„Schicke dich an, deinem Gott zu begegnen!“ (Amos 4,12) – das ist ein Aufruf des alttestamentlichen Ziegenhirten von Tekoa und Propheten Amos an das Volk Israel. Ein ganzes Volk wird aufgefordert, sich anzuschicken, seinem Gott zu begegnen. Solch ein Ruf ist noch nicht unmodern geworden. Er gilt heute noch den Völkern sowie den einzelnen, und er gilt auch dir!

Kann ein Volk, kann ein einzelner Mensch sich so weit von seinem Gott entfernen, daß es eines Rückrufes bedarf, um das Geschöpf wieder an seinen Schöpfer zu erinnern? Ja! „Ein Ochse“, sagt Jesaja, „kennt seinen Besitzer und ein Esel die Krippe seines Herrn“ (Jesaja 1,3); aber der Mensch kann von Gott weglaufen, wie selbstsüchtige, selbstsichere Kinder von ihrem Vater abfallen, der sie auferzogen hat. Aber nie kann ein Kind seinen Vater wirklich vergessen; es weiß, von wem die Rede ist, wenn das Wort „Vater“ erklingt. Und auch nie kann der Mensch seinen Gott ganz vergessen; er weiß, von wem die Rede ist, wenn das Wort erklingt.

Aber der Mensch stellt sich, wenn auf Gott die Rede kommt, gern unwissend, als ob er nie etwas mit ihm zu tun gehabt hätte. Entweder spricht er von ihm als von einem abgetanen Schreckgötzen aus der Kinderstube der Menschheit, dessen man sich als Erwachsener schämt, oder er redet von ihm als von einer zukünftigen Entdeckung in der Gelehrtenstube, als von einem Problem, über das sich die Gelehrten noch nicht ganz einig sind und das einen vorläufig noch nichts angeht.

Oder er redet von ihm, vom sogenannten „lieben Gott“, wie von einer selbstverständlich-gegenwärtigen Allerweltstatsache, die aber nicht mehr zu bedeuten hat als der zahnlose Großvater oben im Alterssitz, oder wie von einer selbstverständlich-gegenwärtigen Allerweltsmöglichkeit, die in den Dingen drinsitzt wie die Elektrizität oder das Radium. Oder er redet von ihm, als von dem Generalsündenbock, der an allem Unheil in der Welt schuld ist, und dem man in moralischer Entrüstung mit prometheischer Gebärde dreist die Rebellion ankündigen muß. Oder er redet überhaupt nicht von ihm, weil er sich’s nicht getraut oder auch weil er solches Reden gar nicht der Rede für wert hält. Was ist Gott? –: Lippen- und Achselzucken! Fertig.

Und doch, Menschenkind, gilt’s! „Schicke dich an, deinem Gott zu begegnen!“ Und du weißt ganz genau: Du brauchst zu dieser Begegnung weder erst das Studium einer wissenschaftlichen Bibliothek, noch Fernrohr und Mikroskop, noch brauchst du erst die Stiefel anzuziehen und den Hut aufzusetzen, um ihm zehn Meilen entgegenzulaufen. Denn siehe, ehe Gott in seinem Worte dich auffordert, ihm zu begegnen, hat er sich längst angeschickt, dir zu begegnen. Und davon wollen wir zunächst reden.

Zwar scheint es, Gott gehe am Leben vieler Menschen tatsächlich vorüber. Da ist ein Gottesleugner, gelehrt oder ungelehrt, ganz gleich. Er glaubt, ohne Gott fertig werden zu können. Vielleicht höhnt oder spottet er Gottes frech überlegen. Und siehe, kein Feuer fällt vom Himmel und verzehrt den Lästerer, kein Abgrund tut sich auf, ihn zu verschlingen. Seine Kinder haben rote Wangen, seine Anschläge gelingen, er lebt in Ehren und Besitz. Wo ist Gott? Tatsächlich, es scheint, Gott gehe am Leben ungezählter Menschen vorüber.

Aber es scheint nur so. Jawohl, die Menschen lärmen und reden klug, und Gott hört zu und schweigt ganz stille. Das kann nur einer, der Macht hat, abwarten zu können, weil er weiß, daß er das letzte Wort haben wird. – Und das sei gleich gesagt: Gott schweigt still um Jesu willen. Im Hinblick auf den ewigen Bürgen Jesus Christus ist die Welt geschaffen (Joh. 1,1-3; 8,58; 10,30; Röm. 11,36; Kol. 1,16-17; 1.Petr. 1,20), und im Hinblick auf das Sühnopfer Jesu Christi ist die gefallene Welt mit Gott versöhnt, und er gibt Gnade zum Dasein der Menschen, daß sie dieses Dasein benützen möchten, die in Christus voll- brachte Versöhnung doch noch persönlich freiwillig anzunehmen (Joh. 3,16; 2.Kor. 5,19 und 21; Kol. 1,19-20).

Hierin ist die Liebe Gottes zu uns geoffenbart worden, daß Gott seinen eingeborenen Sohn in die Welt gesandt hat, auf daß wir durch ihn leben möchten (1.Joh. 4,9). Das ist der Schlüssel zu Gottes Langmut und Schweigen. Jawohl, auch die so selbstsicheren Gottes- und Christusleugner werden noch getragen durch die Macht des Wortes und Opfers Christi, das sie so stolz ablehnen! Indes schickt sich Gott selbst an, ihnen zu begegnen, damit das ihnen in Christus geschenkte zeitliche Leben durch freie Entscheidung für Christus fruchtbar werde zum ewigen Leben.

 
I.
Das erste ist also:

Gott selbst schickt sich an, den Menschen zu begegnen. Sehen wir zu, wie er ihnen zu begegnen sucht.

Gott will dir zunächst begegnen in seinem Wort. Mit seiner Macht und Weisheit will er dir begegnen in der Natur, mit seinem Licht und seiner Liebe will er dir begegnen in seinem Wort, das heißt in der Bibel. Die Menschheit ist von der Höhe einer uranfänglichen Offenbarung Gottes, in der jedermann Kunde von ihm hatte, und von der alle Völker noch eine zertrümmerte, dunkle Erinnerung besitzen, heruntergesunken in die Gottentfremdung und Gottesferne des gefallenen Zustandes, der als Gesetz der Sünde und des Todes mehr und mehr durch alle Menschen hindurchgedrungen ist (Röm. 5,12).

