Der zweite große Abschnitt im 2. Thessalonicherbrief beginnt mit dem 2. Kapitel, das seinerseits in zwei Sinnabschnitte eingeteilt werden kann. Beide handeln hauptsächlich von dem großen Gerichtstag des Herrn und von der Beziehung der erlösten Gemeinde in Christus zu diesem Tag. Wir haben hier den zentralen Abschnitt des ganzen Briefes vor uns.[1]

In den Versen 1-12 zeigt der Apostel den beunruhigten Thessalonichern, daß der Tag des Herrn noch nicht angebrochen war, wie sie aufgrund von irreführenden Botschaften befürchteten, sondern daß dieser große Gerichtstag erst kommen kann, wenn die Gemeinde und das mit ihr verbundene besondere Wirken des Heiligen Geistes (das, was aufhält) aus dem Weg ist, wenn der Abfall der Namenschristenheit endgültig vollzogen wurde und der „Mensch der Sünde“ (der Antichrist) persönlich offenbart worden ist.

Der Apostel betont dabei einerseits die Listen des Satans, der den Menschen der Sünde, den Gesetzlosen mithilfe von falschen Wunderzeichen einführen wird, und andererseits die Souveränität Gottes im Gericht. Gott gebraucht die lügnerischen Wunderzeichen des Teufels und die Verführung des Antichristen, um die Menschen zu richten, die der Wahrheit des Evangeliums nicht geglaubt haben. Auf dem Höhepunkt seines boshaften Waltens wird der Gesetzlose von Gott durch die Ankunft des Christus schrecklich gerichtet und für immer ausgeschaltet.

Viele hier geoffenbarten Ereignisse und Einzelheiten werden in dieser Form nirgends sonst in der Heiligen Schrift erwähnt; insofern ergänzen die Ausführungen des Apostels in diesem Kapitel die prophetischen Aussagen etwa in Matthäus 24 und 25, in 2. Petrus 3 oder 1. Thessalonicher 5 sowie dem Buch der Offenbarung und geben uns eine wertvolle Orientierung, wie Gott Seine Gerichte in der allerletzten Phase des gegenwärtigen bösen Zeitalters ausführen wird. Sie ermutigen uns auch, indem sie zeigen, daß der Vormarsch der Bosheit und Gesetzlosigkeit allezeit unter der Kontrolle des allwissenden und allmächtigen Gottes steht und Ihm nichts entgleitet.

In den Versen 13-17 zeigt der Apostel im Kontrast zu diesem furchterregenden Gericht über die Gottlosen, daß Gott die begnadigten Gläubigen der Gemeinde aus diesem Zorngericht in jeder Hinsicht ausgenommen hat. Sie waren von Gott auserwählt zum Heil und dazu berufen, die Herrlichkeit des Herrn Jesus Christus zu erlangen. Sie sollten durch die Lehre des Apostels Mut fassen und an der gesunden Apostellehre standhaft festhalten; Gott selbst würde sie trösten und stärken.

Diese Belehrungen sind jedoch auch für uns heutige Leser von großem Wert. Zum einen sollten wir gerade in einer Zeit, in der sich antichristliche Entwicklungen und die Entfaltung der Gesetzlosigkeit verschärfen, daran festhalten, daß die Gemeinde nicht in die Gerichte und Prüfungen der antichristlichen Zeit kommt, sondern durch die Entrückung vor diesen Zorngerichten bewahrt und in die Himmelsherrlichkeit geführt wird. Unsere glückselige Hoffnung ist der wiederkommende Herr; wir warten nicht auf den Antichristen und die Schrecken der großen Drangsal!

Zum anderen aber geben uns die inspirierten prophetischen Schilderungen der antichristlichen Zeit auch einen Maßstab, die heute schon ablaufenden vorbereitenden Entwicklungen geistlich richtig einzuordnen. Wir leben heute in den letzten Tagen der Gemeindezeit, in der vor-antichristlichen Zeit, in welcher viele Kennzeichen der eigentlichen antichristlichen Zeit bereits vorbereitend in abgeschwächter Form auftreten. Das gilt von der sich ausbreitenden Gesetzlosigkeit („Ehe für alle“, „Gender Mainstreaming“), von der humanistischen Selbstverherrlichung und Vergottung des Menschen, von den sich ausbreitenden betrügerischen Zeichen, Wundern und Kräften durch die falschen Propheten der Pfingst- und Charismatischen Bewegung oder der katholischen Mystik (Fatima). Dieses Kapitel aus Gottes Wort ermöglicht es uns heute, solche Entwicklungen richtig einzuschätzen und ihnen wachsam zu begegnen.

Dieser Abschnitt wurde von vielen theologischen Auslegern als schwierig und dunkel angesehen; das liegt aber in erster Linie an einem fehlgeleiteten Lehrverständnis, das die biblische Lehre von der Entrückung der Gemeinde mißdeutet, die der Apostel im 1. Thessalonicherbrief so deutlich dargestellt hat.

Wenn wir diese Lehre so annehmen, wie sie geschrieben steht, und die beiden Briefe als eine Einheit ansehen, wie es nötig ist, dann wird die grundlegende Aussage dieses Abschnittes recht klar und einleuchtend erscheinen – auch wenn der Apostel manches relativ kurz darstellt, von dem wir uns gewünscht hätten, es würde ausführlicher erklärt. Es hat dem ewigen Gott gefallen, uns diese Lehre in dieser Form zu geben, sodaß wir demütig um Erleuchtung und Aufschluß bitten und fleißig in der Schrift forschen müssen, statt die Lösungen gleich auf der Hand zu haben.

 

 

Verwirrung über die Entrückung und den Tag des Herrn (2,1-2)

 

Wir bitten euch aber, ihr Brüder, wegen der Wiederkunft unseres Herrn Jesus Christus und unserer Vereinigung mit ihm: Laßt euch nicht so schnell in eurem Verständnis erschüttern oder gar in Schrecken jagen, weder durch einen Geist noch durch ein Wort noch durch einen angeblich von uns stammenden Brief, als wäre der Tag des Christus schon da.

Nun erst, nach den ausführlichen Ermutigungen und Ausblicken in die Zukunft im ersten Kapitel kommt der Apostel nun auf die eigentliche Ursache der Verwirrung bei den Gläubigen in Thessalonich zu sprechen. Er hatte im 1. Kapitel die zugrundeliegende Frage bereits angeschnitten und aufgeklärt, wie wir gesehen haben.

Er zeigte den Thessalonichern, daß ihre Leiden und Bedrängnisse nicht Ausfluß von Gottes Zorngericht waren, sondern Ausdruck dessen, daß sie der Mitherrschaft im künftigen Reich des Messias gewürdigt waren, wofür sie zubereitet und geläutert werden sollten. Wenn der „Tag des Herrn“ wirklich da wäre, dann würden die Gottlosen bestraft werden und leiden, während die Gläubigen sich dann verherrlicht mit Christus der Ruhe erfreuen könnten.

