„Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet!“ Dieses Wort unseres Herrn (Mt 7,1) gehört zu den am meisten zitierten und am meisten mißbrauchten Bibelworten unter den modernen Evangelikalen, wenn es um die Kritik an bibeltreuen Warnungen vor der Verführung geht. Wenn jemand zum Beispiel Rick Warren und seine Lehren in „Kirche mit Vision“ oder „Leben mit Vision“ als verführerisch bezeichnet, dann erheben sich rasch Stimmen aus den Reihen der Evangelikalen, die solch ein Urteil als „Richten“ verurteilen. Schnell wird man dann als „lieblos“ und als „selbstgerecht“ verurteilt (wobei die evangelikalen Anwälte der Correctness dabei selbst richten und gerade das an den bibeltreuen Verteidigern des Glaubens begehen, was sie selbst anprangern, nämlich Motive beurteilen!).
Doch wir wollen einmal ganz sachlich prüfen: Ist dieser Vorwurf stichhaltig? Ist die geistliche Beurteilung von Verführern und ihren Lehren als ein Richten in dem Sinne zu bewerten, das unser Herr uns verbietet? Hier gibt es bei den Gläubigen manche Verunsicherung, und wir können diese Frage nur klären, wenn wir die betreffenden Aussagen der Bibel in ihrem Zusammenhang untersuchen. Wir wollen einige wichtige hier anführen:
Und richtet nicht, so werdet ihr nicht gerichtet; verurteilt nicht, so werdet ihr nicht verurteilt; sprecht los, so werdet ihr losgesprochen werden! (Lk 6,37)
Wer bist du, daß du den Hausknecht eines anderen richtest? Er steht oder fällt seinem eigenen Herrn. Er wird aber aufrecht gehalten werden; denn Gott vermag ihn aufrecht zu halten. (…) Du aber, was richtest du deinen Bruder? Oder du, was verachtest du deinen Bruder? Wir werden ja alle vor dem Richterstuhl des Christus erscheinen … (Röm 14,4.10)
Verleumdet einander nicht, ihr Brüder! Wer seinen Bruder verleumdet und seinen Bruder richtet, der verleumdet das Gesetz und richtet das Gesetz; wenn du aber das Gesetz richtest, so bist du nicht ein Täter, sondern ein Richter des Gesetzes. Einer nur ist der Gesetzgeber, der die Macht hat, zu retten und zu verderben; wer bist du, daß du den anderen richtest? (Jak 4,11-12)
Wie sind nun diese Aussagen des Neuen Testaments zu verstehen?
1. Die erste wichtige Feststellung, die wir hier treffen müssen, lautet: Unser Herr warnt uns in Mt 7,1-4 nicht davor, Irrlehrer oder Verführer zu richten, sondern unseren Bruder, d.h. für uns: echte Gläubige, die von neuem geboren sind. Die Irrlehrer, falschen Propheten und falschen Apostel, gegen die wir vor allem unsere Aufklärungsarbeit richten, sind jedoch nach der Heiligen Schrift nicht wiedergeboren, sie sind Wölfe im Schafspelz. Für solche gilt diese Warnung schon einmal gar nicht. Im selben Kapitel warnt unser Herr in den Versen 15-23 ausdrücklich vor falschen Propheten und gibt uns die Anweisung, uns vor ihnen zu hüten und sie an ihren Früchten zu erkennen; beides schließt die Beurteilung ihrer Lehren und Praktiken ein und auch eine Warnung vor ihnen.
2. Das Grundtextwort, das hier mit „richten“ übersetzt wird, hat eine ganze Reihe von Bedeutungen. Es kann „unterscheiden, beurteilen“ bedeuten, aber auch „zu Gericht sitzen, richterlich urteilen“, schließlich auch „verklagen, verdammen“. Es ist aus dem Zusammenhang deutlich, daß hier vor einem selbstgerechten Zu-Gericht-Sitzen über andere Gläubige gewarnt wird, vor einem verächtlichen Aburteilen anderer Kinder Gottes im Hinblick auf Dinge, die nur Gott allein beurteilen und richten kann. Das betrifft in Römer 14 vor allem Gewissensfragen und persönliche Führungen im Lebenswandel; in 1. Korinther 4,1-5 den Dienst und besonders die Motive eines Knechtes Gottes. In Matthäus 7 ist vor allem das heuchlerische Richten im Blickfeld; interessanterweise wird der Gläubige sogar ermutigt, den Splitter aus dem Auge des Bruders zu ziehen, nachdem er durch demütiges Selbstgericht den Balken aus seinem eigenen Auge gezogen hat. In Jakobus 4 wird insbesondere die verleumderische Anklage gegen Brüder verurteilt.