In der Bibel allein ist die reine Offenbarung Gottes bewahrt geblieben. Hätten wir nicht die Bibel, so wären wir dem Wuste und der Verzerrung aller heidnischen Gottvorstellungen preisgegeben und tatsächlich rat- und lichtlos in der Welt; denn so poetisch, ja sittlich diese Vorstellungen auch sein mögen, so sind sie doch nur Träumereien über eine verlorengegangene Wahrheit, aber kein erlösendes Wissen mehr von Gott.

Aber siehe, im Worte der Bibel, da will dir mittelbar Gott begegnen, da hast du es zu tun mit dem Worte, das er geredet hat in mancherlei Weise durch die Propheten und zuletzt durch seinen Sohn und die Apostel (Hebr. 1,1; 1.Thess. 2,13). Siehe, deshalb schweigt Gott jetzt, weil er zuletzt geredet durch den Sohn. Nun sollen die Menschen den Sohn und dessen Zeugen hören. Gott tritt schweigend zurück. Wer ihn hören will, höre auf das Wort seiner Zeugen. „Wer aus Gott ist, hört die Worte Gottes,“ sagt Jesus (Joh. 8,47). Also lautet jetzt die Frage: Hat dir Gott jemals begegnen können in seinem Wort? Das heißt, hörtest du jemals wahrhaft Gott, wenn du sein Wort hörtest?

Geschähe dies, wie anders sähe die Welt aus! Statt dessen kennst du die Bibel vielleicht auswendig, aber Gott konnte dir noch nicht ein einziges Mal aus ihr begegnen. – Ich kam einmal in das Haus eines stadtbekannten Wucherers. Über seinem Schreibtisch und neben seinem Geldschrank sah ich den Bibelspruch hängen: „Bis hierher hat Gott geholfen, Gott wird weiter helfen.“ Gewissermaßen unterm Licht dieses Gotteswortes, ja, unter der Devise dieses Gotteswortes plante und verübte dieser Gauner und Halsabschneider seine himmelschreienden Betrügereien. Wie oft mag sein gewinnerspähendes Auge dies Wort gestreift haben; aber nicht ein einziges Mal konnte Gott diesem Sünder darin begegnen.

Ich war damals noch kein Christ, sondern nur Sozialist, und ich kann nicht sagen, wie ekelhaft mir dieser, wie ich meinte, „christliche“ Spitzbube mitsamt seinem „Christentum“ vorkam, aber mir selbst konnte Gott aus jenem Spruch seines Wortes an der Wand auch nicht begegnen. – Ein andermal fand ich einen Betrunkenen im Chausseegraben liegen. Ich beugte mich zu ihm hinab und sagte: „Freund, Sie sind aber auf einem bösen Weg!“ „Ja“, lallte er, „auf dem Wege des Verderbens.“ Und was ich auch weiter sagen und fragen mochte, er ergänzte und beantwortete alles durch Bibelsprüche. Schließlich fand ich, er war ebenso voll Bibelsprüche, wie er voll Schnaps war. Und mit all den Gottesworten lag er trunken im Chausseegraben. –

So sind die Wände der Wohnungen vieler Leute übersät mit Bibelsprüchen, und die dort wohnen, liegen welttrunken in tausend Sünden. Nie konnte ihnen Gott begegnen aus den Worten, mit denen sie fromm ihre Wände schmückten. – Und du sitzt hier oder in Kirchen – wer weiß zum wievielten Mal – und hörst dich dumm und taub von Predigten und Ansprachen –: hat dir denn ein einziges Mal dein Gott in seinem Worte begegnen können? Man kann das Wort Gottes gewohnheitsmäßig hören und gewerbsmäßig predigen, man kann es auswendig wissen wie das Einmaleins, man kann es sogar ernstlich erforschen oder wissenschaftlich studieren – und doch vermag Gott nicht ein einziges Mal uns in seinem Worte zu begegnen.

O, der Mensch ist ein so eitler, selbstgefällig-überlegener Patron! Er ist gepanzert mit pharisäischer Selbstgerechtigkeit oder sogenannter „objektiver Wissenschaftlichkeit“ oder stumpfsinniger Gewohnheit und träger Gleichgültigkeit; er weiß sich Gott vom Leibe zu halten auf eine geradezu erstaunliche Weise. Ja, ich staune heute über meine frühere Unempfindlichkeit dem so manchmal gehörten Worte Gottes gegenüber. Jahrelang wohnte ich einer täglichen Morgenandacht bei, und das Ergebnis war ein immer mehr satanisch gewordener Groll gegen Gott und sein Wort, bis mir endlich – viele Jahre später – Gott erschütternd gegenübertrat und meinen Weg so verzäunte, daß kein Entrinnen mehr möglich war.

Vielleicht ist das heute deine Lage. Dann, bitte, laß deinen Gott dir begegnen aus seinem Worte! Und sobald du seine Stimme hörst, verstocke dein Herz nicht, sondern gib Antwort: Herr, hier bin ich, was willst du, daß ich tun soll? Und dann wird sein Wort mit deiner Seele reden und dich zu Jesus führen können.

Doch nicht nur in seinem Worte, sondern auch in unseren Lebensverhältnissen will uns Gott begegnen. Zunächst durch seine Güte, mit der er unser irdisches Leben gesegnet hat. Daß du überhaupt lebst, daß du kein Krüppel, kein Idiot bist, daß du in einem Lande, wo man von Jesus hören kann und nicht in Zentralafrika geboren bist, daß du noch täglich die Luft zum Atmen, die Kraft zum Arbeiten, die Nahrungsmittel fürs Leben hattest, daß du vielleicht eine gute Erziehung genießen, lernen, streben und irgendwelchen Erfolg finden durftest, daß du ein braves Weib und blühende Kinder, Besitz aller Art, ja vielleicht sogar Überfluß dein nennen kannst, das alles und zahlloses mehr sind unverdiente Segnungen der Güte Gottes, von der Gottes Wort sagt: Weißt du nicht, daß Gottes Güte dich zur Buße leitet? (Röm. 2,4). Denn siehe, mit all dieser Güte sucht dir dein Gott zu begegnen, daß du doch auf ihn aufmerksam und ihm dankbar untertan werden möchtest.