Nun aber spricht der Geist Gottes die Wurzeln des Übels an. Die Gläubigen hatten sich durch verführerische falsche Lehrer verunsichern lassen, sodaß sie die Lehre des Apostels Paulus über ihre kostbare Hoffnung der baldigen Entrückung nicht mehr festhielten. Diese Irrlehrer hatten behauptet, der „Tag des Christus“, das heißt der Gerichtstag des Messias, der Tag des Herrn, sei bereits da.

Das würde bedeuten, daß die Gläubigen durch die sich steigernden Schrecken und Gerichte der großen Drangsal gehen müßten, bevor sie Rettung durch das Kommen des Messias in Macht und Herrlichkeit erwarten könnten.

Durch diesen Irrtum war ihr Blick nicht mehr einfältig auf den Herrn gerichtet, der sie in den Himmel führen würde, wie es der Apostel sie gelehrt hatte (vgl. 1Thess 1,10). Sie schauten auf das Wüten ihrer Gegner, auf die Macht des Bösen, auf die zu erwartenden grausigen Gerichte Gottes. Dies war eine jüdische und keine christliche Sichtweise. Die Juden erwarteten aufgrund der alttestamentlichen Prophetie genau diesen Ablauf, durch den der Überrest Israels, der an den Messias glaubt, nach der Entrückung der Gemeinde auch gehen muß. Die gottesfürchtigen Juden werden dann durch große Leiden und Nöte geführt, auch weil sie dem abtrünnigen Volk angehörten, das den Messias verworfen hatte, und sich erst nach der Entrückung zu Christus bekehrt hatten.

Die Gemeinde aber, so zeigt es der Geist Gottes im zweiten Abschnitt unseres Kapitels (2Thess 2,13-14; vgl. 1Thess 5,8-10), war von Ewigkeit her nicht zum Zorn, sondern zur Errettung erwählt; durch den Glauben an den gekreuzigten und auferstandenen Christus waren sie dem Zorn Gottes auf ewig entronnen. Bevor die Zorngerichte Gottes am Tag des Herrn über die Bewohner der Erde kommen würden, mußte die Gemeinde zu Christus in den Himmel geholt und mit Ihm vereinigt werden. Sie ist ja, durch den in ihr wohnenden Heiligen Geist, in der gegenwärtigen Gnadenzeit das, was die volle Entfaltung der Gesetzlosigkeit und der satanischen Bosheit noch zurückhält.

Der Apostel Paulus appelliert nun an die Thessalonicher um der Tatsache willen, daß sie ja um die jederzeit bevorstehende Wiederkunft des Herrn Jesus Christus für die Gemeinde wußten, die zur Entrückung und zur Vereinigung der Braut mit ihrem Bräutigam führen mußte, daß sie sich nicht dazu verleiten lassen sollten, zu meinen, der Gerichtstag des Christus sei schon da.[2] (Vgl. dazu unser Vertiefungsthema Die biblische Lehre von der Entrückung der Gemeinde, S. 241-243.)

Nachdem ja, wie er gezeigt hatte (2Thess 1,10), die Gemeinde beim Kommen des Christus als Richter und König bereits verherrlicht an der Seite des Messias auftreten würde, konnte der Tag des Herrn noch nicht angebrochen sein, solange sie noch auf Erden waren. Die kostbare Wahrheit von der jederzeit möglichen Entrückung der Gemeinde, die der Apostel ihnen im ersten Brief so deutlich vor Augen gestellt hatte, sollte sie davon abhalten, solchen Lügen zu glauben (vgl. 1Thess 1,9-10; 4,13-18).

 

2Thess 2,1      Wir bitten euch aber, ihr Brüder, wegen der Wiederkunft1 unseres Herrn Jesus Christus und unserer Vereinigung mit ihm2:

2Thess 2,2      Laßt euch nicht so schnell in eurem Verständnis erschüttern3 oder gar in Schrecken jagen4, weder durch einen Geist5 noch durch ein Wort6 noch durch einen angeblich von uns stammenden Brief7, als wäre der Tag des Christus schon da8.

hyper tès parousias = hyper: um … willen, in betreff, wegen; par-ousia = Gegenwart, Anwesenheit, Ankunft, Kommen (vom Kommen des Herrn zur Entrückung: 1Kor 15,23; 1Thess 2,19; 3,13; 4,15; 5,23; 2Thess 2,1; Jak 5,7.8; 1Joh 2,28; vom Kommen des Herrn zum Gericht: Mt 24,3.27.37.39; 2Pt 1,16; 3,4.12)

hèmòn epi-synagògès ep’auton = unseres Sich-Versammelns / unserer Sammlung / unserer Vereinigung zu ihm hin

eis to mè tacheòs saleuthènai hymas apo tou noos = damit ihr euch nicht schnell schwankend machen / erschüttern / in Aufregung bringen laßt (saleuò Aor Inf Pass), weg vom vernünftigen Denken / vom klaren Verständnis / von der überlegten Einsicht (nous)

mète throeisthai = noch auch in Schrecken versetzen (throeò Präs Inf Pass)

dia pneumatos = durch einen Geist, bezeichnet hier eine falschprophetische Geistesbotschaft

logos = Wort, Rede, Nachricht, Ausspruch

di‘ epistolès hòs di‘ hèmòn = w. durch einen Brief, wie wenn von uns

hòs hoti en-estèken hè hèmera tou Christou = als sei schon eingetreten / gegenwärtig / da (en-histamai Perf) der Tag des Christus (Textus Receptus; NA = kyriou des Herrn)

 

V. 1-2: Nachdem der Apostel die Thessalonicher getröstet hat wegen der schweren Verfolgungen, die sie zu erleiden hatten und die sie vielleicht schwer verstehen und einordnen konnten, kommt er nun auf eine besondere Quelle der Beunruhigung zu sprechen, von der er offensichtlich aus Thessalonich durch Boten erfahren hatte (2Thess 3,11: „Wir hören nämlich“).

 

Die irreführende Botschaft: Wir sind in der Drangsal!

Gewisse verführerische Leute, falsche Propheten und Lehrer, wahrscheinlich Vertreter falscher jüdischer Lehren ähnlich wie bei den Galatern, hatten die Gläubigen mit ihren Botschaften beunruhigt. Sie verkündeten durch falschprophetische Geistesoffenbarungen und Wortbotschaften und sogar mittels eines gefälschten Apostelbriefes, der große Gerichtstag des Herrn sei schon angebrochen.

