachenden Einfluß solcher aus der Finsternis geborenen Spiele bestreiten und so tun, als könnte der Mensch sich ohne schädigende Auswirkungen solcher Dämonie aussetzen. Dagegen haben verschiedene Untersuchungen erwiesen, daß aggressive Computerspiele die Spielenden – ob Kinder, Jugendliche oder Erwachsende – aggressiver machen und verrohen. Eine Expertin, Frau Dr. Möller, teilte ihre Erkenntnisse aus entsprechenden Untersuchungen in einem Interview mit, aus dem wir einen Auszug abdrucken:

Frau Möller, Sie haben über 3.300 Menschen befragt, haben Labortests mit Erwachsenen und Langzeitstudien bei Schülern der 7. und 8. Klassen durchgeführt. Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Spielen gewalthaltiger Computerspiele und einer höheren Aggressionsbereitschaft?

 Man muß unterscheiden zwischen kurzfristigen Auswirkungen direkt nach dem Spiel und langfristigen Auswirkungen. Bei Labortests stellten wir fest, daß Spieler direkt nach einem gewalthaltigen Spiel verstärkt aggressive und feindselige Gedanken hatten. Langzeituntersuchungen ergaben, daß die Häufigkeit und Regelmäßigkeit, mit der Spieler die Gewaltspiele spielen, einen großen Einfluß auf die Aggressionsbereitschaft haben.

Also je intensiver ein Spieler gewalthaltige Spiele über einen längeren Zeitraum nutzt, desto eher reagiert er in bestimmten Situationen aggressiv?

Das muß nicht in allen Fällen passieren, die Wahrscheinlichkeit ist aber groß – nicht nur bei Jugendlichen, sondern auch bei Erwachsenen. Vor allem die Bereitschaft, in Konfliktsituationen aggressive Lösungsstrategien zu verwenden, nimmt durch das Spielen von Gewaltspielen zu. (…)

Welche Auswirkungen haben Sie bei Ihren Forschungsarbeiten sonst noch festgestellt?

Die Fähigkeit, Mitleid mit Opfern von Gewalttaten zu empfinden, nimmt ab. Allerdings kann man das nicht nur auf Computerspiele beziehen. Mediengewalt ist ja allgegenwärtig – Jugendliche erleben Gewalt in Kinofilmen und Fernsehen. Menschen, die insgesamt viel Gewalt in den Medien konsumieren, empfinden auch weniger Mitleid mit Menschen in Notsituationen. (…)

Kann ein Spieler sich bei einem Actionspiel mit Kämpfen und Schießereien abreagieren oder ist er anschließend eher aufgeladen?

Es kann keine Rede davon sein, daß durch Computerspiele vorhandene Aggressionen abgebaut werden. Diese These wurde durch wissenschaftliche Untersuchungen in den letzten 20 Jahren widerlegt. Das Gegenteil ist der Fall. Nach einem aufregenden Spiel sind Spieler angespannt und müssen sich erst wieder abreagieren.[3]

 

 

Ein gefährlicher Trend: Online-Rollenspiele mit vielen Spielern

 

Bei Online-Rollenspielen ist vermittels der Internetverbindung sogar das virtuelle Zusammenwirken mehrerer Teilnehmer in Echtzeit im Rahmen eines Spieles möglich (MMORPGs = Massive Multiplayer Online Role-Playing Games). So wurden aus den ersten primitiven „Computerspielen“, bei denen man Schach, Karten oder Pingpong auf dem Bildschirm spielen konnte, rasch immer kompliziertere und immer (schein-) realistischere Rollen- und Situationsspiele, in denen der Mensch in einer angenommenen Rolle und mit einer veränderten, oft heroisch überhöhten Schein-Persönlichkeit an fiktiven Abläufen aktiv mitwirken kann.

Solche Computerspiele (neudeutsch „Games“), wie etwa das weltweit bekannteste Spiel World of Warcraft mit etwa 8 Millionen Spielern, erlangten in kurzer Zeit eine hohe Beliebtheit beim Publikum, insbesondere bei jüngeren Männern. Längst weiß man unter Fachleuten und Therapeuten, daß solche Spiele alles andere als harmloser Zeitvertreib sind. Sie geben der Seele starke Eindrücke und emotional aufgeladene (Schein-) Erfahrungen, Abenteuer und Bewährungsproben. Sie vermitteln auch schwierigen, kontaktarmen Persönlichkeiten einfach und rasch Erfolgserlebnisse.