Aber gib acht, wie fremd das Geschöpf seinem Schöpfer geworden ist. Siehe, der sich so weise dünkende Mensch weiß nicht einmal, daß Gottes Güte ihn zur Buße leiten will. Vielmehr verachtet er den Reichtum der Güte, Geduld und Langmut Gottes mit störrigem Herzen, nimmt alle Segnungen als etwas Selbstverständliches, natürlich Gewordenes oder von ihm selbst Errungenes selbstzufrieden und doch immer unzufrieden, weil er nicht noch viel mehr hat, hin und denkt gar nicht daran, daß er einem Gott dafür zu danken hat. Kann die Notzeit des ichsicheren Menschen bezeichnender zum Ausdruck kommen? „Wenn ich nichts zu essen habe“, antwortete mir solch ein Ignorant, „Gott gibt mir gewiß nichts!“

Als ob er sich etwas zu essen verschaffen könnte, ohne daß ihm Gott zuvor Verstand, Gesundheit und Gelegenheit zur Arbeit gegeben hätte! Oder hast du dir deine Verstandeskräfte und ihre Entfaltung gegeben? Oder gibst du dir die täglichen Lebens- und Leibeskräfte? Nicht wahr, angesichts solcher Fragen ist es so bequem, von „Natur“, „Entwicklung“, „Verhältnissen“, „Glück“, „Schicksal“ zu reden; denn das sind lauter Worte, die den Menschen nicht persönlich verpflichten und denen er deshalb auch keinen Dank schuldet.

Ja, gestehe es nur, das Gute deines Lebens dem Walten eines persönlichen Gottes zuzuschreiben und dich durch seine Güte zur Buße, das heißt zu einer Begegnung mit ihm hinleiten zu lassen, ach, das ist so unbequem, so verpflichtend, so lästig, so widerlich, so unerträglich für dein selbstsicheres Ich. Viel lieber spricht man als ein Tor in seinem Herzen: Es ist kein Gott! oder falls man an ihn glaubt, sucht man ihn abzuspeisen mit religiösen Opfern und Gebräuchen, wie ein „Wilder“ seinen Götzen abspeist, nur daß man dem lebendigen Gott nicht lebendig zu begegnen braucht; denn diese Begegnung würde einem das stolze Ichleben kosten. –

Mache es nicht so! Übersieh einmal mit geöffneten Augen all das Gute, das dir dein Schöpfer in dein Leben hineingelegt hat, und laß ihn heute deiner Seele begegnen!
Wenn uns Gott nicht in Güte zu begegnen vermag, so versucht er es in Strenge. Er greift dann in unser Leben ein etwa durch Vermögensverluste, Erwerbsschwierigkeiten, Mangel an Arbeit, Mangel an Brot. Er verengt und verzäunt uns den Weg, vereitelt unsere stolzen Pläne, läßt uns in die Sackgassen der Not, Drangsal, ja Verzweiflung geraten, damit wir doch endlich einsehen sollen: nicht wir sind der Herr unseres Lebens, sondern Er. O, welch geduldige Mühe gibt sich unser Gott, das eitle, flinke, geschäftige Menschlein doch endlich zum Kapitulieren zu bringen!

Wie viele kenne ich, die erst ihr ganzes Vermögen verlieren mußten, ehe ihnen Gott begegnen konnte! Des unerneuerten Menschen Sinnen ist ja so verzweifelt krampfhaft aufs Irdische gerichtet, daß er sich zerarbeitet in der Menge seiner Wege, um Wind zu erhaschen, nämlich Schätze zu sammeln, die Motten und Rost fressen (Jes. 57,10; Pred. 1,14; Matth. 6,19), und wunder glaubt, wie weit er es gebracht hat, wenn möglichst viel vergängliches Gut unter seiner Hand aufgehäuft ist. Solches Gut soll dann seinem Leben Wert und Sicherheit verleihen.

O welcher Betrug! Da muß dann Gott eingreifen, die falschen Stützen zerbrechen, den Betrug des Irdischen offenbaren, den Sinn zum Ewigen hinlenken, den verirrten Menschen zum Stillestehen vor Gott zwingen, indem er den Brotkorb höher hängt. – Und was tut dann der Mensch? Gar zu gern ballt er dann die Faust gen Himmel und spricht: „So, jetzt weiß ich es, daß es keinen gerechten Gott gibt. Wie könnte er mich sonst so Mangel leiden und in solche Not geraten lassen!“ Und anstatt seinem Gott zu begegnen, läuft der Mensch weiter von ihm weg als je zuvor, nicht erkennend, was zu seinem Frieden dient. Wie viele laufen auf diese Weise in den sogenannten moralischen Atheismus, in die enttäuschungsreiche Selbsthilfe oder in die Revolutionswüterei oder gar in den Selbstmord hinein! –

Du aber bleibe jetzt stehen! Suche nicht die Ursache deiner Nöte in den schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen, in denen ja allerdings die Sünde der Menschen stationär geworden ist, klage nicht Klassen oder Rassen an, erwarte nichts von Selbst- noch Menschenhilfe, sondern erkenne: dein Gott will dir begegnen, laß ihn dir begegnen, und dir wird gründlich zeitlich und ewig geholfen werden! Wer sich ihm stellt und anvertraut, wird ein Gesegneter über alle äußere und innere Not hinaus (Jer. 17,5-8; Matth. 6, 32-33).
Weiterhin schickt sich Gott an, den Menschen zu begegnen durch Leibes- und Krankheitsnot.

Trotz alles Geredes von Wohlfahrt und Sicherheit fühlt sich kein Mensch recht wohl und sicher. So macht man verzweifelte Anstrengungen, sich allen Störungen unseres Wohlergehens gegenüber sicherzustellen. Dagegen wäre nichts zu sagen, wenn dieses Sich-sichern-Wollen nicht zugleich auch Flucht vor Gott bedeutete. Brennt es, so weiß man sich versichert gegen Brandschaden; hagelt es, so weiß man sich versichert gegen Hagelschaden; passiert einem ein Unglück, so weiß man sich versichert gegen Unfall; wird man krank, so weiß man sich in der Krankenkasse, und kommt es zum Sterben, so weiß man sich in der Lebensversicherung.

Was Wunder, wenn man sich mit all diesen Sicherheiten zuletzt auch gesichert glaubt gegen Gott! Hat man nicht sein züchtigendes Eingreifen und damit eine Begegnung mit ihm durch alle diese Sicherheitsmaßnahmen nahezu unmöglich gemacht? Aber noch gibt es keine Sicherheit gegen die Krankheit selber und den Tod. Und so sucht Gott vielleicht mehr als je dem Menschen zu begegnen durch Leibesnot, die allermeistens eine Ernte der allgemeinen Sündenaussaat ist. Besonders schreckt Gott heute durch Nervennot.

