Auch im deutschsprachigen Raum gab es schon vor mehreren Jahren Ansätze zu alternativen „postmodernen“ Gemeinschaften im Sinne der Emerging Church. Es ist schwierig, diese Ansätze richtig zu beschreiben, weil es darüber noch wenig zugängliches Material von Beteiligten oder gar Studien von Außenstehenden gibt.

 

Die „Jesus Freaks“

 

Eine besondere Rolle spielen sicherlich die „Jesus Freaks“, die 1991 von Martin Dreyer gegründet wurden und bei denen Elemente der Emerging-Church-Bewegung deutlich erkennbar sind. Dreyer selbst kommt aus der „evangelikal-charismatischen“ Anskar-Kirche in Hamburg, wo er nach einer Ausbildung 1993 zum Pastor ordiniert wurde.

Charakteristisch für die „Jesus Freaks“ ist die ungebrochene Einbeziehung der unreinen und sündigen weltlichen „Jugendkultur“, der weltlichen Rockmusik und des dazugehörigen „ausgeflippten“ Lebensstils in ihr verbogenes Verständnis von „Christsein“, das sich deutlich an der „Jesus People“-Hippiebewegung nach 1967 orientiert. Dazu gehört z. B. auch, daß Abendmahlsliturgien „gerappt“ werden (ein dämonisierter, getrieben-unnatürlicher Sprechgesang) oder daß „Trash-Metal-Lobpreislieder“ gesungen werden. Die gotteslästerliche Sprache der „Freaks“ und ihr übler Umgang mit dem Namen des Herrn der Herren sind weithin bekannt geworden durch die berüchtigte „Volxbibel“, die vor allem von Martin Dreyer verantwortet wird. Unter diesen irregeführten jungen Leuten wirkt ein Geist aus dem Abgrund, der sich in Lichtsgestalt verstellt.

Den Einfluß dieser inzwischen international auftretenden Bewegung zeigt das jährliche „Freakstock“-Festival, das mit über 8.000 Besuchern zu den größten „christlichen“ Festivals in Europa zählt. Es soll schon um die 100 Freaks-Gemeinschaften im deutschsprachigen Raum geben. Einige Beteiligte der neu formierten Emerging-Church-Bewegung in Deutschland kommen von den „Jesus Freaks“.

 

Die Emerging Church gewinnt an Einfluß

 

Andere Ansätze, die sich zumindest für die Emerging Church öffnen bzw. ihr nahestehen, sind in den Büchern von Schäfer und Faix/Weißenborn (3) beschrieben: teils landeskirchliche und freikirchliche „Jugendkirchen“, teils kommunitär lebende Gruppen wie die „Convers“-Gemeinschaft in Dresden. Die Kubik-Gemeinschaft in Karlsruhe (Daniel Ehniß (4); Mark Reichmann) entspricht ziemlich genau dem Emerging-Church-Konzept, und es gibt sicherlich schon manche anderen Ansätze, die in diese Richtung gehen (z. B. EPIC Münster, Stefan Lingott). Dazu gehören (den Beiträgen in „ZeitGeist“ und anderen Quellen nach zu schließen) auch die Jugendarbeit des „Christus-Treffs“ Marburg, Projekte im CVJM Essen (e/motion; Christa Brudereck), gewisse Hausgemeinden, Hauszellengemeinden (etwa die Zellgemeinde Bremen; Pastor Jens Stangenberg; Tobias Künkel) oder „organische Gemeinden“.

Zum weiteren Kreis der Emerging Church können sicherlich auch Gemeinden wie Kraftwerk Dresden (Dierk Müller, Karsten Wolff) oder die (landeskirchliche) Elia-Gemeinschaft in Erlangen (Peter Aschoff) und die FeG Rebland (Detlef Kühlein) gerechnet werden. „Emergentes Gedankengut“ wird auch von der Akademie für Leiterschaft Ditzingen (Werkstatt für Gemeindeaufbau) im Internet verbreitet.(8) Verwandte Lehren werden z. B. von DAWN Europe und vom Institut für Gemeindebau und Weltmission vertreten.