Von diesem furchterregenden Gerichtstag am Ende der Zeiten wußten die meisten Gläubigen in Thessalonich schon aus der Synagoge mit ihren Prophetenlesungen. Auch der Apostel Paulus hatte sie über diesen Tag belehrt und ihnen auch deutlich gemacht, daß zuerst die Gemeinde entrückt werden mußte, wie er ihnen ja auch im 1. Thessalonicherbrief geschrieben hatte (4,13-18), und daß es auch bestimmte Ereignisse gab, die eintreten mußten, bevor dieser Gerichtstag des Messias kommen konnte. In 2. Thessalonicher 2,5-6 erinnert er sie leise tadelnd an seine Lehren, die sie angesichts der verwirrenden neuen Botschaften wohl vergessen hatten.

Wenn das wahr wäre, was die beunruhigenden Botschaften aussagten, dann hätten die Gläubigen in Thessalonich, die doch so eifrig die Wiederkunft des Herrn Jesus Christus zur Entrückung seiner Gemeinde erwarteten, sich bitter getäuscht. Schlimmer noch, der Apostel Paulus hätte sie getäuscht. In seinem ersten Brief hatte er ihnen doch geschrieben:

Denn sie selbst erzählen von uns, welchen Eingang wir bei euch gefunden haben und wie ihr euch von den Götzen zu Gott bekehrt habt, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen, und um seinen Sohn aus dem Himmel zu erwarten, den er aus den Toten auferweckt hat, Jesus, der uns errettet vor dem zukünftigen Zorn. (1Thess 1,9-10)

Der Apostel hatte sie gelehrt, der Herr könne jederzeit kommen, und sie sollten Ihn beständig erwarten, und Er würde sie erretten vor dem zukünftigen Zorngericht, das über die gottlose Welt kommen mußte – eben von jenem Tag des HERRN,[3] der ein Tag des Zorns sein würde. Und nun kamen Leute an, die ihnen  sagten, dieser Tag des Zorns habe schon begonnen, und ihre Bedrängnisse würden beweisen, daß sie sich mitten in den endzeitlichen Zorngerichten des Herrn befänden, in der „großen Drangsal“, von der schon die alttestamentlichen Propheten so eindringlich geschrieben hatten.

Jene Drangsal würde ja auch eine große Bedrängnis für den gottesfürchtigen Überrest der Juden, für die messiasgläubigen Heiligen aus Israel bringen. Es war eine Zeit des Schreckens, wie die Propheten immer wieder hervorheben:

Nahe ist der große Tag des HERRN; er ist nahe, und sehr rasch kommt er herbei! Horch, der Tag des HERRN! Bitter schreit dort auf der Held. Ein Tag des Zorns ist dieser Tag, ein Tag der Angst und der Bedrängnis, ein Tag des Ruins und der Zerstörung, ein Tag der Finsternis und des Dunkels, ein Tag des Gewölks und des Wolkendunkels, ein Tag des Schopharschalls und des Alarmblasens gegen die festen Städte und gegen die hohen Zinnen. Da will ich die Menschen ängstigen, daß sie herumtappen wie die Blinden; denn am HERRN haben sie sich versündigt; darum soll ihr Blut hingeschüttet werden wie Staub und ihr Fleisch wie Mist! (Zeph 1,14-17)

Angesichts ihrer eigenen Leiden waren sie in Gefahr, denen Glauben zu schenken, die behaupteten, diese Schrecken seien zu ihrer Zeit schon eingetroffen. Ähnlich ging es immer wieder einigen Christen in der nachapostolischen Zeit, die irrtümlicherweise ihre Bedrängnisse mit der großen Drangsal am Ende der Zeiten gleichsetzten, z.B. auch viele Christen, die die Schrecken der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts erleben mußten.[4] Und doch war diese große Drangsal noch nicht gekommen, und wenn sie die Schrift verstanden hätten, hätte ihnen das auch klar sein müssen.

Im Feuer der Leiden und der Bedrängnisse kamen den Gläubigen nagende Fragen ins Herz, die von manchen Leuten noch geschürt wurden: Was wäre, wenn ihre Verfolgungen Ausdruck des Zornes Gottes wären? Waren sie dann nicht echt bekehrt? Hatte der Herr Jesus sie gar nicht vor dem Zorn errettet? Hatte der Apostel Paulus sie betrogen? Solche Fragen mußten die bedrängten Christen schwer verunsichern.

 

Der Hinweis des Apostels auf die Entrückung der Gemeinde

Nun richtet der Apostel Paulus einen herzlichen Appell an ihre beunruhigten Gemüter: „Wir bitten euch aber, ihr Brüder, wegen der Wiederkunft unseres Herrn Jesus Christus und unserer Vereinigung mit ihm. Das Griechische macht deutlich, daß es hier um einen einzigen Gegenstand geht, und das ist das Kommen des Herrn zur Entrückung. Dieses muß klar unterschieden werden vom Kommen des Herrn zum Gericht oder dem „Tag des Christus“ (Tag des Herrn), der dann ab Vers 2 beschrieben wird.[5] Beide werden in diesem Brief wie auch anderswo als „Kommen“ (parousia) bezeichnet.

Dieser Schlüsselbegriff „Wiederkunft“ oder „Ankunft“ (par-ousia, eigentlich das Dabeisein, die Gegenwart, aber auch die Ankunft eines Königs in einer Stadt) bezeichnet im NT sowohl das Kommen des Herrn zur Entrückung (vgl. 1Kor 15,23; 1Thess 2,19; 4,15; 5,23; 2Thess 2,1; Jak 5,7-8; 1Joh 2,28) als auch das Kommen des Herrn in Macht und Herrlichkeit zum Gericht (vgl. Mt 24,3.27.37.39; 2Thess 2,8; 2Pt 1,16; 3,4.12).

Manche Ausleger haben diesen Vers so gedeutet, als sei das „Kommen“ (parousia) zur Entrückung identisch mit dem Kommen zum Gericht. Damit würde die Entrückung erst beim Kommen des Herrn in Macht und Herrlichkeit erfolgen; sie könnte also nicht jederzeit geschehen, wie es der Apostel im ersten Brief gelehrt hat. Eine solche Deutung ist auf jeden Fall unrichtig, weil die Schrift sich nicht widerspricht und der Apostel beim Schreiben von 1Thess 1,10 u.a. Stellen inspiriert war.[6]

Der Apostel erinnert sie an die von ihm schon gelehrte Tatsache, daß zuerst der Herr kommen wird, um Seine Gemeinde in die Himmelsherrlichkeit zu führen, bevor Er mit der verherrlichten Gemeinde wieder aus dem Himmel kommen wird, um an Seinem Gerichtstag die Gottlosen zu bestrafen. Der Verweis auf die Entrückung bildet den Grund für den Appell an die Thessalonicher, sich nicht so schnell durch Irrlehren erschüttern zu lassen. Wegen der bevorstehenden Wiederkunft unseres Herrn und unserer Vereinigung mit ihm war es unmöglich, daß der Gerichtstag des Christus schon gekommen sein sollte.