Hätte mich Gott nicht durch ein zweijähriges Nervenleiden um und um zerbrochen und zu demütigem Stillestehen, ja Stilleliegen gezwungen, er hätte mir wohl noch lange nicht begegnen können. Wie danke ich ihm heute für diese gesegnete Not, in die er mich kommen ließ! Sie vermittelte mir das herrlichste Heil meines Lebens. –

Im allgemeinen aber will der Mensch seine Krankheit der lästigen Störung und Schmerzen wegen nur allerschleunigst loswerden, damit er schnellstens wieder in alter Selbstherrlichkeit planen, kutschieren und genießen kann. Daß Gott ihm durch seine Erkrankung begegnen will und etwas zu sagen hat, daran denkt er überhaupt nicht oder nur zuallerletzt. Nein, falls er noch mit Gott rechnet, soll dieser ihn jetzt nur sofort gesund machen, oder er kündigt Gott den Glauben. „Wenn es einen Gott gäbe, wie könnte ich so leiden müssen!“ ruft er aus und fügt in verblendeter Selbstgerechtigkeit vielleicht noch murrend hinzu: „Womit habe ich das verdient?“ Ja, frage nur, aber klage nicht Gott an, sondern dich! –

Vielleicht auch lernt man in der Not mal wieder beten und macht dann seinem Gott allerlei Versprechungen, wie Pharao tat, als ihm die Frösche bis ans Bett kamen; aber als er wieder „Luft gekriegt hatte“, wie Luther übersetzt, verstockte Pharao sein Herz aufs neue. Millionen machen es so! Hast auch du es so gemacht? Du schriest in deiner Krankheitsnot zu Gott, und als er dich durch gütige Hilfe an sein Herz ziehen wollte, stießest du ihn, wieder stark geworden, von dir. Wirst du dich jetzt schämen und nachholen, was du versäumt hast? Tue es, damit dich nicht Schlimmeres ereile!

Denn Gott schickt sich auch an, den Menschen zu begegnen auf und an Sterbebetten und vor offenen Särgen und Gräbern. Der Tod ist die schauerlichste Folge der Sünde; er ist der Sünde Sold (Röm. 6,23) und der König der Schrecken. Die Heilige Schrift nennt ihn den letzten Feind, der hinweggetan wird (1.Kor. 15,26), das heißt er ist ein Feind Gottes; denn Gott ist das Gegenteil des Todes, nämlich der Urquell des Lebens, und der die Macht des Todes hat, das ist der Teufel (Hebr. 2,14). So ist der Tod auch ein Feind und Fremdling in der Schöpfung. Sollte da nicht jeder Todesfall uns erinnern an den Sündenfall? Und damit zugleich an unsere eigene Sünde? An unser angeborenes Totsein in Sünden und Übertretungen dem heiligen Gott gegenüber? Und an unser eigenes Sterben? „Herr, lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen“ (Ps. 90,12). Denn „es ist dem Menschen gesetzt, einmal zu sterben, danach aber das Gericht“ (Hebr. 9,27).

Doch was hat der Mensch aus Tod und Sterben gemacht? Sein Herz ist gleichgültig und tot sogar dem Tod gegenüber geworden. Er hat sich an den Gedanken des Sterbenmüssens gewöhnt. Er redet vom Kommen und Gehen, Werden und Vergehen, als müsse das so sein, als sei das immer so gewesen und müsse auch immer so weitergehen. Ja, er hat – o fluchvoller Jammer seines Falles! – das sogenannte Gesetz des Werdens und Vergehens zum Grundgesetz des Lebens erhoben und preist den Tod als den Quell des Lebens! Daß der Tod ein Feind in der Schöpfung und Werden und Vergehen ein Kennzeichen des Falles und Fluches ist, unter dem wir nun seufzen, kommt ihm gar nicht zu Bewußtsein.

So ist es denn ganz selbstverständlich, daß der Mensch, der die Erleuchtung seines Verstandes durch die biblische Offenbarung verschmäht, den Tod sogar zum Erlöser gekrönt hat. „Heute morgen um so und so viel Uhr wurde mein lieber Mann erlöst durch einen sanften Tod.“ Welch schauerliche Hoffnungslosigkeit! Das Leben Leiden und der Tod die Erlösung von diesem Leiden! Die einzige Ruhe und der einzige Frieden: die Ruhe und der Frieden im Grabe! Welch ein Bankrott! Welch grausiges Kennzeichen der trostlosen Gottesferne! –

Man schreit wohl auf, wenn der Tod vernichtend, trennend, hinwegreißend ins Haus tritt, aber fleischlicher Stumpfsinn und irrselige Gedankenlosigkeit, diese beiden Kennzeichen des Unglaubens und der Gottentfremdung, verhindern, daß Gott einem in Tod und Sterben begegnen kann. Was kann da anders herauskommen als Dekoration und Komödie! Sieh hinein ins Sterbehaus! Was findest du da? Ein paar verlegene, vielleicht moralisch- religiöse Phrasen über das sogenannte „unvermeidliche“, ein paar konventionelle und sogenannte konfessionelle Zeremonien bis zu den bekannten trostreichen Worten am Grabe, dazu das übliche Schwarz und die bunten Blumen, kurz, überall öde Menschenmache und Menschenrede – aber mit wem konnte Gott reden? Wem konnte Gott begegnen? Wer war munter zu solcher Begegnung? Wer ermunterte dazu?

Siehe, Gott stellte Menschen vor den König der Schrecken, den Tod, um sie aufzuschrecken aus geistlichem Tod, um sie aufzuwecken zu göttlichem Leben – und der in Unglauben, Sünde und Selbstleben verschlafene Mensch formt aus Todes- und Grabesschrecken eine peinlich-stumpfsinnige, verzweifelt-gewohnheitsmäßige Komödie, wo die Toten ihre Toten begraben, um tot weiterzuleben!