Ein einflußreicher Befürworter der Emerging Church ist der Missionswissenschaftler Prof. Johannes Reimer (Bibelschule Wiedenest), der selbst eine Gemeinde nach dem Vorbild der Emerging Church gegründet hat (Evangelische Freie Gemeinde Brüchermühle) und durch Vorträge diese Lehren verbreitet. Tobias Faix, Dozent am Marburger Bibelseminar, gehört ebenfalls zu den bekannten Befürwortern der Emerging Church. Der Theologe Fabian Vogt hat einige Grundlehren dieser Bewegung in Anlehnung an Kester Brewins Buch bekannt gemacht. Bekannte Sprecher der Emerging Church wurden und werden in der auch sonst für die Verbreitung von Irrlehren (neue Spiritualität) bekannten Zeitschrift „aufatmen“ des Redakteurs und Pastors Ulrich Eggers vorgestellt. Ein Forum für die deutsche Emerging Church-Bewegung ist der Blog Emergent Deutschland.

Bücher mit Lehren der Emerging Church erschienen vor allem in dem aus der Gemeindewachstumsbewegung bekannten C&P Verlag Emmelsbüll (teilweise in Kooperation mit Gerth Medien Asslar), aber auch in angesehenen evangelikalen Verlagen wie Brunnen (Rob Bell) und Brockhaus (David Schäfer). Im Herbst 2007 wurden Brian McLaren und Jason Clark nach Deutschland eingeladen und konnten dort das verführerische Gedankengut der Emerging Church auf zwei Tagungen ausbreiten.

Es ist bezeichnend, daß die Tagungen nicht nur von Emergent Deutschland veranstaltet wurden, sondern auch von der „Koalition für Evangelisation“, einer evangelikalen Organisation, der führende Vertreter der deutschen Evangelikalen angehören. Außerdem wurde die Tagung in Hamburg von der Charismatischen Gemeindeerneuerung in der Evangelischen Kirche und dem Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung der Universität Greifswald (Prof. Michael Herbst) mit ausgerichtet; die Tagung in Marburg trugen das Theologische Seminar Tabor und das Marburger Bibelseminar mit.

 

„ZeitGeist“: Eine Selbstdarstellung der deutschen Emerging Church

 

Die erste größere deutschsprachige Buchveröffentlichung aus den Reihen der Emerging-Church-Strömung ist das Buch ZeitGeist, herausgegeben von den beiden Marburger Theologen Tobias Faix und Thomas Weißenborn (15). Dort werden manche „emergente“ Gemeindeinitiativen vorgestellt und die verführerischen „postmodernen“ Denkmuster vertreten.(16) Das tritt z. B. bei Tobias Faix hervor, wenn er die Bedeutung der biblischen Lehre relativiert und für „gegenseitige Toleranz“ plädiert, sowohl im „interreligiösen Dialog“ als auch unter Christen, im Dialog „der verschiedenen Meinungen und Gottesvorstellungen“ (78).

Tobias Künkler empfiehlt die Einführung postmoderner Denkweisen in die Gemeinde, die letztlich dem New Age entsprechen: Er redet von ganzheitlichem und systemischem Denken; man soll „in Netzwerken“ denken, „organisch und vernetzt“; man erprobt „nicht-lineares, zirkuläres und systemisches Denken“. Er plädiert für „die Wiederentdeckung des Symbolischen und des Geheimnisvollen (…) (z. B. des kosmischen Christus)“ (22) – der „kosmische Christus“ ist aber eine antichristliche New-Age-Gestalt, die u. a. von Matthew Fox propagiert wird.

Ganz ähnlich sieht Christina Brudereck in der postmodernen Suche ungläubiger Menschen nach nichtchristlicher „Spiritualität“ etwas Positives, womöglich von Gott Gegebenes und fragt: „(…) was wäre eigentlich, wenn wir annehmen würden, daß auch der Zeitgeist weht, wie Gott will? (…) Was wäre, wenn das, was manche für einen spleenigen, ‚esomäßigen’ [d. h. esoterischen, RE] Vogel halten, der Heilige Geist wäre? Und die spirituellen Zeichen Vorboten einer Verwandlung? Einer Gottesbewegung?“ (30). Das sind, biblisch-geistlich gesehen, Vorzeichen des kommenden Antichristen, und Brudereck selbst vertritt offenkundig nicht das biblische Evangelium, sondern ein verfälschtes „Evangelium des Neuen Zeitalters“.

Mike Bischoff wirbt für die „kontemplative“ Frömmigkeit von Richard Foster und Renovare (114) und vertritt den postmodernen Relativismus im Bibelverständnis, eine „Theologie der offenen Systeme“: „Viele postmodernen Denker haben nun die Idee einer sogenannten ‚Metaerzählung’, also eines übergeordneten geschlossenen Rahmens abgelehnt. Dieser Gedanke kann Furcht und Unsicherheit auslösen, trifft aber meines Erachtens den Kern des biblischen Selbstverständnisses“ (115).