In der Gemeinschaft mit den Mitspielern (z.B. einer „Gilde“) erfahren diese jungen Menschen Bestätigung und Erfolgserlebnisse – aber auf der anderen Seite entsteht ein zunehmender Druck, mitzumachen und mehr Zeit zu investieren, weil davon die Anerkennung und der Erfolg im Spiel abhängen.

 

 

Die Gefahr der Spielesucht

 

Allzuviele Spieler lassen sich immer weiter in diese Scheinwelten hineinziehen und werden spielesüchtig. Die Folgen sind schlimm: Emotionale Verarmung, Rückzug von wirklichen Kontakten, zunehmender Verlust der Leistungsfähigkeit in Ausbildung und Beruf, bis hin zu psychischen Störungen und der Notwendigkeit einer Therapie.

Zwei Fachleute, der Familientherapeut Wolfgang Bergmann und der Neurobiologe Prof. Gerald Hüther, haben in ihrem Buch Computersüchtig: Kinder im Sog moderner Medien beschrieben, was eine solche Spielesucht für den Betroffenen bedeutet:[4]

Süchtig, das heißt: sie verlassen selbst bei schönstem Sonnenschein ihr Zimmer nicht mehr, hocken wie gebannt vor dem Computer, sie vernachlässigen ihren Körper – im Spiel gibt es keine Körpererfahrung, nur der Gesichtssinn leitet alle Handlungen -, sie essen wenig und widerwillig, sie schlafen kaum. Denn ihr Spiel kennt keine Unterbrechung, 24 Stunden am Tag rund um den Globus. Wer schläft, versäumt vielleicht wesentliche Elemente, zumindest vermißt er die besondere Intimität mit seiner Spielgemeinde oder die Kraft und Abenteuerlichkeit des Aufeinanderschlagens feindlicher Heere, der Erkundung des magischen Kerns und anderer heiliger Stätten. Und so spielen sie bis tief in die Nächte hinein und finden kein Ende. Übermüdet und desinteressiert sitzen sie in der Schule; angesichts der Intensität der Bilder und der magischen und kommunikativen Motive wirkt dort alles staubig und fremd. Letztlich empfinden sie ihre soziale Umwelt als Last, jede Aufgabe, sei es für die Schule, die Ausbildung oder für die Familie, als Zumutung. Selbst die Bedürfnisse des Körpers erscheinen ihnen zunehmend ärgerlich und überflüssig. Viele werden krank dabei, viele versäumen ihre Lebenschancen, und es ist zu befürchten, daß manche an den Folgen dieser Sucht sterben. (S. 44-45)

Bergmann und Hüther beschreiben auch, was diese Spieleerfahrung im Netz für die Betroffenen so faszinierend macht und ihre Wirklichkeitsflucht verstärkt:

Vielleicht wird das Faszinosum Netz und Spiel so allmählich ein wenig deutlicher. Es bricht mit der herkömmlichen Vernunft und überwindet dabei auch all die Kränkungen, die vielen kleinen Niederlagen und Enttäuschungen, die man als Kind auf seinem Entwicklungsweg erfahren hat. Das Netz verspricht „Verschmelzung in Lichträume“ (…) und tröstet uns über die vielen Erinnerungen an Mühen und Kränkungen, vom ersten Aufrichten im zweiten Lebensjahr bis zur Mühsal des Schreibens und Rechnens und dem Erwerb anderer symbolischer Ordnungen hinweg. Im virtuellen Raum agieren wir wieder schier unbegrenzt, gehen Kontakte und Kommunikationsformen ein, in denen wir unsere Identitäten beliebig wechseln, mischen uns in Spiele ein, in denen wir als Heroen erscheinen, unbesiegbar und unsterblich. All dies wird gefüttert von oft eindrucksmächtigen Bildern – zumal in den ausgefeilteren Computerspielen.

Dabei bleibt unser Körperempfinden freilich weitgehend zurück. Nur die Fingerspitzen auf der Tastatur verbinden unseren Körper mit den Kontakten und Szenarien im Netz, hier dominiert der Gesichtssinn, die Augen, das Sehen, das bei längerem Spiel am Monitor immer fixierender wird, immer starrer. Dieses Sehen verengt sich, verdichtet sich. Der Spieler erlebt eine enorme Fokussierung seines Gesichtssinnes bei gleichzeitigem Zurückbleiben des „restlichen“ Körpers und Körpergefühls – genau dies ist ein wesentlicher Teil der Faszination, die das Spielen im Computer ausmacht. Ich erreiche einen Zustand der Konzentration und dann der Überkonzentration und vergesse meinen Körper, spalte ihn im gewissen Sinn ab. Ich schwebe durch virtuelle symbolische Räume, ganz Ich und ganz frei. (S. 50)