Hier sitzen Leute in Trauerkleidung –: Hat dir dein Gott am letzten Sterbebett, offenen Sarg und Grab begegnen können? Ist dir seine Todespredigt zur Lebenspredigt geworden? Hat sie dich aufzuwecken vermocht aus dem Todesschlaf deiner Gottentfremdung? Hat sie dich ermuntert für das Nahen der Ewigkeit und des Gerichtes? Hat sie dir sagen können, daß dein Leben nicht dir gehört, sondern daß du es mit jeder Tat, jedem Wort und Gedanken Gott schuldest, der dich verantwortlich machen wird für jede Sekunde dieses Daseins? Hat sie dich aufschrecken, wachschreien können zur Buße und Bekehrung? Oder verschloß sich gar, als sich das letztemal Sarg und Grab über eines deiner Lieben schloß, dein Herz Gott gegenüber mehr als je zuvor?

Ich kenne eine Mutter, der Gott das älteste Söhnchen nahm. Mit entstellter Gebärde und plötzlich ergrautem Haar fluchte sie Gott und wurde Atheistin. Wahnsinnige Verbitterung ge-gen andere und zuletzt gegen sich selbst wurde ihr grausiges, finsteres Teil; ich weiß nicht, was aus ihr geworden ist. Diese Frau wollte sich nicht stumpfsinnig vor dem Geschehen des Todes beugen wie Millionen andere, aber noch viel weniger wollte sie sich vor Gott beugen und seine Begegnung annehmen; so verzehrte sie sich in irrsinniger Verzweiflung. Tausende rennen in dieselbe Sackgasse. –

Aber ich kenne eine andere Mutter. Nach einer Evangelisationsversammlung kam sie zu mir, um Jesus zum Herrn ihres Lebens zu machen. Ihre friedlich-entschlossene Art veranlaßte mich zu fragen, was sie so still und willig zu diesem Schritt machte. Da antwortete sie mir mit tränenlosen Augen: „Heute morgen hat uns Gott unseren Liebling genommen, und da habe ich ihn verstanden, und heute abend soll der Herr mein Leben haben.“ Hier war sowohl Stumpf- als Irrsinn überwunden; hier waltete der gesund gewordene Sinn einer Seele, die aus tiefem Leid für ihren Heiland genesen. „Mein Mann wird auch noch kommen“, fügte sie hinzu, „der Herr hat uns lang gemahnt, aber wir hatten noch nicht gewollt; da mußte er uns erst unseren Liebling nehmen.“ Nie werde ich das stille, friedliche Dankgebet dieser Mutter vergessen, die von der Leiche ihres Lieblings hinweg ans Herz ihres Heilands geeilt war. Ihr hatte in Tod und Sterben Gott begegnen können. – Und du? Hat Gott eben mit deiner Seele reden können? Willst du die am letzten Grabe versäumte Begegnung mit dem Herrn deines Lebens jetzt nachholen? Tue es!

Gott will uns aber auch begegnen durch Unglücksfälle. Es würde dies häufiger geschehen können, wenn die Gewissen nicht so abgestumpft wären. Daß sie so abgestumpft sind, ist vielleicht mit eine Folge des gedankenlosen Zeitungslesens von heute. Ich glaube nämlich, daß Abraham, der Nomade, ein gebildeterer Mensch als Millionen moderner Kulturmenschen, die sich vielleicht mehrere Male täglich die neuesten Nachrichten der acht- oder zehnseitigen Zeitungen von allen Weltteilen her durch den Kopf jagen lassen, aber ohne Verbindung mit Gott, ja ohne Wissen von Gott leben. Abraham hatte täglich Zeitung von oben her, aber wie anders empfing er doch seine Nachrichten gegenüber dem nervösen Leser des bedruckten Papiers vom zwanzigsten Jahrhundert!

Oder was ist das für eine Kultur, wo der Mensch täglich eine schauerliche Liste von Unglücksfällen in seiner Zeitung gewohnheitsmäßig zu finden hofft und herunterliest und ihm ein sensationeller Genuß fehlen würde, bliebe diese Liste einmal eine Woche oder nur tagelang aus. Wie hat er sich doch gewöhnt an die Eisenbahn-, Schiffs-, Gruben- und Brandunglücke und an die täglichen Unglücksfälle im Großstadtbetrieb! Wie späht sein Auge nach der täglichen Portion aufregender Automobilunfälle! Wie leicht gewöhnt er sich an die immer größere Häufigkeit solcher Meldungen, an die große Zahl der Toten oder Verwundeten! Die gewöhnlichen geringeren, unheilvollen Geschehnisse interessieren ihn kaum noch; beinahe unbefriedigt liest er über sie hinweg. „Nichts Besonderes!“ meint er.

Die Unglücksfälle reichen nicht aus, er bedarf auch der Liste der Verbrechen. Morde, „blutig groß“, Lustmorde, Selbstmorde, Schülerselbstmorde, verbrecherische Ehe- oder Liebestragödien, große Einbrüche, Diebstähle, Unterschlagungen, Veruntreuungen, alles kann der gebildete Leser bereits vertragen, ohne mit der Wimper zu zucken. Er liest’s bereits beim Morgenkaffee herunter, raucht die erste Zigarre dabei, putzt sich schließlich den Mund und legt die Zeitung beiseite so gemütlich ruhig, als ob tatsächlich „nichts passiert“ sei: Entsetzliche Bildung! Haarsträubende Gewissensverrohung! –

Sage diesem Menschen, Gott habe aus diesen Unglücksfällen und Verbrechen zu ihm reden wollen, und er wird dich auslachen und fragen, ob du ihn für einen Botokuden haltest. Abraham, der gottvertraute Nomade, blieb in heißem Gebetsringen stehen vor seinem Herrn wegen des Gerichtes über Sodom und Gomorrha, das ihm die himmlische Zeitung angekündigt hatte; der weltweit unterrichtete Zeitungsmensch dieses Zeitlaufs hat für die Worte „Gott“, „Sünde“, „Gericht“, „Gebet“ nichts weiter als dicke Fragezeichen. Ja, im Setzen solcher Fragezeichen besteht sogar seine eigentlichste Bildung; tatsächlich eine sehr fragliche Bildung!

Es ist ja nicht so, als ob die Leute, die von besonderen Unglücksfällen betroffen werden, auch allemal besondere Sünder wären. Vielmehr sagte schon der Herr Jesus, als man ihm von den Galiläern berichtete, deren Blut Pilatus mit ihren Schlachtopfern vermischt hatte: „Meinet ihr, daß diese Galiläer vor allen Galiläern Sünder waren, weil sie solches erlitten haben? Nein, sage ich euch, sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr ebenso umkommen. Oder jene achtzehn, auf welche der Turm in Siloah fiel und sie tötete: meint ihr, daß sie vor allen Menschen, die in Jerusalem wohnen, Schuldner waren? Nein, sage ich euch, sondern wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr alle gleicherweise umkommen.“ (Luk. 13,1-5).