In dem Buch finden wir auch Werbung für die „Micha-Initiative“, mit der die Weltweite Evangelische Allianz sich in ein völlig verkehrtes Bündnis mit den antichristlichen Vereinten Nationen begibt und sich im Sinne des liberalen „sozialen Evangeliums“ für „Gerechtigkeit in dieser Welt“ einsetzt (229-233). Schwerwiegend ist, daß das von New-Age-Irrlehren durchsetzte Buch von Kester Brewin (…) von einigen Autoren ohne Einschränkung empfohlen wird (z. B. von Faix, Ehniß, Künkler, „Storch“, Sikinger). Lediglich Thomas Weißenborn setzt sich kritisch mit gewissen Lehren von McLaren und Brewin auseinander (162-167); er scheint ähnlich wie Mark Driscoll eher eine „gemäßigt-reformierte“ Fassung der Emerging Church zu vertreten (die allerdings aus bibeltreuer Sicht ebenfalls nicht akzeptabel ist).

 

Die Emerging-Church-Bewegung in der Schweiz

 

In der Schweiz wurde am 18./19. November 2006 der Emerging-Church-Sprecher Erwin R. McManus zu einem Jugendleiterkongreß newleaders.ch in die Schweiz eingeladen. Veranstalter waren der Bund Evangelischer Schweizer Jungscharen (BESJ), Young Leaders.ch, die Jugend der Schweizerischen Evangelischen Allianz, die Bewegung Plus, die Evangelischen Täufergemeinden und die Chrischona-Gemeinden CH.

Wenn man die bibeltreue Vergangenheit des Chrischonawerkes kennt, ist es erschreckend und traurig, daß die jetzige Führung des Werkes ganz offensichtlich das verführerische Gedankengut der Emerging-Church-Bewegung in vielem übernommen hat. Das ist aus der Tatsache ersichtlich, daß von der Chrischona Schweiz das von Irrlehren durchsetzte Buch von Rob Bell, Jesus unplugged, 2006 als Weihnachtsgabe an alle Prediger des Werkes versandt wurde. Auch in der Schweiz gilt, daß viele charismatische und evangelikale Gemeinden und Werke, besonders solche, die durch jüngere intellektuelle Leiter geführt werden, anfällig für die vordringenden emergenten Irrlehren sind, deren zerstörerisches Werk erst begonnen hat.

Einer der aktivsten Förderer der Emerging Church in der Schweiz, der ehemalige FEG-Prediger Reinhold Scharnowski,(18) meint dazu auf seinem englischen Webtagebuch (Blog): „Die kleine Schweiz, die viele als zurückhaltend gegenüber Veränderungen und als traditionell beurteilen, hat in den letzten Jahren viele innovative Bewegungen und Ideen hervorgebracht. Sie ist sozusagen zum Testland geworden [bezüglich Akzeptanz der Emerging-Lehren, RE]“.

Scharnowski macht auf seinem Blog klar, daß er seinen „ererbten evangelikalen Glauben mit charismatischer Verzierung“ abgestreift habe, das „fundamentalistisch-evangelikale Kleid“ sei ihm zu eng geworden. Er baut an Netzwerken zur Gründung von „missionalen und inkarnatorischen“ Gemeinden und ist der europäische Leiter von DAWN (Discipling A Whole Nation), einem weltweiten Netzwerk zur Entwicklung evangelistischer Strategien und zur Transformation ganzer Nationen. In der Schweiz arbeitet DAWN unter dem Namen FOCUSUISSE. Die Zielsetzung besteht in der „evangelistischen Durchdringung der Schweiz und Anregung zur Gründung und zum Bau von Gemeinden, die für die postmoderne Gesellschaft relevant sind“. Nach über 20 Jahren als Prediger in Freikirchen baue er heute an einem Hauskirchen-Netzwerk in der Region Thun.

Scharnowski hat 2006 den „ersten Kongreß für Gemeinde-Innovation“ organisiert und durchgeführt „mit dem Ziel, missionaler und innovativer Gemeinde eine Plattform und einen Diskussionsrahmen zu geben“. Hauptreferent war der Emerging-Church-Sprecher Alan Hirsch (Australien). In seinem Webblog kommen viele der führenden Vertreter der EMC zur Sprache, u. a. Leonard Sweet, Brian McLaren und Andrew Jones. Als „wahren Augenöffner“ bezeichnet er ein Buch des katholischen Mystikers Anselm Grün. Mit Begeisterung berichtet er von Rainero Cantalamessa, den er anläßlich eines London-Besuches in der Kirche von Nicky Gumbel (Alpha-Kurs) predigen hörte. Der katholische Priester ist ein Leiter der katholischen charismatischen Erneuerung und Prediger des päpstlichen Haushaltes im Vatikan.

