Vishal Mangalwadi: Das Buch der Mitte. Wie wir wurden, was wir sind: Die Bibel als Herzstück der westlichen Kultur. Basel: fontis-Brunnen 2014. Paperback, 608 S.



Auf den ersten Blick klingt der Ansatz dieses Buches verheißungsvoll: ein indischer Christ, Philosoph und Sozialreformer untersucht die Auswirkungen der Bibel auf die Zivilisation des Westens, der einst als „christliches Abendland“ bezeichnet wurde. Er sieht diese Einflüsse aus der Perspektive eines Intellektuellen aus dem Orient, der sich der hinduistisch geprägten Kultur seines Heimatlandes sehr bewußt ist und versucht, seinen hinduistischen Mitbürgern die Vorzüge des Christentums für Kultur, Gesellschaft und Wissenschaft nahezubringen. Er tut dies aus der Perspektive eines patriotischen Inders und sozialen Aktivisten, der sich für tiefgreifende Veränderungen im Kastensystem und den gesellschaftlichen Mißständen Indiens einsetzt und überzeugt ist, daß das Christentum hier Antworten und Lösungen hat, die aus der Sicht der Hindu-Religion unmöglich erscheinen.

Mangalwadi stellt in seinem Buch den jahrhundertealten Einfluß der Bibel und des Christentums auf die Weltanschauung, die Moral, das Rechtssystem, die Wissenschaft und Technik sowie das Bildungssystem des Westens dar und versucht zu zeigen, daß der biblisch fundierte Gottesglaube wesentlich zu dem unbestreitbaren Aufschwung und der kulturellen Dominanz des Westens beitrug, während die mystische, pantheistische und fatalistische Religion des Ostens wesentlich mit dazu beigetragen hat, daß dort ähnliche kulturelle Errungenschaften verhindert wurden.

Dabei trägt der Autor durchaus manche interessante Einzelheiten zusammen; er zeigt etwa, daß der biblische Glaube an Gott als übernatürlichen Schöpfer aller Dinge, die nun unabhängig von Gott nach gewissen göttlichen Gesetzen und Ordnungen existieren, eine wichtige Voraussetzung für die systematische Forschen nach Naturgesetzen bildete, während der hinduistische Glaube, daß alles Äußerliche der Welt im Grunde nur Illusion bzw. eins mit Gott sei, solch eine wissenschaftliche Beschäftigung mit der Natur unmöglich machte. Auch im Rechtssystem zeigt er die Bezüge des heutigen westlichen Rechtsverständnisses zur Bibel oder weist auf die christlichen Motive der Politiker hin, die sich für die Abschaffung der Sklaverei einsetzten.

Dennoch liegt diesem Buch ein fataler Irrtum zugrunde, und deshalb wirkt es nicht etwa erhellend für seine Leser, sondern geradezu verdunkelnd und irreführend. Obwohl sich Mangalwadi als evangelikaler Christ bekennt, ist er zutiefst getränkt von den Irrtümern des „Sozialen Evangeliums“, die überall in dem Buch zum Vorschein kommen. Er sieht es als die Mission des Christentums an, die Welt besser und christlicher zu machen, so wie er auch in Indien seine „Mission“ offenkundig in der Verbesserung der Lebensumstände indischer Bauern aus den niedrigen Kasten sah statt in der Ausbreitung des Evangeliums von der ewigen Errettung. Deshalb hatte er offenkundig keine Probleme, eine interreligiöse Gebetsveranstaltung mit dem hinduistischen Gandhi-Aschram abzuhalten (S. 62-64).

Sein Blick auf die Segnungen der Bibel ist fast ausschließlich auf die gesellschaftlichen und kulturellen Wirkungen des Buches der Bücher beschränkt. Das eigentliche Anliegen der Bibel, den sündigen, von Gott abgewichenen Menschen zu einer Herzensumkehr und zur ewigen Errettung zu führen, findet sich bei ihm nur am Rande und sehr blaß. Er ist begeistert von den positiven zeitlichen und irdischen Früchten, die als Nebenprodukt der „christlichen Zivilisation“ anfielen, aber er schweigt von der Nutzlosigkeit dieser „Errungenschaften“ im Hinblick auf die ewige Errettung des Sünders vom göttlichen Gericht. „Denn was hilft es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber sein Leben verliert? Oder was kann der Mensch als Lösegeld für sein Leben geben?“ (Mt 16,26).