Also sollen wir die Unglücksfälle vor allen Dingen als Warnungszeichen des erzieherischen Erbarmens Gottes ansehen lernen, in denen er uns zu unserem Heil begegnen will. Statt dessen, was macht man daraus? Eine unentbehrliche sensationelle Neuigkeit für den Frühstückstisch, einen Zeitungs-, Kaffee- oder Wirtshausklatsch. – In einer Stadt, in der ich evangelisierte, geschah eine Gasexplosion. Eine Ladenbesitzerin und ihre Gehilfin kamen dabei um. Tags darauf brachten die Zeitungen pathetisch-rührselige Artikel über „das grausame Walten des kalten Schicksals“, dem diese Verunglückten zum Opfer gefallen seien, usw. An eine erzieherische Tat göttlicher Warnung, an ein heilsames „Memento mori!“ („Bedenke, daß du sterben mußt“), an ein bußfertiges Stillestehen vor dem gebieterischen Herrn alles Lebens, daran dachte von Tausenden wohl kaum einer. Viel leichter schwatzt es sich vom „kalten, grausamen Schicksal“, diesem würdigen Gegenstück zum „launigen Glück“, zwei Begriffen, welche so recht die dunkle Trostlosigkeit des modernen Heidentums kennzeichnen. –

In einer anderen Stadt, in der ich weilte, tötete eine Mutter sich und ihre drei Kinderchen durch Öffnen des Gashahnes. Wäre diese Mutter mit ihren drei Kinderchen einmal ihrem Gott begegnet und hätte sie sich ihr unseliges Leben von Jesus nehmen lassen, anstatt es sich selbst zu nehmen, nie hätte ihre Hand zu solchem Mordzweck den Gashahn zu öffnen gebraucht, nie hätte Satan, der Menschenmörder (Joh. 8,44), sie so ins Verderben jagen können. Aber so stand es nicht in den Zeitungen, da gab’s nur eine recht interessante Schilderung der Lage, in der man die Leichen vorgefunden, dazu die bekannten pathetischen Reportersätze, verbunden mit einigen nachlässigen Vermutungen über das „unbekannte Motiv der Tat“. Und so geschieht’s alle Tage. Was wären die Zeitungen und ihre Leser ohne solche und andere sogenannte „Neuigkeiten“! Ist’s da ein Wunder, daß Tausende zu dem Grabe der kürzlich hingerichteten Mörderin Grete Beier, die in teuflischer Weise ihren Bräutigam erschoß, wallfahren?

Und doch steht fest, im fremden und eigenen Unglück wollte dir dein Gott begegnen. Du sitzt jetzt hier und hörst das alles. Laß dich an das letzte Unheil erinnern, das du erlebtest, und werde Gott untertan! Ich kenne einen Mann, der erst zwischen die Puffer zweier Eisenbahnwagen geraten mußte, ehe er sich endlich in die Hand Gottes legte. Und einen anderen kenne ich, der, oftmals gewarnt, seinen stolzen Nacken verhärtete und dann plötzlich ertrank ohne Hilfe. Unglücksfälle, ja Verbrechen sind Warnungszeichen deines Gottes – wer ist jetzt klug genug, sich warnen zu lassen?!

Indes schickt sich Gott an, dir auch zu begegnen in deinen Sünden. Wo plötzlich die so unangenehme Erinnerung an dunkle Dinge aus deinem Leben auftaucht, von denen du wünschest, sie wären niemals geschehen, wo plötzlich Gesichter vor dir stehen, die du weit wegwünschest, oder längst gesprochene böse Worte wieder in dir laut werden, die du so oft vergeblich zu vergessen dich bemühtest, ja wo sogar deine bösen, unreinen Gedanken von damals dich verfolgen und sich in ungeschwächter Häßlichkeit wieder bei dir einstellen, überall da, in Nächten und Tagen, in der Ruhe und Arbeit, will Gott dir begegnen in deinen Sünden. „Im Traume, im Nachtgesicht, wenn tiefer Schlaf die Menschen befällt, im Schlummer auf dem Lager: dann öffnet er das Ohr der Menschen und besiegelt die Unterweisung, die er ihnen gibt, um den Menschen von seinem Tun abzuwenden …, daß er seine Seele zurückhalte von der Grube“ (Hiob 33, 15-18).

Jetzt eben, während ich von diesen Dingen rede, weiß ich, daß Gott dich an gewisse Sünden erinnert. Du kennst sie ganz genau, diese untilgbaren Schandflecke, obgleich du dich vor anderen Menschen gebärdest, als ob dir Gott, Sünde und Gericht sehr zweifelhafte Begriffe seien, die dir gar nichts zu sagen haben. Dein Blick wird starr und trüb, dein Angesicht überfliegt ein schwarzer Schatten, dein Aussehen ist ein gequältes, friedloses: siehe, Gott schickt sich an, dir zu begegnen in der Erinnerung an deine Sünden! Was gäbst du da-rum, wenn du diese Erinnerungen loswerden könntest! –

Warum haben wir überall so stark besuchte Evangelisationsversammlungen? Weil das Gewissen des Menschen der stärkste Bundesgenosse des Wortes Gottes ist. Die Gedanken, die sich in dir untereinander verklagen und entschuldigen und immer wieder das ersehnte Behagen deiner Selbstsicherheit erschüttern und dir Frieden und Ruhe rauben, die haben dich hierher gebracht. Die arbeiten auch jetzt in dir, das sind die Pfeile des Allmächtigen, die in dir stecken; das sind die klopfenden Schläge seiner heiligen Hand, durch die er dir seine Gegenwart ankündigt. Du wirst diese Hand und ihr unheimliches Klopfen nicht los, was du auch beginnen magst; du weißt es. Warum darf ich in solcher Gewißheit zu dir reden? Das Wissen von der Sünde, das in jeder Menschenbrust wie ein unbestechlicher Richter sitzt und auch dich überführt und zum Elend verurteilt, das gibt mir die kühne Sprache der Zuversicht, in der ich es jetzt zum Zeugnis über dich ausrufe: Siehe, Gott schickt sich an, dir zu begegnen in deinen Sünden! –

Was treibt die Leute oft in ganzen Scharen in die Sprechstunden der Evangelisten, obgleich wir niemanden zur Aussprache und noch viel weniger zum Sündenbekenntnis nötigen? Was läßt Gottesleugner und Spötter, gebildete und ungebildete, plötzlich gläubig geworden, in verzweifelter Gebärde Tränen der Buße vergießen? Antwort: Der Heilige Geist ist ihnen begegnet in ihren Sünden. –

Und siehe, nun trifft es dich, gilt es dir, du weißt es, dein Gott hat sich eben angeschickt, dir zu begegnen! Jetzt weiche weder rückwärts noch zur Seite, sondern stehe ganz still, ihn zu hören!

