Zu diesem Thema veröffentlichte IdeaSpektrum im April 2012 ein bemerkenswertes „Streitgespräch“ zwischen Dr. Martin Erdmann, einem biblisch konservativen Theologiedozenten, und Dr. Tobias Faix, Dozent am Marburger Bildungs- und Studienzentrum und Leiter des dortigen Studiengangs „Gesellschaftstransformation“, einem der bekanntesten Sprecher der emergenten Bewegung in Deutschland. Martin Erdmann hatte im November 2011 sein Buch „Der Griff zur Macht“ veröffentlicht, in dem er die Bestrebungen vieler Evangelikaler kritisiert, sich gesellschaftsverändernd politisch und sozial zu engagieren. T. Faix ist mit Prof. J. Reimer und V. Brecht zusammen Herausgeber des 2009 erschienenen Buches „Die Welt verändern“, das die Theologie der „Gesellschaftstransformation“ rechtfertigen will.

Erdmann verteidigt im Gespräch wie in seinem Buch die klassische evangelikal-bibeltreue Sicht von Mission, nach der die Evangeliumsverkündigung eindeutig im Mittelpunkt des Wirkens der Gemeinde Jesu Christi steht, während Hilfsmaßnahmen und gute Werke eine unterstützende, ergänzende Rolle spielen: „Der Auftrag der christlichen Gemeinde ist es, vor allem das Heil in Christus zu verkündigen: Er ist für unsere Sünden am Kreuz gestorben, um uns die Rückkehr in eine persönliche Beziehung zu Gott zu ermöglichen. Das muß im Mittelpunkt stehen; alles andere ist zweitrangig.“ Er zieht mir Recht die Schlußfolgerung: „Aber es ist nicht die Aufgabe der Gemeinde, weltliche Strukturen zu ändern, Regierungen auszutauschen oder soziale Ungerechtigkeiten zu bekämpfen.“

Dagegen plädierte Faix für die immer mehr um sich greifende evangelikale Missionslehre, nach der das gesellschaftspolitische Engagement eine grundlegende, der Evangeliumsverkündigung mindestens gleichwertige Verpflichtung für die Gemeinde sei. Diese Lehre verficht die von Faix vertretene Emerging Church-Bewegung mit besonderem Eifer, aber sie wird seit 1974 auch von der „Lausanner Bewegung“ und der Evangelische Allianz vertreten, was u.a. in der „Micha-Initiative“ zum Ausdruck kommt. Faix behauptet: „Das Evangelium nur auf das persönliche Heil zu beschränken, ist eine Verengung des Evangeliums“. Er beruft sich auf Lukas 4,18 und deutet dieses Wort des Herrn, das von geistlicher Befreiung und Erlösung für Sünder redet, in politische Befreiung für Arme um. „Ich kann das persönliche Heil nicht vom Einsatz gegen soziale Ungerechtigkeit trennen“ bekennt Faix und behauptet: „Wir haben eine biblisch-theologische Verantwortung, den Armen dieser Welt zu helfen“.

Nicht zuletzt aufgrund der Gesprächsregie kann sich Faix mit seinen unbiblischen Lehren in gewisser Weise besser in Szene setzen als Erdmann, der völlig zu recht betont: „Die Evangelikalen unterscheiden sich heute kaum noch vom liberalen Christentum“, der aber im Dialog mit Faix den biblischen Standpunkt nicht immer deutlich genug herausstellt. Ob das wohl damit zusammenhängt, daß die Bibel eigentlich den Dialog und das Streitgespräch mit Irrlehrern als falsch bezeichnet? (Vgl. Röm 16,17; 1Tim 6,3-5.20; 2Tim 2,14-17.) In dem Dialog von Theologe zu Theologe beklagt sich Faix darüber, daß Erdmann die Vertreter der „Gesellschaftstransformation“ als „Irrlehrer“ bezeichnet, obwohl Erdmann damit ganz recht hat. Auf die verführerischen Hintergründe der Lehren von der „sozialpolitischen Verantwortung der Gemeinde“ wollen wir noch etwas näher eingehen.

 

Die Gemeinde ist nicht berufen, die Welt zu verbessern

 

Wenn die Gemeinde sich in die politischen Streitereien und Interessenkämpfe dieser Welt einläßt, wenn sie für Umweltschutz und soziale Besserstellung kämpft, gegen Großkonzerne, Mächtige und die Obrigkeit, dann verläßt sie ihre gottgewollte Stellung und macht sich schmutzig im Interessen- und Parteienstreit dieser Welt. Sie verliert ihre Vollmacht, auf die Ewigkeit hinzuweisen, auf die Rettung in Christus, auf das kommende Reich des Messias als einzigen Weg zu Frieden und Gerechtigkeit.