Solche unwirklichen bzw. scheinwirklichen Grenzerfahrungen lösen dann bei entsprechender Vorprägung Süchte aus, die letztlich auch durch die Umformung des Gehirns und seiner Schaltkreise und Belohnungsmechanismen verfestigt und verstärkt werden, wie Bergmann und Hüther ausführlich schildern. „Wenn Kinder und Jugendliche täglich mehrere Stunden vor ihren Computern verbringen, so verändert dies nicht nur ihre Wahrnehmung, ihr Raum- und Zeitempfinden, ihre Gefühlswelt und ihre Fähigkeit, sich im realen Leben zurechtzufinden. All das, was sie mit ihren Computern machen und was sie in ihren Computerspielen erleben, verändert auch ihr Gehirn“ (S. 68-69).

 

 

Christen sollten sich und ihre Kinder vor zerstörerischen Computerspielen bewahren

 

Wenn wir die digitale Scheinwelt, die uns die Computerspiele vorführen, geistlich beurteilen, dann fällt hier zum einen die klare Ausrichtung der biblischen Lehre ins Gewicht, daß wir uns im realen Leben, in der unverstellten Wirklichkeit unseres Lebensumfeldes (Familie, Freunde, Gemeinde, Beruf usw.) zu bewähren haben. „Wer seinen Acker bebaut, wird reichlich Brot haben; wer aber Nichtigem nachjagt, dem mangelt es an Verstand“ (Spr 12,11). Das geistliche Leben kennt keine Flucht in Fantasie und Träumerei, und auch nicht in digitale Scheinwelten.

Im Rahmen unserer Christusnachfolge können wir sehr wohl den realitäts- und sachbezogenen Bereich der digitalen Medien nutzen, um dem Herrn zu dienen; den Bereich der Fantasiewelten und der Scheinrealität aber sollten wir bewußt meiden, denn das macht geistlich krank.

Es sollte klar sein, daß bewußte Christen solche gefährlichen Spiele weder selbst spielen, noch ihren minderjährigen Kindern solches erlauben sollten. Hinter sehr vielen solchen Spielen steckt eine krankhafte, von dämonischen Mächten angefeuerte Phantasie; sie führen nicht nur zu psychischen Schädigungen, sondern auch zu geistlichen. Spielekonsolen sollten in christlichen Familien nicht zu finden sein; Eltern sollten ihre Kinder über die Gefahren von Computerspielen aufklären und genaue Aufsicht führen, was die Kinder in ihrer begrenzten und altersgemäß gestalteten Computerzeit tun, die von den Eltern wie auch von Kinderschutzprogrammen klar gesteuert und überwacht sein sollte.

Wir sollten unsere Kinder altersgemäß zu gesundem, natürlichem Spiel in der nicht-digitalen Wirklichkeit ermutigen und so viel wie möglich mit in unseren Alltag mit seinen Pflichten und Aufgaben einbeziehen – durch Mithilfe beim Kochen, Putzen und Räumen, durch Mitwirken bei Reparaturen und Einkaufsgängen, durch gemeinsame Unternehmungen und auferbauende, förderliche Gemeinschaft mit realen Menschen, durch Übertragen von sinnvollen Aufgaben im zwischenmenschlichen Bereich, damit die nicht-virtuelle Wirklichkeit als wertvoll und sinnvoll empfunden wird.

 

 

Dieser Beitrag ist ein leicht bearbeiteter Auszug aus dem Buch von Rudolf Ebertshäuser: Als Christ in der Welt des Internets. Hilfen zum geistlichen Umgang mit Smartphones, sozialen Netzwerken und anderen digitalen Medien (Steffisburg: Edition Nehemia 2. Aufl. 2015), S. 143, 147-155.

 

© Rudolf Ebertshäuser  2015   Veröffentlicht auf das-wort-der-wahrheit.de  im Februar 2020

 

[1] Umfassendere, wenn auch weitgehend unkritische Informationen über moderne Computerspiele bietet der Sammelband Lober (Hg.), Virtuelle Welten werden real.

[2] Stöcker, Nerd Attack, S. 148-149.

[3] Interview von Ellen Nieswodiek-Martin mit Dr. Ingrid Möller; in: Nieswodiek-Martin, Generation Online, S. 98-102.

[4] Bergmann / Hüther beschreiben ein Spielszenario anschaulich anhand von World of Warcraft in ihrem Buch Computersüchtig, S. 17-24. Betroffenen Eltern ist dieses Buch, das aus reicher Praxiserfahrung bei der Therapierung computersüchtiger Jugendlicher schöpft, zu empfehlen, auch wenn es stark von der geistlich problematischen Psychoanalyse geprägt ist.

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