Denn noch eine letzte Weise, in der Gott sich anschickt, dir zu begegnen, soll sich erfüllen. Gott schickt sich nämlich auch an, den Menschen zu begegnen in den Gebeten der Seinen. Für wen die Gebete der Gläubigen zum Thron Gottes aufsteigen, der hat keine Ruhe mehr. Jahrelang vor meiner Bekehrung quälte mich ein immer zunehmendes Unbefriedigtsein, eine stete, geheime Unruhe, die mich immer unfähiger zum gewohnten Genuß des Lebens machte und auch jedes Tun erschwerte. Ich wußte nicht eher, was mir fehlte, als bis ich in Christus ein neuer, glücklicher Mensch geworden war.

Da hörte ich dann aus dem Mund von Christen: „Es ist lang und viel für Sie gebetet worden.“ Nun war mir das Rätsel meiner jahrelangen Unruhe, in der mir alle Kraft und Freude weggenommen wurde, gelöst. Es muß wohl so sein, daß die Gebete der Gläubigen den Arm Gottes bewegen, indem sie dem Teufel gegenüber eine Macht bedeuten, die Gott erlaubt, die Engel, die zum Dienste derer verordnet sind, die die Seligkeit ererben sollen, denen zuzusenden, für die gebetet wird (Hebr. 1,14). Ich erlebte dies besonders auffällig in bezug auf einen früheren Freund, mit dem ich über ein Jahrzehnt in innigster Weise verbunden war. Als ich mich bekehrte, kündigte er mir sofort unter mitleidigem Spott die Freundschaft.

Aber Gott fügte es so, daß ich trotzdem mit diesem einstigen Freund in Briefwechsel kam und ihm mitteilen konnte: „Ich habe Tag und Nacht für Dich gebetet und werde ohne Unterlaß weiter für Dich beten.“ Nach monatelangem Schweigen bekam ich von ihm eine Karte des Inhalts: „Ich bitte Dich, höre auf, für mich zu beten. Mir wird unheimlich bei Deiner Beterei. Ich fürchte, ich könnte auch eines Tages vom lieben Gott eins auf den Kopf kriegen und mich wie Du ,bekehren‘; das wäre ja schrecklich. Also, bitte, höre auf, für mich zu beten.“ Also einem naturwissenschaftlich-philosophisch und literarisch hochgebildeten Atheisten – denn das war mein Freund – wurde „unheimlich“ bei meiner Beterei; das sagt genug. Jawohl, Gott begegnet den Ungläubigen durch die Gebete der Seinen. –

Mütter, die ihr heute hier sitzt und vielleicht seit Jahren für eure Söhne und Töchter betet, hört es, es ist ihnen längst „unheimlich“ geworden bei eurer Beterei! Verzagt nicht, eure Gebete gehen nicht verloren; Gott begegnet in ihnen euren Kindern! Und Kinder, die ihr hier sitzt und betet seit langem für eure Eltern, hört es, euren Eltern ist’s „unheimlich“ beim Beten ihrer Kinder; Gott begegnet ihnen in euren Gebeten! Und wer hier sitzt als ein Beter für Geschwister, Freunde und Bekannte, hört es, es ist ihnen längst „unheimlich“ bei eurem Beten geworden; betet weiter, denn Gott begegnet all jenen Teuren in euren Gebeten!

Und alle, die ihr hier ungläubig und unbekehrt sitzt, aber als solche, für die gebetet wird, hört es, und euer Gewissen muß es bestätigen: euch ist „unheimlich“ zumute bis über die Maßen, denn die Gebete, die für euch zu Gott aufsteigen, haben euch heute abend hierher getrieben unter diese Worte, die ihr jetzt hört, und Gott hat sich angeschickt, euch zu begegnen in und um solcher Gebete willen während der ganzen Zeit, in der ihr gehört habt. Und alle übrigen sollen es jetzt hören: euch ist „unheimlich“ zumute, denn hier sitzt niemand, für den nicht schon gebetet worden wäre; denn die des Herrn sind, haben für alle gebetet, die heute abend hierher geführt worden sind.

Siehe, Gott hat sich angeschickt, euch zu begegnen durch diesen Abend! Die Majestät seiner Gegenwart macht euer Innerstes erzittern. Gott ist hier! Wer will ihm widerstehen, wer wider ihn kämpfen? Oder wer will ihm entweichen? Siehe, er hat sich aufgemacht, der nicht ferne von dir war dein Leben lang, dir zu sagen, daß er ist, und daß er nicht den Tod des Sünders will, sondern daß du dich zu ihm bekehren und leben sollst. Welche Antwort hast du jetzt für ihn?

Entsinne dich des Aufrufes, den du am Anfang hörtest! Er lautete: So schicke dich an, deinem Gott zu begegnen! Bisher hast du nur davon gehört, wie mannigfaltig Gott sich anschickte, dir zu begegnen. Jetzt aber, Menschenkind, handelt es sich darum, daß du dich anschickst, ihm zu begegnen! Ist das ein Unterschied? Ja, ein gewaltiger. Höre! Wenn du einen Bekannten in Berlin hast, der sich alle Jahre mehrere Male anschickt, dir in deinem Wohnort zu begegnen, so ist das eine immerhin bequeme Geschichte für dich, und vielleicht traf dich dein Berliner noch nicht einmal zu Hause an. Jetzt aber schreibt er dir: Ich habe mich nun so oft angeschickt, dir dort zu begegnen; jetzt, bitte, schicke du dich einmal an, mir hier zu begegnen! Nicht wahr, das ist ein erheblicher Unterschied? Und siehe, gerade um diesen Unterschied handelt es sich jetzt.