Sie nimmt vielmehr am politischen Programm der antichristlichen Mächte teil, deren großes Ziel es ist, Frieden und Gerechtigkeit hier und jetzt, in dieser Welt und mit den Mitteln dieser Welt, zu schaffen. Das zeigt sich heute ganz konkret an Projekten wie dem PEACE-Plan und der „Micha-Initiative“, mit denen führende Evangelikale dem verfehlten Kurs des Weltkirchenrates nachlaufen und mit antichristlichen Projekten der UNO zusammenarbeiten. Hier wird das verfälschte „soziale Evangelium“ der liberalen Theologie Anfang des 20. Jh. in etwas abgeänderter Form weitergeführt. Die „Mission der Kirche“ müsse unbedingt das sozialpolitische Engagement, den Protest zugunsten der Benachteiligten, gleichwertig zur Evangelisation vorantreiben; so wurde es auch von vielen liberalen Evangelikalen gefordert, was zur Aufnahme des angeblichen sozialpolitischen Auftrages in die Lausanner Verpflichtung von 1974 führte.

Die Abkehr von der traditionellen evangelikalen Lehre wird an dem berühmten Führer John Stott deutlich, der noch nach der Berliner Konferenz 1966 erklärt hatte: „Der Auftrag der Gemeinde ist es nicht, die Gesellschaft zu reformieren, sondern das Evangelium zu verkündigen!“. Vor der Lausanner Konferenz 1974 war er umgeschwenkt und erklärte nunmehr: „Das Wort ‚Mission’ (…) beinhaltet Evangelisation und soziale Verantwortung, denn beide sind echte Ausdrucksformen der Liebe, die danach verlangt, dem Menschen in seiner Bedürftigkeit zu dienen“.

Einige radikale Evangelikale gingen so weit, zu erklären: „Wir müssen den Versuch, einen Keil zwischen Evangelisation und sozialem Anliegen zu treiben, als dämonisch zurückweisen“. Auch die marxistisch inspirierte sogenannte „Befreiungstheologie“ wurde mit Abschwächungen in das neue Konzept aufgenommen. dabei verwies man auf die Mahnungen der alttestamentlichen Propheten, ohne zu beachten, daß diese ja innerhalb des damaligen Gottesvolkes wirkten, das damals einen eigenen Staat besaß, was heute ja gar nicht der Fall ist.

 

Die irrtümliche Berufung auf das Alte Testament

 

Die falschen Lehrer des „sozialen Evangeliums“ nehmen die ausdrücklich dem Volk Israel gegebenen Anordnungen über die Behandlung der Armen im Bundesvolk Gottes und übertragen sie völlig willkürlich auf die gegenwärtige Weltzeit. Dabei übersehen sie die wichtige Tatsache, daß diese Gebote nur dem Volk Israel im Land der Verheißung gegeben waren, wo sie unter der unmittelbaren Königsherrschaft Gottes ein Leben nach den Gedanken Gottes führen sollten. Zwar waren auch die Fremdlinge, die sich dem Volk Israel anschlossen und mit ihm im Lande lebten, in vieler Hinsicht mit in diese Regelungen einbezogen, aber im wesentlichen galten sie nur dem heiligen Bundesvolk des HERRN.

Es ist nun völlig unzulässig und durch die Lehre des Neuen Testaments auch in keiner Weise gedeckt, diese Regelungen zu einem sozialpolitischen Aktionsprogramm für die Gemeinde Jesu Christi umzufunktionieren. Die Gemeinde ist kein politisches Volk in einem eigenen Land, sondern die Gläubigen sind Fremdlinge und Wanderer ohne Bürgerrecht in einer vom Bösen beherrschten Welt. Christus hat Seine Königsherrschaft eben noch nicht aufgerichtet, denn Sein Reich ist nicht von dieser Welt (Joh 18,36).

Diese Welt ist voller Sünde, ungerecht und verkehrt; sie bringt zweifelsohne viel Leid über viele Menschen, besonders über Arme und Entrechtete – aber die Gemeinde ist nicht berufen, das zu verändern und „mehr Gerechtigkeit“ in die Welt zu bringen, geschweige denn die Welt zu überreden, sie sollte ihre wirtschaftlichen und politischen Geschäfte nach den Geboten Gottes ausrichten. Diese Welt bleibt in der Rebellion gegen Gott und muß auch die Folgen dieser Rebellion ernten – das gilt auch für die ungläubigen Armen, die vor Gott nicht angenehmer oder gerechter sind als die ungläubigen Reichen. Vielfach ist die Armut gerade der Ärmsten die Folge von schlimmen Sünden – Okkultismus (in der Dritten Welt besonders), Alkoholismus, Hurerei usw.

Gläubige Christen können sehr wohl im Einzelfall dazu geführt werden, Menschen, denen sie Christus bezeugen, auch äußerliche Hilfe zugute kommen zu lassen – aber sie können nicht die Armut und das Elend der Welt lindern, geschweige denn abschaffen, wie es irregeleitete Humanisten, z.B. die UNO, vorgeben. Die Gemeinde hat auch keinerlei Auftrag von Gott, im Sinne der alttestamentlichen Propheten nun die Mächtigen der Welt anzugehen und sie zur Umkehr und zu gerechtem Handeln aufzurufen. Die Propheten taten dies nur im Bundesvolk Israel, als es noch ein politisch verfaßtes Gottesvolk im Lande war.