Deshalb ist auch Mangalwadis Blick auf diese zeitlichen „Errungenschaften“ einseitig und letztlich irreführend. Er verschweigt in seinem Bemühen, die guten Auswirkungen der Bibel auf das Leben der Menschen zu betonen, daß in der Entwicklung des Westens überall – in den Naturwissenschaften, im Rechtswesen, im Sozialstaat – die biblischen Impulse vermischt wurden mit weltlich-heidnischem Denken. Im Endergebnis bildete sich zwar eine menschlich überlegene Zivilisation heraus, in der die Menschen aufgrund der Beachtung göttlicher Gebote gewisse Segnungen Gottes genossen.

Aber geistlich gesprochen war und ist das „christliche Abendland“ durchgängig eine weltliche, heidnische Zivilisation, die von Unglaube und Ungehorsam, Sünde und Gottlosigkeit geprägt wurde und ihrem Wesen nach Finsternis war und nicht Licht, Reich dieser Welt und nicht Gottesreich. Daher war es nur folgerichtig, was der Autor ausblendet, daß dieses „Abendland“ in seiner historischen Entwicklung die anfänglichen Impulse aus der Bibel immer weiter hinter sich ließ. Mangalwadi übertreibt die positiven Auswirkungen der Bibel und des „Christentums“ und unterschlägt, daß diesem „Christentum“ das Entscheidende fehlt – nämlich der lebendige, rettende Glaube an den lebendigen, auferstandenen Retter Jesus Christus, um den es doch eigentlich geht.

In der Geschichte der westlich-„christlichen“ Zivilisation wurde nicht das „Reich Gottes auf Erden“ gebaut, sondern der unbekehrte, sündige Mensch profitierte von einer gewissen Gottesfurcht und biblischen Wahrheiten, aber er löste sie aus dem biblischen Offenbarungszusammenhang und baute sie in sein weltliches, gottfeindliches System mit ein. Daher trug diese „christlichen Kultur“ auch alle möglichen widergöttlichen, sündigen Züge, die der Autor herunterspielt.

Die Dynamik der „christlichen Zivilisation“ war notwendigerweise die, daß der Gottesbezug und die biblischen Elemente immer mehr verblaßten und im 20. Jahrhundert zunehmend offen verworfen wurden. Das bedauert der Autor und ruft zu einer „Rückbesinnung“ auf, doch das ist Wunschdenken und widerspricht der Lehre der Bibel. Die Abkehr der westlichen Heidenvölker von Gott ist im Großen unumkehrbar und wird nach dem prophetischen Wort der Bibel in der Herrschaft des Antichristen und dem bewußten Abfall der Namenschristenheit von Jesus Christus gipfeln.

Offenkundig ist Mangalwadi wie viele moderne Evangelikale von dem Irrglauben Augustins überzeugt, die christliche Kirche müsse das Reich Gottes auf Erden verwirklichen. Er rechnet nicht, wie die Heilige Schrift, mit einer zunehmenden Gesetzlosigkeit und Gottlosigkeit der Welt, die schließlich zum Zorngericht Gottes führt, sondern hat eine allmähliche Höherentwicklung einer zunehmend christianisierten Welt im Auge, an der er Indien gerne teilhaben lassen möchte.

So wird dieses Werk zu einem sehr wortreichen (608 Seiten) Plädoyer für das falsche „Soziale Evangelium“, was auch erklärt, weshalb einige moderne Evangelikale mit missionalen und emergenten Neigungen wie Dallas Willard oder Roland Werner es in den höchsten Tönen loben. Die Bibel ist nicht das „Buch der Mitte“ (der Titel hat eher Anklänge an fernöstliche New-Age-Theorien), sondern es ist das Buch des Lebens für alle jene, die die Wahrheit von Jesus Christus erfassen und durch Buße und Glauben zur Neugeburt durchdringen. Nicht Reform der Welt, sondern der Weg zum ewigen Leben, die herrliche Person des einzigen Retters und Mittlers Jesus Christus macht das Wesen dieses herrlichen Buches aus. Alles, was davon ablenkt, ist Verlust und nicht Gewinn.

 

 

Rudolf Ebertshäuser   das-wort-der-wahrheit.de   27. 11. 2015