Aus der FEG Steffisburg (ehemalige Gemeinde von Pfr. Scharnowski) entstand die Jugendbewegung X-Stream. Seit Herbst 2007 werden gottesdienstähnliche Veranstaltungen im Emerging-Stil gehalten: „Sunday Plaza“. Diese finden in einem gemieteten Gebäude mit Restaurant und Bar statt. Bestandteile dieser „Gottesdienste“ sind Workshops (nach dem Muster von Hirsch und Frost), Art Gallery (Plattform für junge Künstler und für Kreativität), Bar / Lounge (immer geöffnet), Stilleraum (von Kerzen und rotem Licht erfüllter Raum mit Liegematten zur Meditation), im Nebenraum bietet ein Team prophetisches Gebet und Gebet für Heilung an, Game Corner (diverse Spiele, Playstation). Der letzte Teil ist das gemeinsame Plenum (ca. 30 min.) mit den Bestandteilen x-porter (neue Gesichter werden porträtiert, Ferienfotos gezeigt, Erlebnisberichte weitergegeben) und Contemplatio (Konzentration auf Gott, stiller meditativer Abschluß z. B. mit einem Gedicht eines Mitarbeiters, mit Videoclips oder gemeinsam gesprochenem Segensgebet aus dem 5. Jahrhundert).

Eine zentrale Persönlichkeit von X-Stream ist Mike Bischoff. Laut seinem Blog war er als Studienleiter beim IGW tätig und ist auch weiterhin dort engagiert. 2005 war er am ersten Seminar in der Schweiz über „Emerging Church“ (IGW Basel) beteiligt. Seine Vorstellungen der Emerging-Spiritualität werden offensichtlich bei X-Stream umgesetzt. Das Netzwerk der Jugendarbeit verschiedener Schweizer Freikirchen nennt sich young-people.ch. Dazu gehören die FEG (Freie evangelische Gemeinden), Chrischona, VFMG (Vereinigung Freier Missions-Gemeinden), ETG (Evangelische Täufer-Gemeinden), Mennoniten, „inAktion“ Wiedenest, Youth Alliance (Schweizerische Evangelische Allianz). Auf dieser Internetseite werden diverse Emerging-Leiter und ihre Bücher weiterempfohlen. Die ISTL-Leiterschulung, gegründet von Heinz Strupler, organisierte im September 2007 einen zweitägigen Kongreß mit Erwin McManus in einem Saal der Heilsarmee in Zürich. Über 250 vornehmlich junge Leiter (Jungpastoren) und Leiterinnen nahmen teil.

Insgesamt steht die Entwicklung der Emerging-Church-Bewegung im deutschsprachigen Raum erst am Anfang, aber es ist zu befürchten, daß ihr Einfluß rasch größer werden wird, nicht zuletzt weil auch bei uns in der Gemeindewachstumsbewegung und der Charismatische Bewegung sowie den Großkirchen ein großes Potential von möglichen Interessenten für diesen falschen „Dritten Weg“ vorhanden ist.

 

 

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem Buch von Rudolf Ebertshäuser: „Aufbruch in ein neues Christsein? Emerging Church – Der Irrweg der postmodernen Evangelikalen“

 

 

Hier können Sie das ganze Buch als PDF-Dokument herunterladen und lesen.

 

Weiterführende Literatur:

 

Rudolf Ebertshäuser: Zerstörerisches Wachstum. Wie falsche Missionslehren und verweltlichte Gemeindebewegungen die Evangelikalen unterwandern. Steffisburg (Edition Nehemia) 3. Aufl. 2015; gebunden, 544 S.

Rudolf Ebertshäuser: Aufbruch in ein neues Christsein? Emerging Church – Der Irrweg der postmodernen Evangelikalen. Steffisburg (Edition Nehemia) 2008, Taschenbuch, 256 S.

Rudolf Ebertshäuser: Soll die Gemeinde die Welt verändern? Das „Soziale Evangelium“ erobert die Evangelikalen. Steffisburg (Edition Nehemia) 2014, Taschenbuch, 276 S.

 

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