Deshalb lesen wir im NT auch nichts davon, daß die Apostel oder die apostolischen Gemeinden sich gegen soziale und politische Mißstände der damaligen Welt gewandt und diese gegeißelt und durch sozialpolitische Aktionen beseitigt hätten. Dabei war das römische Reich an solchen z.T. schreienden Mißständen gewiß nicht ärmer als unsere heutige Welt. Es ist ein vernichtendes Zeugnis für die Irrlehrer des sozialen Evangeliums, daß das NT gerade die heute besonders anstößige Einrichtung der Sklaverei in keiner Weise kritisiert oder antastet; es fordert die Sklaven auf, ihr Los zu bejahen und ihren Herren willig und ohne Murren zu dienen, und auch die gläubigen Herren werden nicht per Gebot aufgefordert, nun schnellstens ihre Sklaven zu entlassen.

Die gläubige Gemeinde sollte die bestehende soziale und politische Ordnung annehmen und sich ihr unterordnen, wobei auf der Ebene des persönlichen Wandels ein klares Zeugnis für die Gebote Gottes gefordert wird, ein Lebenswandel, der der Gnade und Liebe Gottes entspricht: Die Gläubigen sollten niemanden bedrücken oder betrügen, niemanden anlügen oder übervorteilen, sie sollten in allem ehrlich, gütig, bescheiden, sanftmütig und wohltätig sein. Die bewußte Enthaltung von jeder politischen Aktion zur Veränderung von Mißständen bedeutete also keineswegs eine völlige Identifikation mit der Ungerechtigkeit des bestehenden Weltsystems. Die Gemeinde sollte im Persönlichen sich daran nicht beteiligen, aber sie sollte der Welt Christus als den kommenden König bezeugen, der allein Frieden und Gerechtigkeit in die Welt bringen kann, anstatt dies in anmaßender Weise selbst zu versuchen.

 

Am biblischen Auftrag der Evangeliumsverkündigung festhalten!

 

Biblische Evangelisation (oder „Mission“) beinhaltet einfach das Zeugnis und die Verkündigung des Evangeliums und die Gründung biblischer Gemeinden. Das Gebot guter Werke an den Ungläubigen wird überall zunächst den einzelnen Gläubigen gegeben, nicht den Gemeinden oder den Evangelisten (an der Unterstützung bedürftiger Gläubiger waren die Gemeinden sehr wohl als Ganzes beteiligt; vgl. 1Kor 16,1-3; 2. Korinther 8 u. 9). Weder wird etwas davon gesagt, daß diese notwendig wären, um unseren Auftrag des Evangeliumszeugnisses zu erfüllen, noch sagt die Bibel, die Menschen würden sich erst dann bekehren, wenn sie unsere materielle Hilfe empfangen hätten. Auch das Vorbild des Apostels Paulus und der anderen Diener Gottes im NT läßt nirgend seine Verquickung von sozialpolitischen Aktionen mit der Evangelisation erkennen.

Dort wo in der bibeltreuen, klassisch-evangelikalen Evangeliumsverkündigung späterer Jahrhunderte materiell bessergestellte Gläubige zu Bevölkerungsgruppen kamen, die in großer äußerer Not waren, da haben sie es für richtig gesehen, auch in diesen Nöten (Hunger, Krankheit, soziales Elend von Witwen und Waisen) zu helfen, wo es möglich war, und Gott hat dieses Zeugnis vielfach auch gebraucht, um Menschen für den Glauben aufzuschließen. Das war als ergänzendes Zeugnis zur Verkündigung des Evangeliums gewiß im Sinne der Gedanken Gottes, auch wenn es dafür kein ausdrückliches Gebot gab – solange die Diener des Herrn sich dessen bewußt waren, daß die absolut oberste Priorität die Errettung von Seelen aus dem ewigen Verderben war und nicht die Linderung zeitlicher Nöte.

Alle bibeltreuen Missionare und Evangeliumsverkündiger waren sich darüber im Klaren, daß der Auftrag des Herrn lautet, das Evangelium von der ewigen Errettung aus Sünde und Gericht zu verkündigen und Menschen zum rettenden Glauben an den Herrn Jesus Christus zu führen. Für diese Diener Gottes war alle Hilfeleistung – medizinische Versorgung, Hilfe bei Verarmung, Drogensucht und Hunger, die Fürsorge für Waisen z.B. – eine untergeordnete, flankierende Maßnahme, die dazu diente, die Menschen auf ihre eigentliche Not hinzuweisen, ihre Trennung von Gott durch die Sünde.

„Denn was hilft es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber sein Leben verliert? Oder was kann der Mensch als Lösegeld für sein Leben geben?“ (Mt 16,26)

 

 

Quelle: „Sollen Christen die Welt verändern?“; in: IdeaSpektrum 17/2012, S. 16-18.

 

Rudolf Ebertshäuser   das-wort-der-wahrheit.de   26. Juli 2012

 

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