Die „glückselige Hoffnung“ der Gläubigen wird in diesem Vers beschrieben als „unsere Vereinigung mit ihm“. Wörtlich heißt es hier: „unserer Versammlung / Sammlung / Vereinigung / Einberufung (epi-synagògè) zu ihm hin“. Bei der Entrückung geschieht der mächtige Befehlsruf des Herrn, und alle zerstreuten Gläubigen aus allen Ländern der Erde werden auferstehen bzw. verwandelt werden und gesammelt werden hin zu dem Herrn in den Wolken.

… denn der Herr selbst wird, wenn der Befehl ergeht und die Stimme des Erzengels und die Posaune Gottes erschallt, vom Himmel herabkommen, und die Toten in Christus werden zuerst auferstehen. Danach werden wir, die wir leben und übrig bleiben, zusammen mit ihnen entrückt werden in Wolken, zur Begegnung mit dem Herrn, in die Luft, und so werden wir bei dem Herrn sein allezeit. (1Thess 4,16-17)

Das Wort episynagògè wird nur noch einmal im NT gebraucht, und zwar in Hebräer 10,25: „… indem wir unsere eigene Versammlung nicht verlassen“; dort steht es für die Versammlung, das Zusammenkommen der Gläubigen auf Erden, an einem Ort, zu ihrem unsichtbaren Haupt und Mittelpunkt hin, zu Christus.

Jede solche nach dem Wort des Herrn und auf Ihn wahrhaft ausgerichtete Versammlung auf Erden findet unter dem Grundsatz statt: „Denn wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich in ihrer Mitte“ (Mt 18,20). Doch auf Erden ist der Herr lediglich unsere unsichtbare Mitte, und so vieles Irdische, Fleischliche trübt und hindert noch die Gemeinschaft mit Ihm. Dann aber, bei der Entrückung, wird die Gemeinde eine große, von Gottes Herrlichkeit umstrahlte Versammlung im Himmel bilden.

Das Wort von unserer Sammlung zu Ihm hin, unserer Vereinigung mit Ihm drückt auch die tröstliche, herrliche Wahrheit aus, daß mit der Entrückung die Zeit der Trennung von Bräutigam und Braut, die Zeit des Glaubens, der Leiden und Anfechtungen vorbei sein wird. Die Gemeinde wird dann verherrlicht und vollkommen sein, ihrem Bräutigam gleichgestaltet, und von da an wird sie eine wunderbare, vollkommene Einheit und Gemeinschaft mit dem verherrlichten Sohn Gottes genießen.[7]

Geliebte, wir sind jetzt Kinder Gottes, und noch ist nicht offenbar geworden, was wir sein werden; wir wissen aber, daß wir ihm gleichgestaltet sein werden, wenn er offenbar werden wird; denn wir werden ihn sehen, wie er ist. (1Joh 3,2)

*   *   *

 

Das Kommen des Herrn für die Gemeinde
und das Kommen des Herrn
zum Gericht in der Welt –
zwei völlig unterschiedliche Ereignisse

 

Der Apostel Paulus erinnert die Gläubigen in den ersten beiden Versen nochmals an das biblische Verhältnis des Kommens des Herrn zur Entrückung, die er in V. 1 als „unsere Vereinigung mit ihm“ beschreibt, zu dem Kommen des Herrn in Macht und Herrlichkeit zum Gericht über die Welt, das er in V. 2 als den „Tag des Christus“ beschreibt. Es ist ganz wichtig, sich bewußt zu machen, daß es hier um zwei deutlich unterschiedene Ereignisse geht, die wir nicht verwechseln oder zusammenwerfen dürfen.

Das Kommen des Herrn für die Gemeinde wird in 1. Thessalonicher 4,13-18 ausführlich beschrieben. Es beinhaltet die Auferweckung der entschlafenen Gläubigen, die Verwandlung der lebenden Gläubigen und die Entrückung beider zu dem Herrn in die Luft. Dieses Ereignis wird nicht von äußeren, für die Welt sichtbaren Wunderzeichen begleitet wie die Wiederkunft in Macht und Herrlichkeit. Es wird im NT von keinerlei prophetischen Ereignissen abhängig gemacht, die vorher geschehen müßten, wohl aber das Kommen des Herrn zum Gericht. Die Entrückung hätte grundsätzlich schon zu Lebzeiten des Apostels Paulus stattfinden können, so wie er es erhoffte – doch Gott wollte noch eine gewaltige Menge an erretteten Menschen zu Seiner Gemeinde hinzufügen, bevor Er sie nach oben ruft.

In all den Bibelstellen, die die Entrückung behandeln, ist überhaupt nicht von Gericht die Rede, nur vom Offenbarwerden des Herrn für die Seinen und der herrlichen Vereinigung der verwandelten Brautgemeinde mit Ihm, dem verherrlichten Erlöser und Bräutigam, von Heil und Hoffnung, Freude und Herrlichkeit.

Dieses Hinversammeltwerden der Erlösten zu dem Herrn, wie es in 2. Thessalonicher 2,1 genannt wird, muß notwendigerweise vor dem Kommen des Messias zum Gericht erfolgt sein, denn die verherrlichte Gemeinde wird Ihn ja bei Seinem Kommen zum Gericht begleiten, wie der Apostel in 2. Thessalonicher 1,10 gezeigt hat. Zuvor muß sie im Himmel das Preisgericht erleben und darf die Hochzeit des Lammes feiern (vgl. Offenbarung 19).[8] Dieses Kommen zur Entrückung gehört zu dem Geheimnis der Gemeinde und wurde den alttestamentlichen Propheten nicht geoffenbart (1Kor 15,51-52; Eph 3,4-5).

Das Kommen des Herrn zum Gericht dagegen wurde vielfach von den Propheten des AT vorausgesagt. Es betrifft in erster Linie die Heidenvölker und das Volk Israel; die Gemeinde ist dann schon vollendet und im Himmel, wenn der Tag des Herrn anbricht und der Herr selbst auf dem Höhepunkt dieses Gerichtstages auf die Erde kommt, um die Gottlosen zu richten und die gottesfürchtigen Israeliten aus der großen Drangsal für Jakob zu retten.

Dieses Kommen wird für die ganze Welt öffentlich sichtbar sein, weil es von gewaltigen kosmischen Wunderzeichen begleitet ist (vgl. u.a. Mt 24,29-31). Das dadurch ausgelöste Gerichtshandeln hat nicht die Gemeinde zum Gegenstand, sondern ausschließlich Israel und die Heidenvölker (zu denen ich auch die abgefallene Namenschristenheit zählen würde). Und dieses endzeitliche Zorngericht kommt erst, wenn das Maß der Sünde der endzeitlichen Welt voll ist, und das setzt das Offenbarwerden des Menschen der Sünde, des Antichristen, voraus, wie auch die bewußte Absage der Endzeitchristenheit, der Hure Babylon, gegenüber dem Herrn Jesus Christus.