So oft, so oft kam dein Gott zu dir, daß du doch einmal Notiz von ihm nehmen, einmal recht nach ihm fragen, einmal zu ihm umkehren möchtest. Er redete zu dir durch sein Wort, durch den Reichtum seiner Güte, durch Mangel an Brot, durch Krankheit und Tod, durch das Unglück des Tages, durch die Stimme deiner Sünde in der Nacht, und um des Schreiens seiner Auserwählten willen wich er gar nicht mehr von dir – und: „Dennoch seid ihr nicht bis zu mir umgekehrt, spricht Jahwe“, so heißt es fünfmal im vierten Kapitel des Amos.

Und nun droht der, der die Berge bildet und den Wind schafft und dem Menschen kundtut, was sein Gedanke ist, der die Morgenröte und die Finsternis macht und einherschreitet auf den Höhen der Erde, die Taten des Gerichtes zu mehren: Weil ich dir dieses tun will, so schicke dich an, deinem Gott zu begegnen! Verstehst du nun den furchtbaren Ernst dieses Aufrufes? Gut, so schicke du dich Jahwe, Gott der Heerscharen ist sein Name (V. 13), nun droht er denen, die die Übertretung mehren wollen (V. 4) und ihn damit zwingen, die Taten des Gerichtes zu mehren: Weil ich dir dieses tun will, so schicke dich an, deinem Gott zu begegnen! Verstehst du nun den furchtbaren Ernst dieses Aufrufes? Gut, so schicke du dich an, deinem Gott zu begegnen!

 
II.

Und dann höre! Kein Mensch kann Gott sehen und leben (2.Mose 33,20). Gott ist ein verzehrendes Feuer, das den töten würde, der als gefallener, sündiger Mensch sich ihm ohne weiteres nahen wollte (5.Mose 4,24; Hebr. 12,29). Gott ist Licht und wohnt in einem unzugänglichen Lichte, wo keiner hingelangen kann, der nicht selbst Licht geworden ist. Es wäre furchtbar, als unreiner Mensch in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen (Hebr. 10,31). Da müßte jeder ausrufen: „Wehe mir! denn ich bin verloren; denn ich bin ein Mann von unreinen Lippen, und inmitten eines Volkes von unreinen Lippen wohne ich“ (Jes. 6,5).

Nein, „niemand hat Gott jemals gesehen; der eingeborene Sohn, der in des Vaters Schoß ist, der hat ihn kundgemacht“ (Joh. 1,18). Wohl ist Gott nicht ferne von einem jeden unter uns, denn in ihm leben, weben und sind wir, und wir sind Gottes Geschlecht (Apg. 17,28); aber wie wir ihn auch tastend fühlen und finden möchten, wahrhaft begegnen können wir ihm nur im Mittler Jesus Christus. Wo jemals Gott mit dem gefallenen Menschengeschlecht in offenbarende Verbindung trat, da geschah es nur durch seinen geliebten Sohn, durch den und für den Gott alles geschaffen hat (Joh. 1,1-3; Röm. 11,36; Kol. 1,16; Hebr. 1,1).

Um Christi willen wirkt Gottes Gnade und Offenbarung schon im Alten Testament, denn Christi Geist begleitete das Volk Israel und redete aus den Propheten (Joh. 8,58; 1.Kor. 10,4; 1.Petr. 1,11). Und in Christus hat sich Gottes Liebe und Erbarmen zu uns herabgeneigt und offenbart, indem er den Sohn für uns gab, auf daß wir in ihm das Leben, nämlich die Rückkehr zu Gott haben sollten (1.Joh. 4, 9). Denn Gott warf unser aller Sünde auf ihn und hat den, der Sünde nicht kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir Gottes Gerechtigkeit würden in ihm (2.Kor. 5,21).

So konnte Jesus Christus verkündigen: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater, außer durch mich (Joh. 14,6). Er ist die Vergebung unserer Sünden und unsere Versöhnung mit Gott. Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selbst und hat Frieden gemacht durch das Blut des Kreuzes von Golgatha (2.Kor. 5,19; Kol. 1,20). Seitdem hat jeder, der in völligem Glauben unter die Besprengung des Blutes Christi gekommen ist, einen freien Zugang zum heiligen Gott, der in Christus neu sein Vater geworden ist.

Heißt es also: So schicke dich an, deinem Gott zu begegnen! so will das sagen: Schicke dich an, Jesus zu begegnen, der allein der Weg zu Gott ist. Wem jemals Gott begegnen konnte mit dem Hammer und Schwerte seines Wortes (Jer. 23,29; Hebr. 4,12), dem wurde das Herz zerschlagen und der stolze Geist zerbrochen, der brach zusammen vor der verzehrenden Flammenglut der lichten Heiligkeit des gerechten Gottes. Da verstummt und verzweifelt jeder. Und wer solches Selbstgericht noch nicht erlebt hat, der hat Gott noch nicht erlebt, wieviel er auch von Gott schwatzen mag. Wo aber Gott wirklich einem Menschen im Wetter seiner Heiligkeit begegnen kann und dieser Mensch gerichtet und vernichtet, hingesunken vor der Majestät des Ewigen, das Angesicht in den Staub beugt, da steht Jesus sofort neben einem solchen Mühseligen und Beladenen und will den glimmenden Docht nicht auslöschen und das geknickte Rohr nicht zerbrechen, und hebt empor an sein Herz und birgt in seine Arme und gibt Ruhe für die Seele. Niemanden wird er hinausstoßen, der so zu ihm kommt, um in seinen Armen Gott zu begegnen (Joh. 6,37).

Bist du dazu bereit?

Siehe, dein Gott ist dir begegnet im richtenden Wetter seiner Heiligkeit; jetzt aber steht Jesus, den Gottes Liebe für dich gab, vor dir in der sonnigen Milde seines Erbarmens, damit du durch ihn errettet würdest vom Zorn des zukünftigen Gerichtes. Siehe, er trug deine Sünden und starb für dich! Er ist dein Weg zu Gott zurück. So schicke dich an, ihm zu begegnen! Jetzt fall ihm ans Herz!
 
 
 
 
Diese Ansprache wurde aus dem Buch von Fritz Binde „Feuer auf Erden“ (Neuausgabe 2012 Christliches Versandantiquariat Leonberg) entnommen und ist hier mit freundlicher Genehmigung des Verlages abgedruckt. Einige altertümliche sprachliche Wendungen wurden von R. E. behutsam bearbeitet.
 

 
Veröffentlicht auf www.das-wort-der-wahrheit.de   21. 5. 2013