3. Unser Herr selbst hat ein Beurteilen von Lehre und Praxis ausdrücklich gutgeheißen und geboten, als er in Joh 7,24 die Juden aufforderte: „Richtet nicht nach dem Augenschein, sondern fällt ein gerechtes Urteil!“. Ähnlich bestärkt er Simon in Lk 7,43 und sagt: „Du hast richtig geurteilt“. Die Pharisäer fordert Er in Lk 12,57 auf: „Und warum entscheidet [w. richtet] ihr nicht von euch selbst aus, was recht ist?“. Also ein gerechtes, nach den Maßstäben des Wortes Gottes erfolgendes Prüfen, Beurteilen und Bewerten ist vom Herrn selbst erlaubt und sogar geboten. Auch der Apostel Paulus zeigt, daß das geistliche Beurteilen etwas völlig Normales und Erlaubtes für den Gläubigen ist: „Der geistliche [Mensch] dagegen beurteilt [ana-krino, verwandt mit krino = richten] zwar alles, er selbst jedoch wird von niemand beurteilt“ (1Kor 2,15). Eine Empfehlung dieses geistlichen Beurteilens anhand der Bibel können wir auch in Apg 1711 sehen: „… und sie forschten täglich in der Schrift, ob es sich so verhalte“.
4. Auf keinen Fall bezieht sich das Gebot des Herrn auf ein Beurteilen oder auch Verurteilen sündigen Verhaltens. Denn was Sünde betrifft, haben wir ein klares Gebot des Herrn durch den Apostel Paulus:
Zum Bereich der Sünde gehört nicht nur moralische Sünde wie in 1. Korinther 5, sondern auch das Verbreiten von Irrlehren und das Anrichten von Spaltungen und Parteiungen durch Irrlehrer, wie wir in Titus 3 lesen:
4. Auch an anderen Stellen werden wir dazu aufgefordert, falsche Lehre und irreführende Aussagen, sowie die Tätigkeit von falschen Lehrern, Propheten und Aposteln zu erkennen (Mt 7,16), zu beurteilen und zu prüfen Wenn wir schon die Äußerungen der echten Diener Gottes prüfen (1Thess 5,21) und beurteilen sollen (1Kor 14,29), wieviel mehr die der zweifelhaften und falschen! Wir haben aber auch vielfältige Gebote, daß wir uns von solchen abwenden sollen. Die Befolgung dieses Gebotes schließt notwendigerweise auch die Warnung vor solchen Verführern ein. Auch die Apostel haben direkt und entschieden vor Verführern gewarnt, und das teilweise namentlich.
… einer, der sich an das zuverlässige Wort hält, wie es der Lehre entspricht, damit er imstande ist, sowohl mit der gesunden Lehre zu ermahnen als auch die Widersprechenden zu überführen. Denn es gibt viele widerspenstige und leere Schwätzer und Verführer, besonders die aus der Beschneidung. Denen muß man den Mund stopfen, denn sie bringen ganze Häuser durcheinander mit ihrem ungehörigen Lehren um schändlichen Gewinnes willen. (Tit 1,9-11)
Geliebte, glaubt nicht jedem Geist, sondern prüft die Geister, ob sie aus Gott sind! Denn es sind viele falsche Propheten in die Welt ausgegangen. (1Joh 4,1)
Prüft also, was dem Herrn wohlgefällig ist, und habt keine Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis, deckt sie vielmehr auf; denn was heimlich von ihnen getan wird, ist schändlich auch nur zu sagen. Das alles aber wird offenbar, wenn es vom Licht aufgedeckt wird; denn alles, was offenbar wird, das ist Licht. (Eph 5,10-13)
Das umfaßt auf gemeindlicher und übergemeindlicher Ebene auch das öffentliche Bloßstellen und die Widerlegung solcher Lehren (vgl. auch 1Tim 5,20!). Dafür haben wir sogar ein Vorbild anhand der Verirrung eines echten Apostels:
Wir sehen also, daß der Vorwurf des Richtens gegen Brüder, die vor endzeitlichen Irreführungen warnen, ganz unberechtigt ist. Hier wird, wie so oft, ein Bibelwort aus dem Zusammenhang gerissen und verbogen, um es als Waffe gegen aufrichtige Gläubige zu mißbrauchen.
Letztlich würde, wenn wir vor solchen unberechtigten Anklagen kapitulieren würden, den Verführern freie Bahn gegeben, daß sie ungehindert ihr Gift in der Gemeinde ausbreiten könnten. Doch diesen Gefallen wollen wir dem Widersacher nicht tun. Wir wollen mit dem Beistand unseres Herrn weiter warnen, Irrlehren bloßstellen und widerlegen und, wenn nötig, dabei auch Namen von solchen nennen, die der Gemeinde durch Verbreitung von Irrtümern schaden.
Rudolf Ebertshäuser das-wort-der-wahrheit.de 16. 11. 2012