Deshalb erinnert der Apostel Paulus die Gläubigen zunächst an das, was sie von ihm bereits gehört hatten. Er sagt sinngemäß: Was die Wiederkunft des Herrn für Euch betrifft, das Hinversammeltwerden der Gläubigen zu Christus in den Himmel, da dürft ihr euch nicht beunruhigen und von dem Verständnis wegführen lassen, das ich euch durch meine Lehre vermittelt habe. Ihr braucht keine Sorge haben, als hättet ihr die Entrückung versäumt und als sei der Gerichtstag des Herrn schon gekommen. Vor diesem Gerichtstag muß doch der Antichrist kommen und die Gemeinde, die jetzt aufhält, aus dem Weg und in den Himmel geführt sein. Euch wird der Zorn Gottes niemals treffen, sondern er ist für die Gesetzlosen bestimmt, die dem Antichristen anhängen!

Es ist wichtig, diese Zusammenhänge mit dem 1. Thessalonicherbrief und der Lehre des Apostels deutlich und ausführlich vor Augen zu führen, weil viele Christen in nachapostolischer Zeit die falsche Lehre entwickelt haben, als müsse die Gemeinde durch die große Drangsal, die doch nur für Israel („Drangsal für Jakob“ – Jer 30,7) bestimmt ist.

Diese von Kreisen des Pietismus und der Heiligungsbewegung aufgebrachte Lehre hat große Ähnlichkeit mit den falschen Lehren, die damals die Thessalonicher beunruhigten. Sie konstruieren den Sinn von V. 1 und 2 so, als würde der Apostel die Entrückung und den Tag des Christus als ein einziges Ereignis sehen. Das ist aber vom Text her überhaupt nicht zwingend, und im Licht der Lehren des 1. Thessalonicherbriefs ist diese Annahme sogar willkürlich und unpassend.

 

Die falschen Lehren in Thessalonich

In V. 1 sehen wir, wie der Apostel Paulus in liebevoller Sorge die Gläubigen eindringlich bittet, sich nicht verunsichern und von dem Verständnis abbringen zu lassen, das er ihnen in seiner mündlichen Lehre und im 1 Thessalonicherbrief vermittelt hat bezüglich des Kommens (der Wiederkunft) des Herrn Jesus Christus.

Den Grund für diese eindringliche Bitte sehen wir in V. 2: Eine schreckliche Verwirrung und Verunsicherung war in die Herzen der jungen Gläubigen gekommen. Es waren irregeführte und irreführende Leute aufgetreten, die eine falsche Lehre unter den Thessalonichern verbreiteten. Es bleibt offen, ob sie aus den Reihen der Thessalonicher kamen oder von außen, aber es erscheint wenig wahrscheinlich, daß unter den echten Gläubigen dieser jungen, verfolgten Gemeinde so rasch Irrlehrer aufgetreten sein könnten.

Schon eher könnte es sich um falsche Propheten und Lehrer von außen gehandelt haben; dies erscheint insgesamt plausibler. Ähnliches geschah ja in dieser frühen Zeit den Gemeinden in Antiochia (vgl. Apg 15,1 und 24) und auch den Gemeinden von Galatien (vgl. Gal 2,4-13; 5,7-12). In beiden Fällen kamen die Verführer aus Jerusalem und waren Juden, die sich des Ansehens der großen Muttergemeinde bedienten, um Verwirrung zu stiften.

Ähnliches geschah ja später unter den Korinthern (vgl. 2Kor 11,1-23). Solche falschen Lehrer nutzten schmarotzerisch die Arbeit des Apostels Paulus aus und wanderten von Ort zu Ort, um die neu gegründeten Gemeinden heimzusuchen und die frisch bekehrten Gläubigen zu beeinflussen und in ihre Abhängigkeit zu bringen.

Die Auswirkungen der irreführenden Botschaft waren schwerwiegend. Die jungen Gläubigen hatten sich in ihrem Verständnis der gesunden Lehre und der endzeitlichen Entwicklungen, das ihnen von dem Apostel Paulus durch seine Lehre vermittelt worden war, rasch erschüttern (oder schwankend machen) lassen, sodaß ihnen dieses gesunde Verständnis entschwunden war. Zugleich waren sie durch die Drohung mit den Zorngerichten des Tages des Herrn in Angst und Schrecken versetzt worden.[9] Womöglich, so dachten sie, waren die Verfolgungen, die sie getroffen hatten, nur der schwache Anfang der Leiden, die noch auf sie warteten. Wie sollten sie an diesem schrecklichen Tag bestehen?

Diese Auswirkung zeigte, daß die jungen Gläubigen noch ziemlich ungefestigt waren, was angesichts ihres noch ganz jungen Glaubens keine Schande war. Die Auswirkung falscher Lehren auf ungefestigte Gläubige wird in Epheser 4 sehr deutlich beschrieben:

… damit wir nicht mehr Unmündige seien, hin- und hergeworfen und umhergetrieben von jedem Wind der Lehre durch das betrügerische Spiel der Menschen, durch die Schlauheit, mit der sie zum Irrtum verführen … (Eph 4,13)

Den frisch zum Glauben Gekommenen fehlte die Gründung in Gottes Wort, die Kenntnis der Heiligen Schriften. Ihr Vertrauen auf die Güte und Treue des Herrn war noch im Wachsen. Diese verkehrten Lehren waren deshalb in der Lage, ihren Glauben gründlich durcheinanderzubringen. So wie der Satan oftmals Kinder Gottes persönlich verklagt und ihnen nach einem Versagen vorspiegelt, sie seien jetzt unter dem Zorn Gottes und hätten keine Chance mehr bei Gott, so schüchterte er die glaubensmutigen Thessalonicher mit der Drohung ein, diese müßten die schweren Gerichte der großen Drangsal erleiden und stünden unter dem Zorn Gottes. Solche falschen Lehren können auch heute noch „den Glauben etlicher Leute umstürzen“ (2Tim 2,18).

Lenski zieht die beherzigenswerte Schlußfolgerung: „Wir sollten beachten, daß Christen gegenüber Irrtum und schwärmerischen Vorstellungen einen kühlen Kopf bewahren sollten: sie sollten ihren nous oder Verstand benutzen. Die Wahrheit Gottes ist gesund und heilsam und bringt niemals unser Denken durcheinander.“[10]

 

Die Methoden der Verführer

Diese Verführer bedienten sich dreier Mittel, um den Glauben der Thessalonicher zu verwirren und zu erschüttern: sie brachten erstens prophetische Botschaften, die angeblich vom Geist Gottes stammten, in Wahrheit aber von einem betrügerischen Geist (vgl. 1Tim 4,1; 1Kor 12,1-3; 1Joh 4,1-5). Vor solchen falschen Propheten warnte schon der Herr, insbesondere vor betrügerischen Botschaften, die Sein Kommen betreffen (vgl. Mt 24,4-5.11.23-24; Mt 7,15-23).

Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Habt acht, daß euch niemand verführt! Denn viele werden unter meinem Namen kommen und sagen: Ich bin der Christus! Und sie werden viele verführen. (Mt 24,4-5)

Wenn dann jemand zu euch sagen wird: Siehe, hier ist der Christus, oder dort, so glaubt es nicht! Denn es werden falsche Christusse und falsche Propheten auftreten und werden große Zeichen und Wunder tun, um, wenn möglich, auch die Auserwählten zu verführen. Siehe, ich habe es euch vorhergesagt. (Mt 24,23-25)

Auch heute sind falsche, irreführende Botschaften über die Endzeit eine Spezialität der Verführer und falschen Propheten. Wir finden das besonders in der Pfingst- und Charismatischen Bewegung, die sich geradezu rühmt, neue Propheten in ihren Reihen zu haben, die angeblich vom Geist inspirierte neue Offenbarungen verbreiten.

Zweitens brachten sie die Thessalonicher durch ein „Wort“, d.h. durch eine Predigt, vielleicht auch durch ein angebliches mündliches Pauluswort, das sie weitergaben, durcheinander. Auch an anderen Stellen warnen die Apostel vor falscher Lehre und falscher Verkündigung:

Es gab aber auch falsche Propheten unter dem Volk, wie auch unter euch falsche Lehrer sein werden, die heimlich verderbliche Sekten (od. Irrlehren) einführen, indem sie sogar den Herrn, der sie erkauft hat, verleugnen; und sie werden ein schnelles Verderben über sich selbst bringen. Und viele werden ihren verderblichen Wegen nachfolgen, und um ihretwillen wird der Weg der Wahrheit verlästert werden. (2Pt 2,1-2)

Ich habe dich ja bei meiner Abreise nach Mazedonien ermahnt, in Ephesus zu bleiben, daß du gewissen Leuten gebietest, keine fremden Lehren zu verbreiten … (1Tim 1,3)

Wenn jemand fremde Lehren verbreitet und nicht die gesunden Worte unseres Herrn Jesus Christus annimmt und die Lehre, die der Gottesfurcht entspricht, so ist er aufgeblasen und versteht doch nichts, sondern krankt an Streitfragen und Wortgefechten, woraus Neid, Zwietracht, Lästerung, böse Verdächtigungen entstehen, unnütze Streitgespräche von Menschen, die eine verdorbene Gesinnung haben und der Wahrheit beraubt sind und meinen, die Gottesfurcht sei ein Mittel zur Bereicherung — von solchen halte dich fern! (1Tim 6,3-5)

Ihr lieft gut; wer hat euch aufgehalten, daß ihr der Wahrheit nicht gehorcht? Die Überredung kommt nicht von dem, der euch berufen hat! Ein wenig Sauerteig durchsäuert den ganzen Teig. Ich traue euch zu in dem Herrn, daß ihr nicht anders gesinnt sein werdet; wer euch aber verwirrt, der wird das Urteil tragen, wer er auch sei. (Gal 5,7-10)

Das dritte Mittel aber war besonders bösartig und zeigt auch, daß hier bewußte Verführer am Werk waren und nicht etwa bloß irregeführte Gotteskinder. Offensichtlich hatten diese Betrüger einen gefälschten Paulusbrief verbreitet, in dem die falsche Lehre, die sie verkündeten, angeblich auch vertreten wurde.[11] Das mußte die Thessalonicher natürlich besonders durcheinanderbringen, denn was da geschrieben war, stimmte ja nicht mit dem 1. Thessalonicherbrief überein. Hatte der Apostel seine Überzeugung geändert? So brachte diese Verfälschung der göttlichen Botschaft zusätzliche Verwirrung.

Was diese Leute begingen, war eine Fälschung des Wortes Gottes; ihnen war ebenso wie den Thessalonichern bewußt, daß der Apostel unter göttlicher Inspiration schrieb (vgl. 1Kor 14,37; 2Pt 3,16). Vor solcher Fälschung des Wortes Gottes warnt der Apostel Paulus an anderer Stelle:

Denn wir sind nicht wie so viele, die das Wort Gottes verfälschen, sondern aus Lauterkeit, von Gott aus reden wir vor dem Angesicht Gottes in Christus. (2Kor 2,17)

Darum lassen wir uns nicht entmutigen, weil wir diesen Dienst haben gemäß der Barmherzigkeit, die wir empfangen haben, sondern wir lehnen die schändlichen Heimlichkeiten ab; wir gehen nicht mit Hinterlist um und fälschen auch nicht das Wort Gottes; sondern indem wir die Wahrheit offenbar machen, empfehlen wir uns jedem menschlichen Gewissen vor dem Angesicht Gottes. (2Kor 4,1-2)

Einerseits war es durchaus verständlich, daß die jungen Gläubigen in Thessalonich sich durch solche raffinierten Tricks in Unruhe und Angst versetzen ließen. Andererseits hatten sie doch viele Stunden die gesunde Lehre des Apostels gehört und hatten leider manches daraus offenkundig vergessen (2Thess 2,5). Jedenfalls ermuntert sie der Apostel nun, daß sie sich durch die Verführung keinesfalls in dem durch die apostolische Lehre geprägten geistlichen Verständnis der Entrückungsfrage, das sie eigentlich hatten, erschüttern lassen sollten. Sie hatten keinen Grund, in Angst und Schrecken zu fallen, denn in Christus waren sie sicher und geborgen (vgl. 2Thess 2,13-17).

 

Der Tag des Herrn kann noch nicht gekommen sein

Die falsche Lehre, welche die Verführer verbreitet hatten, wird mit den wenigen Worten beschrieben: „als wäre der Tag des Christus schon da“.[12] Wir haben schon gesehen, daß dahinter für die Thessalonicher die Botschaft steckte, sie seien mitten in den endzeitlichen Zorngerichten, mit denen der heilige Gott alle Gottlosen vertilgen und den Untergang der rebellischen Weltordnung einläuten würde. Das war für sie durchaus zu Recht ein Schreckensszenario.

Nach dem griechischen Textus Receptus, dem überlieferten Text der Reformation, schreibt Paulus hier vom „Tag des Christus“ (hèmera tou Christou – siehe Sch 2000, Luther alt, Zürcher alt, KJV u.a.), während die textkritischen Übersetzungen „Tag des Herrn“ (hémera tou kyroiu) haben. Manche Kommentatoren haben gemeint, hier den überlieferten Text als falsch erklären zu müssen, doch das ist unnötig und unzutreffend. Denn es ist offenkundig, daß beide Begriffe identisch sind und dasselbe meinen. Es ist ja gerade die Lehre des NT, daß der HERR, der göttliche Richter, der diesen Gerichtstag ausführen wird, eben der Herr Jesus Christus, der Messias ist.

Das wurde in den Prophetien des AT schon angedeutet, indem von dem „Arm des HERRN“, von der „Rechten des HERRN“ oder von dem „Engel des HERRN“ die Rede war (vgl. Jes 40,10; 53,1; Ps 98,1; 118,15-16; Ps 35,5-6; Mal 3,1). Im Psalm 110 wird z.B. recht klar und ausführlich gezeigt, daß der Messias der von Gott eingesetzte Richter sein wird, wenn das Reich Gottes auf Erden anbricht. Im NT wird zunächst grundsätzlich gezeigt, daß der Herr Jesus Christus der von Gott bestimmte Richter ist:

Denn der Vater liebt den Sohn und zeigt ihm alles, was er selbst tut; und er wird ihm noch größere Werke zeigen als diese, sodaß ihr euch verwundern werdet. Denn wie der Vater die Toten auferweckt und lebendig macht, so macht auch der Sohn lebendig, welche er will. Denn der Vater richtet niemand, sondern alles Gericht hat er dem Sohn übergeben, damit alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren. Wer den Sohn nicht ehrt, der ehrt den Vater nicht, der ihn gesandt hat. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, der hat ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht, sondern er ist vom Tod zum Leben hindurchgedrungen.

Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Die Stunde kommt und ist schon da, wo die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören werden, und die sie hören, werden leben. Denn wie der Vater das Leben in sich selbst hat, so hat er auch dem Sohn verliehen, das Leben in sich selbst zu haben. Und er hat ihm Vollmacht gegeben, auch Gericht zu halten, weil er der Sohn des Menschen ist. Verwundert euch nicht darüber! Denn es kommt die Stunde, in der alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören werden, und sie werden hervorgehen: die das Gute getan haben, zur Auferstehung des Lebens; die aber das Böse getan haben, zur Auferstehung des Gerichts. (Joh 5,20-29)

Diese Wahrheit wird durch den Herrn selbst eindrucksvoll bekräftigt, der sich in vielen Aussagen als der Richter und kommende König offenbart (vgl. u.a. Mt 23,39; Mt 24,29-30; Lk 17,22-37; 21,25-33; Apg 2,34-36; 10,42); nur eine sei beispielhaft angeführt:

Wenn aber der Sohn des Menschen in seiner Herrlichkeit kommen wird und alle heiligen Engel mit ihm, dann wird er auf dem Thron seiner Herrlichkeit sitzen, und vor ihm werden alle Heidenvölker versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden, wie ein Hirte die Schafe von den Böcken scheidet … (Mt 25,31-32)

Diese Wahrheit wird schließlich durch die Apostel immer wieder bestätigt und hervorgehoben:

Und er hat uns geboten, dem Volk zu verkündigen und zu bezeugen, daß Er der von Gott bestimmte Richter der Lebendigen und der Toten ist. (Apg 10,42)

Nun hat zwar Gott über die Zeiten der Unwissenheit hinweggesehen, jetzt aber gebietet er allen Menschen überall, Buße zu tun, weil er einen Tag festgesetzt hat, an dem er den Erdkreis in Gerechtigkeit richten wird durch einen Mann, den er dazu bestimmt hat und den er für alle beglaubigte, indem er ihn aus den Toten auferweckt hat. (Apg 17,30-31)

Es ist also offenkundig und stimmig, daß der Apostel Paulus hier den „Tag des Herrn“ im alttestamentlichen Sinn meint, daß er ihn aber bewußt und völlig übereinstimmend mit dem Zeugnis der Schrift als den „Tag des Messias“ bezeichnet – den gewaltigen Tag, da der Messias Jesus Christus aus Seiner himmlischen Verborgenheit heraustritt und der Welt in Seinem Glanz und Seiner Majestät offenbar wird, um das Gericht Gottes vor Anbruch des Friedensreiches persönlich zu vollenden.

Ja, man kann argumentieren, daß der „Tag des Christus“ hier genauer auf einen besonders wichtigen Augenblick im Rahmen des allgemeinen „Tages des Herrn“ hinweist. Dieser Gerichtstag beginnt ja schon einiges früher, nach der Entrückung der Gemeinde, und er wird eine ganze Zeitlang durch übernatürliche Gerichte aus dem Himmel ausgeführt (vgl. die Siegel-, Schalen- und Posaunengerichte der Offenbarung), bevor an seinem Höhepunkt der Richter selbst, der Herr Jesus Christus, aus dem Himmel auf die Erde kommt und die Zorngerichte in eigener Person vollendet, sodaß das Friedensreich anbrechen kann (vgl. Offb 19,11-21).

Dieser besonders wichtige Augenblick wird jedenfalls in 2. Thessalonicher 2,8 ganz direkt angesprochen, aber auch in 2. Thessalonicher 1,7-10. Von daher ist die Formulierung „Tag des Christus“ hier durchaus in Übereinstimmung mit dem ganzen Textzusammenhang.[13] Sie bezeichnet im allgemeinen Rahmen des Tages des Herrn, in welchem ja bis dahin schon viele schwere Gerichte über die Welt ergangen sind, jenen besonderen Tag, der den Höhepunkt der göttlichen Gerichte darstellt, wenn nämlich nicht mehr Engel und göttliche Wunderkräfte das Gericht ausführen, sondern der strahlende Richter persönlich in Erscheinung tritt. Dann ist es auch rasch aus mit den Widersachern, und die Rettung des Herrn für die in jener Zeit lebenden Gottesfürchtigen wird offenbar.

In bezug auf den Tag des Herrn schreibt der amerikanische Bibellehrer John F. Walvoord:

Dieser Ausdruck (der Tag des Herrn) findet sich oft in der Bibel. In einem Wort gesagt ist es die Zeitspanne, die in der Schrift vorhergesagt wurde, in welcher Gott direkt mit der Sünde des Menschen abrechnen wird. Er schließt die Zeit der Drangsal vor dem zweiten Kommen des Christus ebenso ein wie die ganze Herrschaft des Christus im Tausendjährigen Reich. Er wird vollendet im Gericht vor dem großen weißen Thron. Der Tag des Herrn ist daher eine ausgedehnte Zeitperiode, die mehr als tausend Jahre dauert.[14]

 

 

Bearbeiteter Auszug aus dem Buch von Rudolf Ebertshäuser: Der kommende Herr und die Gemeinde. Eine Auslegung des 2. Thessalonicherbriefes

 

[1] „Dieser Abschnitt stellt das Herzstück des Briefes dar. Er ist wesentlich wegen seiner Bedeutung für die Eschatologie“ Hiebert, Thessalonians, S. 324.

[2] W. Kelly begründet in seiner Auslegung recht ausführlich, weshalb wir den Verweis auf die Wiederkunft des Herrn zur Entrückung als Grund für den Appell verstehen können, sich nicht durch falsche Lehren verunsichern zu lassen. hyper bedeutet hier „wegen, um … willen“. S. 101-109.

[3] Wir bezeichnen den großen Gerichtstag Gottes im Normalfall nach dem Vorbild des NT als „Tag des Herrn (kyrios)“, aber im Zusammenhang mit alttestamentlichen Bibelstellen schreiben wir gelegentlich auch „Tag des HERRN (Jahweh)“; gemeint ist dasselbe. Hier wäre noch anzumerken, daß wir in dieser Auslegung normalerweise mit „Tag des Herrn“ in einem engeren Sinn die Periode göttlicher Gerichte bezeichnen, die in den alttestamentlichen Propheten beschrieben wird und die wir auch in Offenbarung 6 bis 19 finden. Sie beginnt irgendwann nach der Entrückung der Gemeinde und endet mit dem persönlichen Auftreten des Messias (Offenbarung 19; Mt 24,29-42). In einem weiteren Sinn kann man argumentieren, daß der „Tag des Herrn“ darüberhinaus auch das Tausendjährige Reich und das Endgericht umfaßt (vgl. S. 104 in diesem Buch).

[4] So merkt Ironside etwa an: „Wenn die Gemeinde berufen ist, durch eine Zeit schwerer Leiden zu gehen, gibt es fast ausnahmslos solche Leute, welche die Schlußfolgerung ziehen, daß dies der Beginn für die ‚Stunde der Versuchung‘ sein muß, ‚die über den ganzen Erdkreis kommen wird, damit die versucht werden, die auf der Erde wohnen‘ (Offb 3,10). In unserer Generation [ca. 1950 geschrieben, RE] durchlebten wir zwei Weltkriege; in jeder dieser schrecklichen Auseinandersetzungen durchlitt ein großer Teil der Gemeinde schwere Leiden, und viele Lehrer begannen zu behaupten, daß wir in die große Drangsal eintreten würden.“ S. 71.

[5] „Daß die beiden Hauptwörter von einem einzigen Artikel regiert werden, macht klar, daß ein einziges Ereignis gemeint ist, das unter zwei ergänzenden Aspekten betrachtet wird. Es ist eine Zusammenfassung der Lehre, die ihnen in 1Thess 4,13-18 gegeben wurde.“ Hiebert, Thessalonians, S. 326.

[6] Vgl. zu diesen Theorien von der „Trübsalsentrückung“ u.a. R. Ebertshäuser, Den Herrn erwarten, S. 39-54. W. Kelly bemerkt dazu kurz und prägnant: „Wenn man ‚das Kommen‘ [in V. 1] mit ‚dem Tag‘ des Herrn einssetzt, dann kommt nur Verwirrung heraus; wenn man zwischen ihnen unterscheidet, dann empfängt man sogleich Licht“ S. 110.

[7] Wir verweisen nochmals auf unser Vertiefungsthema: Die biblische Lehre von der Entrückung der Gemeinde, im Anhang S. 241-243. In diesem Beitrag werden einige Fragen ausführlicher begründet, die wir hier aus Raumgründen nur kurz behandeln können. Eine sehr gute Zusammenstellung von Argumenten zur Vorentrückungslehre findet der Leser im Kommentar von William MacDonald zum 2. Thessalonicherbrief (W. MacDonald, Kommentar zum NT, S. 1076-1085).

[8] Diese Ereignisse habe ich ausführlicher in meiner Studie Den Herrn erwarten beschrieben; vgl. dort S. 15-27.

[9] Lenski kommentiert den Gebrauch der Zeiten in diesem Abschnitt anschaulich: „Der Infinitiv Aorist saleusthènai, der gefolgt wird vom Infinitiv Präsens throeisthai, ist ausdrucksstark; der erste beschreibt den plötzlichen Schock für das Denken, der zweite die Aufregung, die daraus entsteht und anhält. Der erste läßt an die Auswirkung eines Windstoßes oder einer Welle denken, der zweite an die gefährlichen Turbulenzen, die folgen. Als die Thessalonicher zuerst den Ruf hörten, daß der Tag des Herrn da sei, wirkte sich das als ein Schock auf ihr Denken aus und versetzte sie dann in die größte gedankliche Aufregung.“ S. 402.

[10] Lenski, S. 402.

[11] Hiebert zitiert einen Ausleger zu dieser Frage: „Der vor uns liegende Abschnitt weist darauf hin, daß bereits so früh gefälschte apostolische Schriften existierten, und zeigt, daß die Gemeinde sehr bald nach ihrer Entstehung gelehrt werden mußte, zwischen dem Gefälschten und dem Echten zu unterscheiden.“ Thessalonians, S. 328.

[12] In der KJV wird übersetzt „als ob der Tag des Christus bevorstehe (is at hand)“. Das ist jedoch nicht der Sinn dieses griechischen Wortes, wie u.a. Kelly ausführlich zeigt (S. 110-114; vgl. auch T. W. Smith, S. 142-143). Der Irrtum bestand darin, daß der Tag des Herrn angeblich bereits gegenwärtig sein sollte.

[13] Es wäre noch zu erwähnen, daß, wenn von der Entrückung die Rede ist, in der Regel von dem „Tag Jesu Christi“ oder dem „Tag unseres Herrn Jesus Christus“ gesprochen wird. „Tag des Christus“ findet sich nur noch in Phil 1,10 und 2,16, wo durchaus auch die Wiederkunft in Macht und Herrlichkeit im Blick sein kann. Davon abgesehen finden wir in den Aussagen über das Kommen des Herrn bei verschiedenen Schlüsselbegriffen, daß sie für beide Phasen der Wiederkunft Jesu Christi verwendet werden, sodaß der Textzusammenhang entscheidet, was wir darunter verstehen müssen. Es wird der Sachlage daher nicht gerecht, wenn verschiedene Kommentatoren hier „Tag des Christus“ als „Fehler“ bezeichnen und deshalb die Nestle-Aland-Textvariante bevorzugen.

[14] Walvoord, Thessalonians, S. 73. Der amerikanische Bibellehrer John F. Walvoord (1910-2002) lehrte 1935-1986 am Dallas Theological Seminary. Er ist vor allem bekannt für seine zahlreichen Veröffentlichungen über biblische Prophetie.

 

 

 

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